Christiane Stenger "Unser Gehirn ist neugierig, aber auch faul"

Gerade auf der Arbeit lassen wir uns gerne ablenken. Buchautorin Christiane Stenger erklärt im Interview, warum das so ist – und wie wir unser Gehirn beim Prokrastinieren austricksen können.

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Gewichtheben hilft dem Gedächtnis
Gewichte stemmenEine Studie von Forschern am Georgia Institute of Technology hat gezeigt: körperliche Fitness bewegt auch den Geist. Die Untersuchung zeigte, dass ein kurzes Workout von gerade einmal 20 Minuten die Leistung des sogenannten episodischen Gedächtnisses verbessern kann. Dabei handelt es sich um einen Teil des Langzeitgedächtnisses, der speziell für das Erinnern von Ereignisketten im Laufe des Lebens zuständig ist. Untersucht wurden junge, gesunde Erwachsene. Die Forscher zeigten, dass ihr Erinnerungsvermögen um zehn Prozent gesteigert werden konnte, wenn sie Kraftsport machten. Quelle: REUTERS
Grüner Tee Das Gebräu ist nicht nur ein Muss für Entspannungsfanatiker und Meditationsfans, sondern auch Doping für die Hirnleistung - und eine Waffe gegen Alzheimer. Forscher der Universität Basel fanden heraus, dass sich durch grünen Tee die Zusammenarbeit verschiedener Hirnareale steigern lässt. Diese bessere Konnektivität sorgt zumindest kurzfristig für eine bessere Denkleistung. Aber auch langfristig hilft grüner Tee: Laut Wissenschaftlern der Universität von Michigan enthält er den Wirkstoff namens Epigallocatechin-3-gallate. Er kann Eiweißablagerungen verhindern, die bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielen. Quelle: dpa
YogaWer regelmäßig Yoga macht oder meditiert, kann seine Denkkraft auch im Alter länger hochhalten. Zu diesem Ergebnis kamen Psychologen der Havard Medical School, die Yoga-Übende, Meditierende und Nicht-Praktizierende in einer Studie miteinander verglichen. Dabei wurde die Gehirnaktivität der Probanden mit einem Magnetresonanztomographen gemessen, außerdem wurden Denkgeschwindigkeit und Auffassungsgabe geprüft. Den Gehirnleistungsvorsprung der Yoga-Übenden erklären die Psychologen mit drei Gründen: Erstens haben die Yoga-Praktizierenden stärker verknüpfte neuronale Netze, zweitens sind ihre Schaltkreise widerstandfähiger gegenüber Verletzungen und drittens gehen sie achtsamer mit ihren Aufgaben um. Quelle: dpa
SchlafenGute Nachrichten: Es geht auch bequemer. US-Wissenschaftler der Rochester Universität haben kürzlich anhand von Tierversuchen erneut belegt, dass einfaches Schlafen die Hirnaktivität fördert. Grund dafür ist nicht nur die Erlebnisverarbeitung, sondern auch eine Art „Recyclingfunktion“ des Gehirns. Dieses entsorgt im Schlaf den schädlichen, zellulären Müll des Tages. Kann das Gehirn seine Abfallentsorgung nicht durchführen, beispielsweise aufgrund von Schlafmangel, drohen Erkrankungen wie Alzheimer. Die Empfehlung der Forscher: Sieben bis neun Stunden Schlaf jede Nacht. Quelle: obs
Soziale KontakteQuatschen, Plaudern, Reden. Soziale Kontakte wirken wahre Wunder. Im Gehirn übernimmt die soziale Interaktion eine ähnliche Funktion wie Gehirnjogging – nur, dass nicht bestimmte Hirnregionen gezielt stimuliert werden, sondern verschiedene Bereiche. Amerikanische Neurologen von der Rush Universität haben über einen längeren Zeitraum Hunderte von Senioren begleitet und den Zusammenhang von Einsamkeit und Alzheimergefahr beobachtet. Das Ergebnis: Je einsamer sich die Probanden fühlten, desto größer wurde das Alzheimer-Risiko. Freunde, Familie oder ein Plausch mit den Nachbarn fördern das Wohlbefinden und festigen die Denkleistung. Quelle: dpa
SportEigentlich ist es kein Geheimnis: Ein gesunder Geist ruht in einem gesunden Körper. Trotzdem vernachlässigen viele Menschen ihre physische Fitness – und beeinträchtigen damit ihre Gehirnkapazität. Zahllose Studien belegen, dass Sport die Durchblutung des Gehirns und das Wachstum von Kapillaren und Nerven fördert. Wichtig: Wer keinen Six-Pack oder Traummaße hat, ist noch lange nicht benachteiligt. Wie Forscher der Universität Nebraska ermittelten, kommt es vor allem auf die aerobe Fitness an - also die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff aufzunehmen und zur Energieumwandlung zu gebrauchen. Beruhigend: Diese Fähigkeit lässt sich trainieren - durch Sport. Quelle: dpa
ErnährungDie richtige Ernährung ist wichtig für Körper und Geist. Das Gehirn macht zwar nur rund 2 Prozent des gesamten Körpergewichts aus, verbraucht allerdings – je nach Arbeitsbelastung – um die 20 Prozent der Energiereserven. Klar, dass dadurch auch die richtige Ernährung für die Denkaktivität eine große Rolle spielt. In einer Studie mit über 3600 Teilnehmern haben finnische Wissenschaftler die Bedeutung von Omega-3 Fettsäuren nachgewiesen - einer Fettsäure, die vor allem in Fisch vorkommt. Die Forscher vermuten: Ein regelmäßiger Verzehr von Fisch senkt bei älteren Menschen die Gefahr von unbemerkten Hirnschäden, Gedächtnisverlust oder Schlaganfällen um ein Viertel. Aber auch andere Lebensmittel können helfen: Verschiedene Vitamine und geringe Mengen Alkohol wirken belebend und vitalisierend auf Gehirnleistung und Laune. Quelle: dpa

