Es gibt Sätze, die im Gedächtnis haften wie Klebstoff. „Non scholae, sed vitae discimus“ ist so einer – nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. Mit dieser Weisheit nerven Lehrer gerne ihre Schüler: Der Lernstoff zähle weniger für das Zeugnis, dafür umso mehr für die weitere Laufbahn. Natürlich ist so ziemlich jeder Schüler anderer Meinung.
Verständlich. Lernen ist anstrengend, mühsam und zeitraubend. Der englische Philosoph John Locke verglich Lernen gerne mit der Jagd nach Tieren: Erst am Ende wird man belohnt. Der Jäger durch frische Beute, der Schüler durch neues Wissen.
Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich alle fünf Jahre
Diese Jagd ist heute wichtiger denn je. Denn Wissen hat sich in unserer Informationsgesellschaft längst zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor entwickelt. Körperliche Arbeit wird immer unwichtiger als geistige Fähigkeiten, Internet und Massenmedien beschleunigen die Entwicklung. Schätzungen zufolge verdoppelte sich das Wissen der Menschheit im 18. Jahrhundert alle 100 Jahre, inzwischen dauert das nur noch fünf Jahre.
Unsere Lern-Tipps
Viele haben Probleme, Lernziele umzusetzen. Überlegen Sie sich genau, was Sie lernen wollen, und teilen Sie sich den Stoff in Häppchen auf - besser viele kleine Schritte als wenige große. "Ich will spanisch lernen" ist kaum zielführend. "Ich will jeden Samstag vor dem Frühstück zehn neue Vokabeln lernen" schon eher. So erleben Sie schneller Erfolge und bleiben länger motiviert.
E-Mails, Termine, Besprechungen - der Berufsalltag lenkt unser Oberstübchen ständig ab. Deshalb sollten Sie sich Gelerntes regelmäßig aufschreiben, aufsagen oder anderen erklären.
Klingt seltsam, hilft aber tatsächlich. Ein gesunder Schlaf ist extrem wichtig für ein besseres Gedächtnis. Studien, etwa der Universität von Kalifornien, zeigen: Wer sich mittags 20 Minuten hinlegt, steigert sein Denkvermögen gegenüber Nichtschläfern. Offenbar leert das Nickerchen das Kurzzeitgedächtnis und schafft Platz für neue Informationen.
Diese Beschleunigung macht auch vor der Industrie nicht halt: Die Lebenszyklen aktueller Produkte verkürzen sich, Innovationen müssen schneller auf den Markt kommen, der demografische Wandel tut sein Übriges. Waren im Jahr 2009 noch 31 Prozent der Mitarbeiter älter als 50, werden es 2017 schon 40 Prozent sein. Erst in der vergangenen Woche verlangte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass die Menschen in den Industrieländern später in Rente gehen sollten.
Jürgen Rüttgers fordert Abschied vom starren Renteneintrittsalter
Weil sich die Alterspyramide dramatisch verändert, fordert Jürgen Rüttgers den Abschied vom starren Renteneintrittsalter: „Ältere Menschen sollten als Teil der Gemeinschaft neue Aufgaben übernehmen“, sagt der Ex-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Zwischen der Einteilung „Arbeitszeit“ und „Alter“ liegt nach Meinung des 60-Jährigen das neue „Zwischenalter“ – die Phase nach dem Berufsaustritt, in der sich körperlich und intellektuell fitte Menschen gegen Bezahlung oder ehrenamtlich engagieren könnten.
Unabhängig davon, ob sich diese Forderung durchsetzt – schon heute gilt: Jeder Angestellte, ganz gleich auf welcher Ebene und noch intensiver als bisher, muss ein Leben lang dazulernen. Denn was heute gilt, kann morgen bereits überholt sein.
Viele Arbeitgeber stellen sich schon heute darauf ein. Im bundesweiten Demografie Netzwerk (ddn) haben sich seit März 2006 mehr als 300 deutsche Unternehmen und Institutionen zusammengeschlossen, die insgesamt etwa zwei Millionen Mitarbeiter beschäftigen. In einer Studie fand das ddn heraus: Von den über 50-Jährigen nimmt lediglich jeder Fünfte an einer betrieblichen Weiterbildung teil – fünf Prozent weniger als der Durchschnitt. Und zu wenig, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Nicht nur als Individuum, sondern auch als Unternehmen.
Kann man Lernen lernen?
Aber was können Erwachsene noch lernen? Worauf müssen sie dabei achten? Und wie können Führungskräfte die Lernfähigkeit der Mitarbeiter fördern? Anders gefragt: Kann man Lernen lernen?
