Büro-Freundschaften Lass uns lieber Kollegen bleiben

Gute Freunde im Büro machen die Arbeit leichter? Kann sein, doch die Forschung zeigt: Manchmal ist mehr Distanz besser.

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Besserwisser im Job Quelle: Fotolia
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Lärm im Büro Quelle: Fotolia
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Es gibt Sätze, die erwartet man nicht aus dem Mund eines Londoner Unternehmensberaters. Schon gar nicht, wenn es um das Miteinander im Kollegenkreis geht. „Wir sind hier alle Freunde“, ist so ein Satz. Die Managementforscherin Jana Costas hörte ihn vor ein paar Jahren von einem Berater der ZOI Consulting.

Das Unternehmen heißt eigentlich anders und gehört zu den Großen der Branche, Costas anonymisierte es für eine Fallstudie. So wie Primatenforscher durch den ivorischen Dschungel pirschen, um das komplexe Sozialverhalten von Schimpansen zu studieren, hatte sich Costas in die Bürowildnis hinausgewagt, um über vier Monate hinweg die Unternehmenskultur in der Beratungsfirma zu untersuchen. Ihre Aufzeichnungen lesen sich verblüffend.

Bei ZOI Consulting fand Costas zunächst eine „Kultur der Freundschaft, die großen Wert auf individuelle Wahlmöglichkeiten, Offenheit, Gleichheit und Vielfalt legt“. Keine Spur von übertriebenem Ehrgeiz, Machtspielchen und immensem Druck. Alle kannten sich, mochten sich, redeten miteinander. Zu den regelmäßigen Veranstaltungen gehörten sogar gemeinsame Abende im Pub, an denen vom Analysten bis zum Direktor die ganze Abteilung teilnahm. Klingt verlockend. Oder etwa nicht?

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Wenn man schon täglich mindestens acht Stunden mit seinen Kollegen im gleichen Raum verbringen muss, sollte man doch eigentlich froh sein, wenn man sich dabei auch noch gut versteht. Tatsächlich bestätigen einige arbeitspsychologische Studien diese Ansicht.

Patricia Sias zum Beispiel, Forscherin an der Universität von Arizona, untersucht seit vielen Jahren soziale Beziehungen in Unternehmen. Freundschaften hätten größtenteils positive Effekte, sowohl auf Mitarbeiter als auch auf die ganze Organisation.

Kein Wunder, einerseits. Freunde im Büro unterstützen sich emotional, weisen einander auf Fehler hin, teilen wichtige Informationen miteinander. Sie erleichtern Karriereschritte und schützen gleichzeitig vor Angriffen von Kollegen oder Druck von Vorgesetzten.

Was man seinen Kollegen geben kann

Außerdem ist erwiesen, dass Freundschaften zwischen Mitarbeitern die Kreativität erhöhen. Gute Beziehungen steigern das individuelle Sicherheitsgefühl, deshalb trauen Mitarbeiter sich eher, Neues auszuprobieren. Außerdem können Freundschaften im Job das Wohlbefinden verbessern und die Kündigungen verringern.

Eines der ungewöhnlichsten Freundschaftspärchen der deutschen Wirtschaft bildeten der einstige Telekom-CEO René Obermann und sein heutiger Nachfolger und damaliger Finanzvorstand Timotheus Höttges. Bis zu Obermanns Scheidung von seiner ersten Frau waren die beiden Nachbarn und gingen morgens gemeinsam am Rhein joggen.

Kollegen zu Freunden machen?

Müssen wir also nur alle Kollegen zu Freunden machen, „Frollegen“ werden, und alles wird gut? Für rund ein Drittel aller deutschen Arbeitnehmer, die nach einer Studie des Beratungsunternehmens Gallup einen sehr guten Freund innerhalb der Firma haben, wären das gute Nachrichten. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn Freundschaften im Büro haben auch Nachteile.