E-Mails checken, Nachrichten lesen, ins soziale Netzwerk klicken: Gerade auf der Arbeit lassen wir uns nur allzu gerne ablenken. Christiane Stenger, ihrerzeit jüngste Abiturientin des Landes und jetzt Fernsehmoderatorin bei ZDF Neo, kennt das selbst. In ihrem Buch „Lassen Sie Ihr Gehirn nicht unbeaufsichtigt“ hat sie die Ursachen und Probleme analysiert – und Techniken entwickelt, die einem selbst wieder mehr Zeit und Konzentration bringen sollen. Handelsblatt Online hat mit der Autorin über besseres Zeitmanagement, positiven Stress und Multitasking gesprochen.

Christiane Stenger ist Autorin des Buches „Lassen Sie Ihr Gehirn nicht unbeaufsichtigt“. Quelle: Handelsblatt Online

Frau Stenger, Sie schreiben in Ihrem Buch, der Informationsüberfluss im Internet werfe uns gedanklich zurück. Müssen wir nun alle offline gehen?
Christiane Stenger: Nein, auf gar keinen Fall. Es ist nur wichtig, sich bewusst zu machen, welches Ablenkungspotential das Internet hat.

Wie zum Beispiel?
Beim Schreiben des Buches habe ich mich oft dabei erwischt, dass ich schnell etwas im Internet recherchieren wollte und eine Stunde später den 17. spannenden Artikel gelesen hatte. Das ist zwar interessant, hält aber definitiv von der Arbeit ab.

Aber das Internet braucht man doch auch für die Arbeit.
Klar. Wenn ich mich vom reizvollen Angebot des Internets weder ablenken lasse noch mich gestresst fühle, dann ist es natürlich super. Aber wenn ich merke, dass ich mich nicht mehr so gut konzentrieren kann, dann ist es sinnvoll, mein Verhalten zu überdenken und zu ändern.

Was schlagen Sie vor?
Man sollte darauf achten, ob man in den Pausen wirklich Nachrichtenseiten oder soziale Netzwerke besuchen will oder sich nicht doch lieber mal in Ruhe einen Tee macht. Unser Gehirn kann nicht permanent zur Hochform auflaufen. Es braucht zwischendurch Pausen, um alle Eindrücke und Informationen zu verarbeiten. Wenn ich das Gehirn den ganzen Tag nur zuballere, dann fehlen diese Ruhezeiten.