Fragen, die den amerikanischen Psychologieprofessor Gary Marcus von der New- York-Universität bereits seit vielen Jahren beschäftigen. Der Wissenschaftler ist Experte auf dem Gebiet der Lernforschung. Und er hat dafür gesorgt, dass das Thema derzeit auch in den USA wieder diskutiert wird.
Das Gehirn zum wachsen bringen
In seinem neuen Buch „Guitar Zero“ beschreibt der Forscher das Resultat eines Selbstversuchs. Marcus, völlig unmusikalisch und talentfrei, versuchte Gitarre zu lernen. Im Alter von 40 Jahren.
Lernen in Prozenten
89 Prozent der Personalchefs glauben, Weiterbildung erhöhe die Motivation der Mitarbeiter.
40 Prozent der Deutschen macht es glücklich, Neues lernen zu können.
72 Prozent der Deutschen lernen an einem Werktag nichts Neues.
Bis vor einigen Jahren hätten ihn Forscherkollegen dafür noch ausgelacht. Denn lange Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass das menschliche Gehirn irgendwann ausgelernt hat. Doch das gilt inzwischen als widerlegt. Etwa durch eine Untersuchung des Neurologen Arne May vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Im Jahr 2008 gab er 20 Männern und 24 Frauen im Alter von 50 bis 67 drei Bälle und drei Monate Zeit. Nun sollten sie lernen, die Kugeln mindestens 60 Sekunden lang zu jonglieren, was keiner der Freiwilligen jemals zuvor geübt hatte. Nach Ablauf der Zeit unterzog May die Teilnehmer einem Hirnscan. Und siehe da: Wer Jonglieren gelernt hatte, bei dem hatte sich der Hippocampus vergrößert – jene Hirnregion, die für das Lernen zuständig ist.
Eine ähnliche Erfahrung machte erst kürzlich die Hirnforscherin Eleanor Maguire vom University College in London. So beliebt die britische Hauptstadt bei Touristen ist, so kompliziert ist sie für Taxifahrer. Wer die Lizenz zum Fahren ergattern will, muss sich 25.000 Straßen merken. Bis zu vier Jahre lernen Anwärter für die Prüfung. Eine erhebliche geistige Anstrengung. Aber eine, die im Gehirn Spuren hinterlässt – und zwar sprichwörtlich.
Maguire durchleuchtete für ihre Studie mehrmals das Gehirn von 79 Taxifahrern und 31 Kontrollpersonen. Vor dem Marathonbüffeln fand sie bei den Probanden keine Unterschiede, hinterher allerdings schon: Zumindest bei den erfolgreichen Prüflingen war der Hippocampus erheblich gewachsen. Bei den gescheiterten Anwärtern und den Kontrollpersonen war das Volumen hingegen gleich geblieben.
Diese und ähnliche Studien von Psychologen, Neurologen und Ökonomen haben das Bild des erwachsenen Gehirns in den vergangenen Jahren revolutioniert. Sie lassen vor allem einen Schluss zu: Lernen ist auch im Alter noch möglich. Was Hänschen nicht lernte, kann Hans immer noch nachholen. Egal, ob ein neues Musikinstrument oder eine neue Fremdsprache.
Der ganz alltägliche Gedächtnisschwund
Vor einigen Jahren beklagten sich in Südkorea immer mehr junge Berufstätige über Gedächtnisschwund. Telefonnummern oder Passwörter konnten sie sich kaum noch merken. Auch Neurologen diagnostizieren, dass die Menschen heute vieles nicht mehr so gut im Kopf behalten wie noch vor einem Jahrzehnt. Für viele Technikskeptiker stehen die Schuldigen fest: Das Internet! Smartphones! Laptops! Die Informationsflut! Manche Psychiater warnen sogar schon vor digitaler Demenz. Doch so ganz stimmt das nicht – zumal das Phänomen keinesfalls neu ist.
Lernzeit aufteilen
Der deutsche Gedächtnisforscher Hermann Ebbinghaus fand bereits im 19. Jahrhundert heraus: Nach etwa 20 Minuten erinnern Menschen sich nur noch an 60 Prozent des neuen Wissens, nach 24 Stunden an 30 Prozent. Langfristig bleiben nur etwa 15 Prozent im Kopf haften.