Einige fand Jana Costas in ihrer Beraterstudie. Nach dem ersten Pub-Abend mit den Bürofreunden von ZOI Consulting führte sie mehr als 40 Interviews in der Firma. Die Ergebnisse enttarnen das Kumpel-Gerede als mehr oder minder hohle Fassade. Fazit: Die offene, freundschaftliche Atmosphäre wird vor allem deshalb vom Management geduldet und weiter kultiviert, weil sie eine perfide, aber effiziente Form der Kontrolle schafft.

Hierarchiefreie Kumpanei mit Vorgesetzten sei nur an der Oberfläche wirklich gleichberechtigt. Als ungeschriebene Regel gelte trotzdem, dass Autorität zu respektieren ist. Schlimmer noch: Soziale Kontakte außerhalb des Unternehmens würden verdrängt durch Kontakte mit Kollegen, damit die Mitarbeiter auch wirklich jede wache Minute der Firma widmen. Freundschaft am Arbeitsplatz, schreibt Costas, sollte deshalb nicht romantisiert werden.

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Doch kann man dieses von oben verordnete Zusammenrücken unter Kollegen überhaupt als Freundschaft bezeichnen? So vielschichtig und abstrakt der Begriff erscheint, gibt es unter Forschern doch Einigkeit über eine Sache, die einer echten Freundschaft immer zugrunde liegen muss: Vertrauen. Das hat auch Chad McBride in seinen Studien festgestellt. Der Psychologe der Creighton-Universität im amerikanischen Omaha erforscht gerade eine besonders tiefe Form der Arbeitsfreundschaft, die er „Work Spouse“, also Arbeitsehepartner getauft hat. Was diese Beziehung ausmacht? Tiefes Vertrauen, über längere Zeit aufgebaut. Außerdem seien sich die Arbeitseheleute in Ansichten und Einstellungen ähnlich.

Das ist nur zum Teil scherzhaft gemeint. Oftmals verbringe man mit seinem „Work Spouse“ mehr Zeit als mit dem echten Partner. Diese innige Beziehung kann im Job Vorteile bringen. Doch was passiert, wenn einer der Arbeitseheleute plötzlich die Arbeitsscheidung einreicht? Oder der eine endlich eine ordentliche Gehaltserhöhung erhält, während der andere leer ausgeht?

Um solchen Konflikten vorzubeugen, sollte man vor allem unangebrachte Vertraulichkeit vermeiden – denn die schadet der Arbeit genauso wie der persönlichen Beziehung. Faustregel: Je größer die Konkurrenz

zwischen ebenbürtigen Kollegen oder je stärker die berufliche Abhängigkeit voneinander, desto heikler ist eine Freundschaft im Job.

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Heißt konkret: Verzichten Sie im Zweifelsfall auf alle Informationen, die das Gegenüber belasten könnten. Und wägen Sie ab, wie weit Sie im Vertrauen Persönliches preisgeben, das eines Tages gegen Sie verwendet werden könnte – zum Beispiel heikle Themen wie Krankheiten oder Beziehungsprobleme. Sie können zwischenmenschliche Probleme potenzieren: „Konflikte sind unter Büro-Freunden zwar eher selten“, sagt die Psychologin Sabine Hommelhoff vom Lehrstuhl für Psychologie im Arbeitsleben an der Universität Erlangen-Nürnberg, „dafür aber umso schmerzhafter.“

Der Grund: Es werden gleich zwei Beziehungen belastet, die kollegiale und die freundschaftliche. Die häufigste Ursache dafür liegt in einem Grundwiderspruch der Büro-Buddys. Der Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem gemeinhin Transaktionsnormen gelten: Man erwartet für seine eigene Handlung eine Gegenleistung. In einer Freundschaft aber soll es um das Wohl des anderen gehen, ohne dass man selbst etwas dafür erwartet. „Das passt oft nicht zusammen und führt zu Konflikten“, sagt Hommelhoff.

Wenn einer befördert wird, der andere aber nicht

Kompliziert werde es, wenn eine Freundin befördert wird, die andere aber nicht. „Eine Studienteilnehmerin hat mir erzählt, dass sie eine Beförderung abgelehnt hat, aus Angst, die Freundschaftsbeziehung könnte leiden“, so Hommelhoff. Keine Frage, hinter einem solchen Akt der Selbstsabotage steckt falsch verstandene Loyalität – und die macht am Ende beide Freunde unglücklich.