Sollte der Arbeitgeber Facebook und Twitter dann nicht ganz abschalten, um seine Mitarbeiter nicht in Versuchung zu bringen?
Das könnte eine Möglichkeit sein. Besser ist es aber, wenn ich, also der Mitarbeiter, mir selber mal ein paar Tage Auszeit von den sozialen Netzwerken verordne. Es geht hier vor allem darum, dass ich mich selbst in dieser Zeit beobachte und vielleicht bemerke, dass ich viel disziplinierter und konzentrierter bin, wenn ich nicht alle zehn Minuten auf Facebook klicke.

Zehn Tipps für mehr Produktivität
1. Tierfotos aufhängen…Klingt skurril, funktioniert aber tatsächlich. Davon ist zumindest Hiroshi Nittono von der Universität Hiroshima überzeugt. Für seine Studie im vergangenen Jahr teilte er 132 Freiwillige in zwei Gruppen. Gruppe A blickte zunächst auf Fotos verschiedener Kleintiere, darunter Hundewelpen und Katzenbabys. Gruppe B sah zwar ebenfalls Bilder von Tieren, allerdings von ausgewachsenen. Nun absolvierten alle Probanden unterschiedliche Geschicklichkeitsspiele. Und siehe da: In allen drei Experimenten schnitten jene am besten ab, die zuvor die Tierbabys angeschaut hatten. Nittono glaubt: Beim Anblick niedlicher Tiere wird uns sprichwörtlich warm ums Herz. Und dieses Gefühl kann offenbar auch unsere geistigen Fähigkeiten steigern – zumindest kurzfristig. Quelle: REUTERS
2… oder einen echten Hund anschaffenVorausgesetzt natürlich, der Arbeitgeber stimmt zu. Doch mit ziemlicher Sicherheit werden es ihm die Angestellten mit mehr Leistung danken. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie, über den der britische „Economist” vor einigen Jahren berichtete. Darin sollten sich die Freiwilligen zum Beispiel Ideen für einen Werbespot ausdenken. Bei manchen hatte es sich unter dem Konferenztisch ein Hund gemütlich gemacht – und genau jene Probanden waren am kreativsten. Außerdem fühlten sie sich auch am wohlsten. Quelle: dpa
Geschenke verteilenHöhere Löhne? Boni für besondere Leistungen? Alles schön und gut – aber kleine Geschenke helfen viel mehr. Das glaubt etwa Sebastian Kube, Verhaltensökonom an der Universität Bonn. In seiner Studie sollten im Jahr 2011 48 Studenten drei Stunden lang die Bücher einer Bibliothek katalogisieren – für zwölf Euro Stundenlohn. Doch Gruppe A gestattete Kube im Verlauf des Experiments eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent. Gruppe B schenkte er einen Gutschein für eine Thermoskanne im Wert von sieben Euro. Kaum zu glauben: Die Lohnerhöhung brachte gar nichts. Wirksam war hingegen der Gutschein: Er steigerte die Produktivität im Schnitt um 30 Prozent. Kube erklärt sich dieses Ergebnis mit dem so genannten Reziprozitäts-Effekt. Vereinfacht gesagt: Wer uns etwas schenkt, dem fühlen wir uns anschließend verpflichtet. Wer von seinem Unternehmen also ein Geschenk erhält, erhöht im Anschluss sein Engagement. Quelle: Fotolia
4. Im Internet surfenNoch immer soll es Unternehmen geben, die ihren Angestellten verbieten, während der Arbeit privat im Netz herumzusurfen – ein großer Fehler. Das zumindest legt eine Studie aus dem Jahr 2011 nahe. Don Chen und Vivien Lim von der Nationaluniversität von Singapur reichten 96 Studenten einen Text mit einer Länge von 3500 Wörtern. Darin sollten sie 20 Minuten lang jedes „E“ markieren – eine zugegebenermaßen stupide Aufgabe. Dann teilten die Wissenschaftler die Probanden in drei Gruppen. Die einen mussten eine zehnminütige Zusatzaufgabe lösen, die anderen konnten entspannen, wieder andere durften im Internet herumsurfen. Jetzt bekamen alle einen 2000 Wörter langen Text, in dem sie jedes „A“ kennzeichnen sollten. Wer sich am besten schlug? Jene Gruppe, die zuvor im Netz herumgesurft war. Offenbar sorgte Surfen für Entspannung und lud den geistigen Akku am besten auf. Quelle: Reuters
5. Mit Kollegen tratschenDie Psychologin Kathryn Waddington von der Universität von London befragte für ihre Studie im Jahr 2005 knapp 100 Krankenschwestern und –pfleger. Ergebnis: Ein kurzer Plausch in der Kaffeeküche oder in der Raucherecke war für die meisten eine gute Gelegenheit, um Frust und Freude zu teilen – und sich letztendlich wieder besser auf die Arbeit zu konzentrieren. Quelle: Fotolia
6. Musik hörenMusik hat durchaus magische Kräfte. Das konnte 2008 auch Costas Karageorghis von der Brunel-Universität in London nachweisen. 30 Freiwillige strampelten sich auf einem Laufband ab und lauschten währenddessen unterschiedlicher Musik. Und siehe da: Liefen die Freiwilligen zu einem Rhythmus von 120 bis 150 Pulsschlägen pro Minute, brachten sie bis zu 15 Prozent mehr Leistung – und fanden das Training außerdem weniger anstrengend. Quelle: dpa
7. Pflanzen mitbringenEin norwegisch-amerikanisches Forscherteam um Ruth Raanaas ließ für eine Studie im Jahr 2011 34 Studenten verschiedene Aufgaben lösen. Die eine Hälfte war derweil von Blumen und Pflanzen umgeben, die andere nicht. Mehrmals testete Raanaas die Aufnahmefähigkeit und Konzentration der Probanden – und stellte fest: Die Blumen-Gruppe schnitt jedes Mal besser ab. Offenbar steigerte die Flora die geistigen Fähigkeiten. Quelle: dpa

