Blau machen Gegen faule Angestellte hat der Chef kaum eine Chance

In Spanien ging ein Beamter sechs Jahre lang nicht zur Arbeit, ohne dass es auffiel. In Deutschland ist das so zwar nicht möglich, aber gegen notorische Blaumacher haben Arbeitgeber auch hier schlechte Karten.

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Die Top Ten der Kavaliersdelikte
Jemand liegt auf einer Wieso Quelle: dpa
Jemand unterschreibt etwas Quelle: Eisenhans/Fotolia.com
Steuererklärung Quelle: dpa
Jemand hebt ein Portemonnaie auf Quelle: Andrey Popov - Fotolia
Bleistifte Quelle: corbis_infinite - Fotolia
Ein Mann schraubt Quelle: dpa
Bahn Quelle: dpa

Joaquín G. war Beamter im spanischen Cádiz – zunächst in der Stadtverwaltung, später wurde er zu den Wasserwerken versetzt. Eigentlich sollte den Bau einer Kläranlage überwachen. Das tat er nicht.

In der Zeit zwischen 2004 und 2010 habe er nichts zu tun gehabt und sei deshalb gleich ganz zuhause geblieben. Nur ab und an habe er in seinem Büro nachgeschaut, ob es nicht doch Arbeit für ihn gäbe. Das Ganze flog auf, als man ihn für lange und treue Dienste auszeichnen wollte.

Die schlechte Nachricht für Arbeitnehmer: So etwas  ist in Deutschland nicht so einfach möglich.

Die schlechte Nachricht für Arbeitgeber: Einem notorischen Blaumacher etwas nachzuweisen, ist genauso schwer. Denn wer „den Gelben“ hat, hat Recht.

„Der Kern des Problems ist, dass ein Attest einen hohen Beweiswert hat“, sagt Frank Weberndörfer, Partner der Großkanzlei Norton Rose Fulbright. „Dagegen anzugehen, ist nur schwer möglich.“ Für Arbeitgeber sei das häufig überaus frustrierend.

"Dann bin ich eben krank!"

Es gebe jedoch auch Fälle, in denen die Beweiskraft eines ärztlichen Attest erschüttert sei. Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn ein Mitarbeiter schon im Vorfeld angekündigt habe „wenn ich an dem Tag keinen Urlaub bekomme, dann bin ich eben krank“. Dabei handele es sich bereits um die Drohung mit einem Betrug, die sogar zu einer fristlosen Kündigung führen könne, sagt Weberndörfer.

So fliegen Blaumacher auf
Urlaub verlängernKurz vor oder nach dem Urlaub krank zu werden ist ärgerlich und kann vorkommen. Wenn Arbeitnehmer aber besonders häufig rund um ihre Urlaubstage ans Bett gefesselt sind, macht dies verdächtig, nicht krank zu sein, sondern einfach länger die Ferien auskosten zu wollen. Quelle: dpa
Brückentage auskostenMan kann sich an Brückentagen offiziell frei nehmen – und so seine Urlaubstage strategisch übers Jahr verteilen und effizient ausnutzen. Oder man lässt sich einfach krankschreiben. Wer besonders häufig an Brückentagen oder an Montagen und Freitagen fehlt, gerät schnell in Verdacht, ein Blaumacher zu sein. Quelle: dpa
Sich vor unangenehmer Arbeit drückenWer sich immer wieder zu den Zeiten krank meldet, in denen eher unangenehme Aufgaben anfallen, fällt auf. Schnell kann der Verdacht auftreten, dass es kein Zufall ist, dass jemanden Bakterien und Viren exakt in jenen Arbeitsphasen aufsuchen. Quelle: Fotolia
Sich in sozialen Netzwerken verplappernWer sein Leben gerne auf Facebook & Co. mitteilt, sollte beim Blaumachen vorsichtig sein – vor allem, wenn dort Kollegen und Chef mitlesen. Manch einer markiert sich gerne nach seiner Ankunft im Urlaubsparadies oder posted erste Fotos. Das sollte man jedoch lassen, solange man krankgeschrieben ist und man eigentlich im Büro bei der Arbeit hätte erscheinen sollen. Auch belanglose Meldungen können jemanden verraten – sofern nicht die Einstellung deaktiviert ist, das Facebook den Veröffentlichungsort mit posted. Quelle: dpa
Attest verlangenDer offensichtlichste Weg, zu prüfen, ob ein fehlender Mitarbeiter tatsächlich krank ist, ist ein Attest zu verlangen. Grundsätzlich sind Beschäftigte gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn sie wegen Krankheit ausfallen. Spätestens am vierten Krankheitstag muss eine entsprechende Bescheinigung eines Arztes vorgelegt werden. Allerdings räumt das Entgeltfortzahlungsgesetz dem Arbeitgeber zugleich das Recht ein, schon früher einen Krankenschein zu verlangen. Es liegt in seinem Ermessen, ob er das Attest schon am ersten Fehltag sehen will. Quelle: dpa
Auf Ärzte achtenOft stellen sich Ärzte als Mittäter heraus. Chefs sollten darauf achten, ob auf ihrem Schreibtisch ein Krankenschein gelandet ist, der von einem Mediziner ausgestellt wurde, der besonders häufig zum Attestblock greift. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass er es hier mit einem Blaumacher zu tun hat. Quelle: dpa
Zweitmeinung einholenChefs, die die Arbeitsunfähigkeit ihres Arbeitnehmers anzweifeln, können ihre Besorgnis der Krankenkasse mitteilen – und verlangen, dass diese ihren MDK (Medizinischen Dienst der Krankenversicherung) einschaltet. Dieser gibt gutachterliche Stellungnahmen zur Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten heraus. Und kann damit Blaumacher entlarven. Quelle: dpa