Beim Lernen verbinden sich im Gehirn, vereinfacht gesagt, Nervenzellen miteinander. Wie gut Menschen etwas lernen, hängt davon ab, wie stark diese Synapsen verknüpft sind. Kapazität wäre genug vorhanden, theoretisch zumindest. Durchschnittlich zwei Petabyte kann das erwachsene Gehirn abspeichern, das entspricht etwa dem Inhalt von 2000 aktuellen Festplatten.
Mammutaufgabe Chinesisch lernen
Doch anders als bei ihr wird davon vieles wieder vergessen. Deshalb sollten Erwachsene ihre Lernzeit aufteilen. Einen Monat lang pro Tag zehn Minuten zu büffeln bringt mehr als an einem Tag fünf Stunden.
Jens Trotzky ist dafür das beste Beispiel. Der Informatiker arbeitet seit 2008 beim IT-Konzern SAP. Vor zwei Jahren bekam der 32-Jährige das Angebot, für das Unternehmen nach China zu wechseln. Und da Trotzky sich schon immer für Asien interessierte, sagte er zu. Die Sache hatte nur einen Haken: Trotzky konnte kein Wort Chinesisch.
Dass die Sprache für jeden Westeuropäer eine echte Herausforderung darstellt, ist noch untertrieben. Etwa 75 000 unterschiedliche Schriftzeichen umfasst sie, wer sich im Alltag zurechtfinden will, sollte davon etwa 3000 kennen. Derzeit steht Trotzky bereits bei 1500 – was vor allem an zwei Dingen liegt. Zum einen unterstützt ihn sein Arbeitgeber bei der geistigen Mammutaufgabe und spendiert ihm einen Sprachlehrer, der ihm jede Woche insgesamt drei Stunden Einzelunterricht erteilt.
Der hat zumindest schon mal erreicht, dass Trotzky das Lesen einfacher fällt als das Sprechen. Vor allem deshalb, weil er Sorge hat, Wörter falsch zu betonen. Denn je nach Aussprache verändert sich die Bedeutung eines chinesischen Wortes komplett. So kann das Wort „ma“ je nach Betonung sowohl „Mutter“, „Hanf“, „Pferd“ oder „schimpfen“ heißen.
Ältere Menschen lernen anders
Zum anderen weiß Trotzky – anders als Pennäler in der Schule –, warum er sich die intellektuelle Plackerei antut. Irgendwann möchte er beim Einkaufen im Supermarkt ohne Gesten und den Hinweis „Das da!“ auskommen. Und in spätestens fünf Jahren will Trotzky eine Kundenpräsentation auf Chinesisch halten.
Aus Sicht von Lernforschern geht er genau richtig vor. Die Wissenschaftler sind in den vergangenen Jahren zu einem Fazit gelangt: Ältere lernen nicht schlechter. Sondern anders.
Bestehendes Wissen konservieren - und neues Wissen generieren
Die renommierte Altersforscherin Laura Carstensen von der Stanford-Universität geht davon aus, dass Menschen ihr Handeln – sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich – bewusst danach ausrichten, wie viel Zeit ihnen noch auf der Erde bleibt. In Kindheit und Jugend, wenn da noch so viel Zukunft ist, wollen sie neue Eindrücke gewinnen, neue Menschen kennenlernen und neue Informationen aufsaugen. Sprich: Sie sind umso neugieriger und wissbegieriger.
Doch je älter Menschen werden, desto wichtiger werden Sicherheit und Geborgenheit. Die sprichwörtliche Uhr läuft langsam ab – und umso mehr Wert legen sie darauf, bestehendes Wissen zu konservieren, anstatt neues zu generieren.
Lernziele vorgeben
Das müssen Unternehmen berücksichtigen. Wer die Lernfähigkeit der Mitarbeiter fördern will, muss ihnen zunächst einmal verdeutlichen, welche Ziele sie erreichen wollen. Beispiel Fremdsprache: Wollen sie in einem anderen Land lediglich im Restaurant Essen bestellen und mit Kollegen plaudern? Oder mit Geschäftspartnern Verhandlungen führen?
Dann sollten sie einen Plan aufstellen und Zwischenziele setzen. Etwa: Wie viel Zeit wollen sie investieren? Jeden Tag eine halbe Stunde? Und was wollen sie wann können? Wer sich an die Pläne hält und seine Ziele erreicht, erlebt Kompetenz – und die motiviert ungemein. Auch kann es helfen, Lernen an gewisse finanzielle Anreize zu knüpfen. Wichtig ist aber, dass diese Anreize – egal, ob Bonus oder Beförderung – erreichbar und attraktiv sind.