Warum dann nicht ganz ausschalten?
Ganz abblocken würde ich die sozialen Netzwerke nicht. Manchmal kommt man nicht weiter oder steckt in einer kleinen Denkblockade. Da kann zielloses im-Internet-rumklicken – ein Abschweifen vom Thema – sogar zu ganz neuen Gedanken und Ideen führen.

Aber ich sage ja nicht: Ich mache jetzt eine Pause und klicke 15 Minuten im Internet rum.
Nein, meistens zumindest. Oft wird es mir gar nicht bewusst. Aber wie gesagt, manchmal kann eine solche Ablenkung auch sinnvoll sein. Doch eine optimale Pause sieht anders aus.

„Ich habe keine Zeit für solche Sperenzchen“

Was wäre denn eine gute Art von Pause?
Mittagspause sollte man auf jeden Fall machen und auch in Ruhe essen. Am besten geht man noch kurz an die frische Luft und bewegt sich. Natürlich ist man oft aber lieber faul und geht schnell in die Kantine und dann gleich wieder an die Arbeit.

Gerade, wenn man viel zu tun hat.
Ja, man denkt: Ich habe keine Zeit für solche Sperenzchen. Aber aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es total viel bringt, wenn man noch mal ein paar Schritte geht, ein bisschen Frischluft schnappt und die Gedanken schweifen lässt.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch, morgens mal nicht die Mails zu lesen, sondern sich direkt den wichtigen Aufgaben zu widmen.
Ich würde nicht sagen, dass man die Mails gar nicht lesen soll. Man sollte sie auf jeden Fall überfliegen und die wirklich Wichtigen schnell erledigen. Doch darum geht es gar nicht.

Sondern?
Mir geht es darum, dass ich mich nicht den ganzen Vormittag damit beschäftige, Mails zu beantworten, die teilweise einfach banal sind. Auch, wenn ich es gerne mache, weil Mails schreiben nicht so anstrengend ist. Aber die Gefahr besteht, dass ich deswegen nicht mehr dazu komme, meine richtig wichtigen Projekte in Angriff zu nehmen.

Das kann ich doch auch nachmittags machen …
Aber nachmittags bin ich schon müde. Deswegen kann ich den Rest der Mails eher dann beantworten oder in einer Ruhepause.

Nun stören ja nicht nur Mails den Arbeitsfluss, sondern auch mal der Kollege. Wie kann ich damit am besten umgehen?
Optimal ist es, wenn es in einem Büro Rückzugsmöglichkeiten gibt, also Räume, in denen sich ungestört arbeiten lässt. Den netten Kollegen kann man höflich fragen, ob es total dringend ist oder ob er noch mal in einer Stunde wiederkommen kann.