Ein Patentrezept für richtiges Handeln gibt es nicht, die angemessenen Reaktion hängt vom Einzelfall ab. Klar ist: Missgunst hilft nie. Nicht unter Kollegen, schon gar nicht unter Freunden. Ehrlichkeit dagegen schon. Wenn sich ein Freund ungerecht behandelt fühlt, sollte er das sagen. Doch gerade in persönlichen Beziehungen sollte Kritik immer sachlich bleiben. Private und professionelle Konflikte sollte man keinesfalls vermischen.

In einem freundschaftlichen Unternehmen gibt es aber längst nicht nur Probleme auf der individuellen Ebene, wie Sabine Hommelhoff herausfand. In einem Experiment bemerkte sie, dass darunter schlimmstenfalls die ganze Organisation leidet. Dazu manipulierte sie Stellenanzeigen so, dass diese das inserierende Unternehmen entweder als freundschaftlichen oder als gewinnorientierten Arbeitsplatz darstellten. Im Anschluss befragte sie die Bewerber, welche Erwartungen sie an das Leistungsniveau im Unternehmen hatten.

Das Ergebnis: Freundschaftlich formulierte Stellenanzeigen führen zu sinkenden Leistungserwartungen. Hommelhoff warnt Unternehmen daher davor, die kollegiale Kuschelatmosphäre allzu sehr zu betonen: „Man denkt automatisch, wenn wir alle Freunde sind, dann kommt’s ja wohl nicht darauf an, wie viel ich hier leiste, sondern darauf, dass wir uns gut verstehen.“ Und das hat letztendlich noch keinem Unternehmen genutzt.

Es gibt also auch ein Zuviel an Freundschaft. Die Psychologen Rachel Morrison und Terry Nolan sehen Freundschaften zwischen Kollegen daher als Gratwanderung zwischen Loyalität und Leistungsbereitschaft. Ob sie funktioniert, hänge auch davon ab, wie man mit diesen Widersprüchen umgeht, schreiben die Forscher der Universität von Auckland in einem Forschungspapier.

Das Problem: Objektive Beurteilung der Arbeitsleistung einerseits und gleichzeitig bedingungslose emotionale Unterstützung andererseits sind nur schwer zu vereinbaren. Freundschaften könnten deshalb von der eigentlichen Arbeit ablenken, was dem Unternehmen ebenfalls schadet. „Menschen bewerten im Zweifel ihre Freundschaft höher als das Wohl der Organisation“, schreiben Morrison und Nolan. Sie schlagen deshalb einen Kompromiss vor. „Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Freundschaften und einer freundschaftlichen Atmosphäre“, so die Psychologen. Während Ersteres für manche wichtig sein kann, aber auch viel Aufwand verlangt und große Risiken birgt, sei Zweiteres oft die bessere Lösung.

Ein gutes Gefühl könnten aber auch Beziehungen vermitteln, die nicht ganz so tief gehen. „High-Quality Connections“ nennt die Psychologin Jane Dutton diese kurzen, aber intensiven positiven Momente, die man in vielen Arbeitssituationen herstellen kann. Wichtig sei dabei nicht, ob die Interaktion besonders lang oder besonders häufig auftritt – sondern dass man seinem Gegenüber aufmerksam und anerkennend begegne. Egal, ob das der Kaffeeverkäufer im Bistro oder die Kollegin aus der Buchhaltung ist.

Duttons Ansatz passt perfekt in eine Arbeitswelt, in der persönliche Kontakte im Unternehmen ohnehin schon kürzer und seltener werden. Befristungen sind Standard, Jobwechsel häufig, Telearbeit gehört zum Alltag. Die Vorteile, so die Forscherin, seien eindeutig: Nach einer solchen Begegnung fühlten sich Menschen lebendiger, stärker wertgeschätzt und weniger gestresst. Ohne den Überbau der Freundschaft – und ohne dass das Büro zur emotionalen Kältekammer verkommt.

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