Margarete Voll hat ein solches Ziel deutlich vor Augen. Die 56-Jährige ist seit dem Jahr 2000 Abteilungsleiterin bei der Allianz in Frankfurt am Main und verantwortlich für 85 Mitarbeiter. In den nächsten Jahren würde sie gerne eine weitere Stufe auf der Karriereleiter nach oben klettern. Auch deshalb nimmt sie am Allianz Management Institute (AMI) derzeit an einer Weiterbildung teil.
Viele Großkonzerne haben inzwischen solche Akademien gegründet, knapp 100 so-genannte Corporate Universities gibt es in Deutschland. Sie tragen klangvolle Namen wie Siemens Learning Campus, ThyssenKrupp Academy, RWE Development Center oder Infineon Institute. Das AMI der Allianz gilt als eines der Vorzeigemodelle, im Jahr 2003 erhielt es als erste Firmenuni in Europa die Zertifizierung der European Foundation for Management Development (EFMD).
Weiterbildung muss sich lohnen
Voll startete im vergangenen Februar mit 32 Teilnehmern. In der ersten Seminarwoche ging es zunächst um konkrete Lernziele und eine genaue Selbsteinschätzung – welcher Teamtyp ist man, wo einzelne Stärken und Schwächen liegen. Dann wurden die Teilnehmer in Arbeitsgruppen eingeteilt. Nun bereitet Voll mit vier Kollegen, darunter auch solche aus Slowenien und den USA, ein Konzept zum Thema „E-Learning“ vor. Das sollen sie in der Abschlusswoche vor Allianz-Vorstandsmitgliedern präsentieren – unter realen Bedingungen. Denn je besser das Konzept, desto höher die Chance, dass es realisiert wird.
Die Versicherungsbosse nehmen sich bewusst Zeit für die AMI-Absolventen. Die Mitarbeiter sollen lernen, dass sich die Weiterbildung lohnt; dass sie dadurch Kontakt zu Vorgesetzten bekommen, die sie sonst selten bis gar nicht persönlich zu Gesicht bekommen.
Individualität
Keine Frage, solche Seminare sind schön und ehrenwert. Die Teilnehmer kehren mit einem guten Gefühl und ebensolchen Vorsätzen zurück in den Arbeitsalltag – und werden von der Realität mitunter hart geweckt. Der eine hat keine Zeit, das neue Wissen anzuwenden, der andere traut sich nicht und belässt es lieber beim Alten. Ein Problem, das den Personalern der Sick AG im baden-württembergischen Städtchen Waldkirch bewusst ist.
Das Unternehmen verdient sein Geld hauptsächlich mit Sensoren für die Fabrik-, Logistik- und Prozessautomation. Eine Branche, die ständig neue Produkte auf den Markt wirft. Wer rastet, der rostet.
Firmeneigene Akademie
Daher gründete Sick vor einigen Jahren eine eigene Akademie. Mehr als 80 Trainer und Berater organisieren dort jedes Jahr durchschnittlich 400 Veranstaltungen. Jugendliche können sich ohne Ausbildung bis zum Meister weiterbilden, Nachwuchsmanager bereiten sich auf Auslandseinsätze vor, ehemalige Mitarbeiter im Ruhestand bekommen Honoraraufträge. Das Problem ist nur: Viele dieser Weiterbildungsmaßnahmen werden im Arbeitsalltag nicht eingesetzt.
Um das zu vermeiden, begannen die Sick-Personaler vor einigen Jahren damit, Führungskräfte der unteren und mittleren Ebene zunächst in Seminare für Mitarbeiter- und Leistungsbewertungsgespräche zu schicken. Zur Wahl standen Programme wie „Erfolgreiche Kommunikation am Telefon“, „Konflikte als Chance“, „Veränderungen zum Erfolg führen“ oder „Wirksam führen“. Vor- und nachher konnten sie bei einem Coach individuelle Sitzungen besuchen, um Probleme und Ziele zu besprechen – und um zu überprüfen, ob sie das Gelernte im Alltag tatsächlich umsetzten. Mit positivem Ergebnis: Alle Teilnehmer sagten hinterher, dass sie dadurch mehr gelernt hätten.
Auch beim Otto-Konzern nehmen Beschäftigte regelmäßig an Weiterbildungen teil – unabhängig von ihrem Alter, unabhängig von der Hierarchieebene. Es gibt Förderprogramme für Nachwuchskräfte, Team- und Abteilungsleiter, Bereichsleiter sowie potenzielle Geschäftsführer. Die hauseigene Akademie bietet Seminare für Programmiersprachen, Persönlichkeitsentwicklung oder besseres Zeitmanagement. Seit einigen Wochen kooperiert das Unternehmen zudem mit der Zeppelin Universität. In einem siebentägigen BWL-Seminar unterrichten Wissenschaftler der Hochschule ausgewählte Mitarbeiter.