Und wenn der  Chef neben mir steht?
Da hilft es nichts. Da muss die Arbeit eben warten.

Mails, Kollegen, das piepende Handy – das alles erfordert auch Multitasking. Kann sich mein Gehirn da überhaupt auf eine Sache fokussieren?
Solche Muster haben sich inzwischen eingeschlichen: Ich fange an, eine Mail  zu schreiben, telefoniere, schaue dabei noch schnell etwas nach und dann fällt mir ein, dass ich eigentlich vorhatte, einen anderen Vorgang zu bearbeiten.

Und wie ändere ich solche Muster wieder?
Ich habe eine Technik für mich gefunden, nämlich die Pomodoro-Technik.

Davon habe ich noch nie gehört.
Das ist eine Zeitmanagement-Technik. Ich stelle meinen Timer auf dem Smartphone auf 25 Minuten und nehme mir vor, mich nicht ablenken zu lassen und konzentriert an meinem Projekt zu arbeiten.

Und das funktioniert?
Ja. 25 Minuten sind eine super Zeitspanne. Das Gehirn bleibt ganz entspannt und ist noch nicht genervt, sich länger zu konzentrieren. Und wenn der Wecker klingelt, darf man schon wieder eine kleine Pause machen und kurz bewusst prokrastinieren.

Was, wenn mir in den 25 Minuten einfällt, dass ich eigentlich auch noch ganz dringend etwas anderes machen müsste?
Falls ein solcher Gedanke auftaucht und ich mich nicht mehr konzentrieren kann, weil mein Gehirn die ganze Zeit an die Tür klopft und sagt: „Ey, da ist noch etwas ganz Wichtiges!“, dann ist es natürlich sinnvoller, mich der anderen Aufgabe zuzuwenden. Wenn ich mir aber klar mache, dass ich das andere Projekt auch in 25 Minuten erledigen kann, mache ich mir eine entsprechende Notiz und arbeite an dem begonnenen Projekt weiter.

Manchmal liest man ja auch gar nicht bewusst Mails, sondern sieht nur ein kleines Fenster aufpoppen, das einem den Betreff anzeigt – und klickt dann auf die Mail.
Es macht Sinn, solche Funktionen auszustellen. Diese Fenster lenken einfach ab, da unser Gehirn unfassbar neugierig, aber auch faul ist, denn es will Energie sparen, denn man weiß ja nie, was noch kommt. Und wenn man eine Mail mal eine halbe Stunde später beantwortet, ist auch nichts verloren. Wenn etwas wirklich dringend ist, rufen die Leute sowieso an.

Sie schreiben, dass es meine Leistungsfähigkeit reduziert, wenn ich mich unterbreche oder unterbrochen werde.
Ja, Studien gehen davon aus, dass wir mehrere Minuten brauchen, um wieder ins Thema zu finden, vor allem, wenn es kompliziert ist.

Wie kann ich mein Gehirn dazu bringen, schneller wieder zum Thema zurückzukommen?
Das ist schwierig. Manchmal hilft da Papier und Stift: Man versucht sich zumindest an die letzten Gedanken zu erinnern und sie zu notieren.

Auch, wenn der Kollege mich unterbricht?
Man kann ja mal ausprobieren, wie er reagiert. Aber drei, vier Wörter sind ja schnell hingekritzelt. Und dafür hat sicher jeder Verständnis. In solchen Momenten muss man einfach egoistisch sein.

„Positiven Stress nehmen wir nicht wahr“

In solchen Situationen fühlt man sich häufig gestresst, das empfinden die meisten negativ. Sie schreiben in ihrem Buch aber, es gebe auch positiven Stress.
Stress hat im allgemeinen Sprachgebrauch diese negative Konnotation. Doch was wir als Stress bezeichnen, nennt sich Disstress. Den positiven Stress, den Eustress, nehmen wir gar nicht so wahr. Auch wenn in unserem Körper von der Aktivität her das Gleiche passiert.

Warum merken wir dann nicht, dass es Stress ist?
Wenn wir in allerletzter Minute noch eine Präsentation abschließen müssen, die sehr gut geworden ist, wissen wir: „Es läuft“ und nehmen die Situation daher nicht als Stress wahr. Stress ist ein subjektives Empfinden und hat immer damit zu tun, wie wir eine Situation einschätzen.