Natürlich könne es dann immer noch sein, dass der Mitarbeiter tatsächlich krank ist. Um das zu beweisen, reiche das ärztliche Attest dann aber nicht mehr. Dann müsste schon der Ehepartner oder sonstige Zeugen – besser noch ein Amtsarzt - die Krankheit bestätigen.

Kommt es zur Entlassung wegen eines falschen Attests, kann auch der Arzt als Zeuge vor Gericht geladen werden, erzählt Weberndörfer. Das Problem sei allerdings, dass sich auch der Arzt auf das verlassen müsse, was ihm sein Patient erzählt. Und da gibt es eben eine Menge, was auch für einen Mediziner schwer überprüfbar ist. „Kein Arzt schickt Sie mit Kopfschmerzen zur Arbeit, nur weil die nicht sicht- oder messbar sind.“

Zur Not kommt der Detektiv

Natürlich gibt es auch Ärzte, die schnell mit dem "Gelben Schein" zur Hand sind. Auch in diesem Fall dürfte ein Arbeitgeber das Attest anzweifeln und den Simulanten zu weiteren Beweisen verdonnern – oder ihm wegen Betruges kündigen. Allerdings führt niemand schwarze Liste mit diesen Ärzten. Immerhin: Wenn ein Arbeitgeber den begründeten Verdacht hat, dass einer seiner Mitarbeiter blau macht, darf er ihm einen Detektiv hinterher schicken. „Der Erkenntnisgewinn ist aber gering, solange der Detektiv den Arbeitnehmer nicht bei etwas erwischt, was seiner behaupteten Krankheit widerspricht“, so Weberndörfers Erfahrung.

Schließlich dürfen auch Krankgeschriebene Einkaufen, Spazieren gehen und leichten Sport machen. „Da müsste der Arbeitnehmer schon woanders arbeiten.“ Wer einfach nur faul auf der Couch liegt, ist also auf der sicheren Seite. Deshalb sei es so erstaunlich, dass die Deutschen so ehrlich seien und es im Großen und Ganzen so gut funktioniere, findet Weberndörfer.

Männer machen häufiger blau als Frauen

Laut einer Umfrage im Auftrag der Plattform Glassdoor machen rund zehn Prozent der deutschen Arbeitnehmer gelegentlich blau, Männer etwas häufiger als Frauen. Und grundsätzlich neigen die Jungen eher zum Blau machen, als die Alten: In der Generation 55 plus kann sich nicht mal jeder Zwanzigste vorstellen, einen Tag krank zu feiern. Arbeitnehmer unter 24 haben da die geringsten Skrupel.

Die erschummelte Freizeit verbringen sie hauptsächlich auf der Couch: 60,7 Prozent gaben an, an ihrem blauen Tag "einfach mal chillen" zu wollen. 38,7 Prozent sagen, der geschwänzte Arbeitstag sei der gerechte Lohn für ihre ansonsten harte Arbeit. 18,2 Prozent verbringen den Tag mit Freunden und Familie und 10,7 Prozent der Befragten gehen Shoppen.

Keine finanziellen Einbußen bei Krankheit

Und das Arbeitsrecht macht es ihnen leicht: Denn anders als in anderen Ländern drohen in Deutschland ja keine finanziellen Einbußen bei Krankheit, so Weberndörfer. Erst nach sechs Wochen, wenn die Krankenkasse finanziell für den Arbeitgeber einspringt, merkt der Kranke das am Kontostand. Denn ab der sechsten Woche übernehmen sie die sogenannte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – in der Regel beträgt das Krankengeld 70 Prozent des Brutto-Lohns, jedoch nicht mehr als 90 Prozent des erzielten Netto-Lohns. Und auch vom Krankgeld werden Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. „Am Ende der sechs Wochen werden deshalb viele wieder gesund“, so der Rechtsanwalt.