Ältere Mitarbeiter sind nicht unmotivierter als jüngere
Entscheidend aber ist nicht nur die Bandbreite des Angebots. Sondern, dass die Personaler von Sick und Otto ihren älteren Mitarbeitern Lernfähigkeit zutrauen. Eine Einschätzung, die durch zahlreiche Studien untermauert wird: Ältere Mitarbeiter sind mitnichten unmotivierter als jüngere. Denn, so Organisationspsychologe Guido Hertel von der Universität Münster: Arbeitnehmer über 50 sind stressresistenter, erfahrener und teamorientierter als Jüngere. Der Grund: Sie konzentrieren sich nicht mehr auf ihre eigene Karriere, sondern teilen ihr Wissen gerne mit jüngeren Kollegen – falls man sie lässt.
„Widerstände gegen Veränderungen hängen nicht mit dem Lebensalter an sich zusammen“, sagt Hertel, „sondern vielmehr mit dem Zeitraum, den ein Mitarbeiter am selben Arbeitsplatz zugebracht hat.“ Das gelte auch für die vermeintliche Lernmüdigkeit älterer Mitarbeiter. Auch die liege nicht am Alter per se, sondern an der Frage: „Was bringt mir neues Wissen überhaupt noch?“
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, reiste Andreas Lauth zwei Jahre lang jeden zweiten Freitagmittag vom thüringischen Zeulenroda 100 Kilometer gen Sachsen. Der damals 47-Jährige arbeitete als Bereichsleiter bei Bauerfeind, einem Hersteller von Bandagen, Prothesen, Kompressionsstrümpfen und Einlagen. Nebenbei absolvierte er an der Handelshochschule Leipzig (HHL) von 2005 bis 2008 einen berufsbegleitenden MBA – als einer der Ältesten in seinem Jahrgang.
Wichtiges und Unwichtiges
Doch das Lernen fiel ihm nicht schwer: Zum einen, weil er „wirklich brennende Lust auf das Studium“ hatte, wie Lauth rückblickend sagt. Zum anderen, weil er als Physiker einen Bezug zur Mathematik hatte und sich an einer Berufsakademie schon einmal in BWL weitergebildet hatte.
„Was ich lerne, hängt immer davon ab, was ich schon weiß und kann“, sagt Lernforscherin Elsbeth Stern von der ETH Zürich. Kinder verfügen über weniger Wissen, sind aber meist neugieriger, angstfreier und weniger risikoscheu und lassen sich deshalb eher auf Neues ein. Erwachsene hingegen können aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrung Wichtiges schneller von Unwichtigem unterscheiden, ihre Leistung besser reflektieren und ihre Kompetenz einschätzen. „Vor- und Nachteile des Lernens im Alter halten sich die Waage“, sagt Stern, „entscheidend ist, was man draus macht.“
Andreas Lauth hat etwas draus gemacht: Er hat den MBA ohne Probleme bestanden und sitzt bei Bauerfeind inzwischen im Vorstand, zuständig für Produktion, Einkauf und Logistik.
Dass sich Mitarbeiter so für ihr Weiterkommen engagieren, will man auch bei Itemis fördern: Das mittelständische IT-Unternehmen aus dem westfälischen Lünen hat das sogenannte 4+1-System eingeführt. Das Arbeitszeitmodell erlaubt es jedem Angestellten, einen Tag pro Woche zur persönlichen Weiterentwicklung zu nutzen. Was genau darunter fällt, hat der Vorstand bewusst offengelassen. Und diesen Vertrauensvorschuss honorieren die Mitarbeiter: Sie nutzen den Freiraum keinesfalls nur rund um die Itemis-Kernkompetenz Softwareentwicklung oder gar zum Faulenzen. Manche Mitarbeiter nehmen an gemeinnützigen Projekten teil, andere probieren in Arbeitsgruppen neue Technologien aus, wieder andere schreiben Bücher und Fachartikel.
Vor einigen Jahren hatten die Itemis-Chefs eine weitere Idee, um die Mitarbeiter weiterzubilden: Sie wollten ihnen Englischunterricht gönnen, doch die Kurse kamen nicht allzu gut an. Seit zwei Jahren wird der Unterricht in der Firmenzentrale von den Angestellten selbst organisiert und gestaltet, inzwischen sind die Seminare gut besucht.
Man lernt eben nie aus.