Hier machen die meisten Arbeitnehmer blau
Die gute Nachricht vorweg: Die Arbeit zu schwänzen kommt für viele Bundesbürger nicht in Frage. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GfK für die „Welt am Sonntag“ hervor. Demnach gaben fast 50 Prozent der Befragten an, noch nie blaugemacht zu haben. Bei 36 Prozent sei das letzte Mal länger als ein Jahr her. Quelle: obs
Dabei scheint das Pflichtbewusstsein in Ostdeutschland noch ausgeprägter als im Westen: Während in Ostdeutschland 44 Prozent der Befragten angaben, sie hätten schon einmal blaugemacht, liegt diese Quote im Westen bei 53,4 Prozent. Unterm Strich zeigt sich laut GfK-Meinungsforscher Klaus Hilbinger aber, „dass Deutschland über alle Regionen und Befragungsgruppen hinweg kein Land der Blaumacher ist“. Quelle: dpa
Die meisten Blaumacher leben allerdings in Berlin: 63,8 Prozent der Befragten aus Berlin gaben zu, schon einmal die Arbeit geschwänzt zu haben. Knapp dahinter folgt Schleswig-Holstein mit 63,6 Prozent Drückebergern und Hessen mit 58 Prozent. Quelle: dpa
Am zuverlässigsten sind dagegen die Einwohner Brandenburgs: Hier schwänzen nur 24,6 Prozent der Angestellten die Arbeit. Auf Platz zwei folgen die Sachsen mit 34,6 Prozent und die Bremer mit 40,3 Prozent. Quelle: dpa
Besonders pflichtbewusst sind die Beamten: Fast 60 Prozent der Staatsdiener haben noch nie blaugemacht. Quelle: dpa
Die Ergebnisse zeigen dem Bericht zufolge auch: Je älter die Befragten, desto seltener haben sie schon einmal die Arbeit geschwänzt. 49,5 Prozent der 50- bis 59-Jährigen gab sogar an, noch nie blaugemacht zu haben. Bei den 20- bis 29-Jährigen sind es dagegen 74,1 Prozent, die sich nach eigenen Angaben schon einmal eigenmächtig freigenommen haben. Quelle: dpa
Und auch bei den Geschlechtern gibt es Unterschiede: So gaben 54,4 Prozent der Frauen an, noch nie die Arbeit geschwänzt zu haben. Bei den Männern waren es nur 41,9 Prozent. Quelle: dpa

Natürlich gibt es auch den Fall der Kurzzeitkrankheit – wenn nach dem dritten Tag das Attest vorliegen muss, sind Angestellte eben nur drei Tage lang krank. Gerne passiere so etwas montags und freitags. „Das hat sogar der Gesetzgeber anerkannt und empfiehlt, in einem solchen Fall den Mitarbeiter vom medizinischen Dienst der Krankenkassen begutachten zu lassen“, sagt Weberndörfer. Seiner Erfahrung nach bringe das in der Praxis allerdings nicht viel, da der Dienst üblicherweise nicht binnen zwei Tagen den vermeintlich Kranken untersuchen könne.

Trotzdem sollten Arbeitgeber im Zweifelsfall den medizinischen Dienst beziehungsweise einen Amts- oder Betriebsarzt hinzuziehen. Er warne seinen Klienten in diesem Fall jedoch immer vor zu hohen Erwartungen. Die zweite Möglichkeit sei, schon ab dem ersten Krankheitstag ein Attest zu verlangen. Das steht dem Arbeitgeber auch von Gesetzes wegen zu. Aber Achtung: Trifft der Arbeitgeber eine generelle Anordnung, die für alle gilt, muss der Betriebsrat zustimmen.

Seiner Erfahrung nach seien Rückkehrgespräche zwischen Vorgesetztem und Angestelltem – „Ich mache mir Sorgen um Sie.“, „Geht es Ihnen wieder gut?“, „Was hatten Sie denn?“ -  ein gutes Mittel, um dem Mitarbeiter zu zeigen, dass sein Fehlen bemerkt wird.

Im Zweifelsfall bleibt dem Arbeitgeber noch die Kündigung. Denn Kündigungen wegen Krankheit sind grundsätzlich vom Gesetzgeber erlaubt, wenn auch nur innerhalb bestimmter Grenzen. Wer sechs Monate oder länger für ein Unternehmen mit mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer beschäftigt ist, fällt unter den gesetzlichen Kündigungsschutz und kann nur entlassen werden, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt werden kann. 

Der spanische Beamte Joaquín G. ist übrigens mittlerweile in Pension – und zur Rückzahlung eines Nettojahresgehalts in Höhe von 29.900 Euro verdonnert worden. Kein schlechter Deal: Sechs Jahre blau machen, fünf bezahlt werden.

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