Kann ich meinen negativen Stress dann nicht einfach positiver sehen?
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber allein das Wissen darum, dass wir es in der Hand haben, wie wir Stress wahrnehmen, hilft schon und man kann versuchen, die Situation umzudeuten.

Wie das?
Es gibt zwei Bewusstseinszustände: Wenn ich meine Hand berühre, meine Finger spüre, bin ich im Jetzt. Und dann gibt es noch den Modus der schweifenden Gedanken, der auch als Grundzustand bezeichnet wird. In dem sind wir oft auch, wenn wir im Stress sind. Dann fahren unsere Gedanken Karussell und geben uns das Gefühl  „Oh Gott, wenn ich das nicht abgebe, dann werde ich entlassen“ oder „Der Kunde bucht mich nie wieder“. Da hilft es immer, sich ins Hier und Jetzt zu rufen, kurz durchzuatmen und sich zu fragen: Was muss jetzt wirklich getan werden? Dadurch kann ich der negativen Spirale entfliehen.

Aber wäre es nicht sinnvoller, die Spirale schon vorher zu stoppen oder gar nicht erst hineinzugeraten?
Klar. Das war ein Beispiel für die akute Stresssituation. Präventiv würde vielleicht ein Meditationskurs helfen. Das habe ich mal gemacht.

Sie empfehlen im Buch nicht nur Meditation, sondern auch die Ursachen für den Stress zu erforschen. Was sind denn die typischen Gründe?
Meistens hat man nicht früh genug angefangen oder Informationen zu spät bekommen und fühlt sich zunächst überfordert. Da darf man sich dann nicht vom Stresskarussell davon tragen lassen, sondern muss überlegen: Was kann ich jetzt tun, um diese Situation bestmöglich zu Ende zu bringen, ohne total durchzudrehen?

Aber ich muss ja erstmal merken, dass ich gestresst bin.
Das stimmt. Das wird nicht sofort klappen, das muss ich lernen. Aber wenn ich anfange, in stressigen Situationen auf meine Reaktionen zu achten, kann ich aufkommenden Stress zumindest erkennen und bewusst in den Jetzt-Modus wechseln, indem ich mir vielleicht einen Kaffee hole statt Panik zu schieben. Bewegung hilft auch, Stress abzubauen.

Sie schreiben auch, dass Struktur gegen Stress hilft, zum Beispiel ein Wochenplan. Was, wenn ich meine Ziele in der Woche nicht schaffe?
Man sollte nicht nur die Woche im Blick haben, sondern den ganzen Monat und sich vor allem nicht nur auf den einzelnen Tag konzentrieren. Manchmal nehme ich mir 100 Sachen vor und dann kommen 100 Sachen dazwischen, die ich nicht mehr einplanen kann. Dann habe ich das Gefühl, nichts geschafft zu haben und bin total demotiviert. Deshalb sollte man in größeren Zeiträumen denken. Und ganz wichtig: ausreichend Pufferzeiten einplanen.

Gerade, wenn ich gestresst bin, mangelt es auch mal an der Kreativität. Sie schreiben aber, dass Produktivität auch kreativ macht. Wie das?
Ein Vorurteil über Kreativität ist: Entweder bin ich kreativ oder nicht. Aber das ist falsch. Ich muss produktiv sein, um kreative Ideen zu sammeln. Kein Künstler dieser Welt hat einfach eine Idee. Das passiert durch Arbeit, dadurch, dass ich mich mit etwas beschäftige. Ideen fallen nicht vom Himmel.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich muss mir Inspiration holen. Designer verwenden dafür Bilder. Sie klicken beispielsweise Fotos im Internet durch und schauen, ob sie so zu einer Idee inspiriert werden.

Jetzt sind wir nicht alle Designer …
Nein, aber es geht darum, die eigenen gedanklichen Bahnen zu verlassen und dem Gehirn neuen Input zu geben. Ich kann mir zum Beispiel das Gegenteil von dem vorstellen, was ich erreichen möchte. Oder einfach über neue Wege nachdenken. Wenn ich keine Eier zu Hause habe und Pfannkuchen machen möchte, kann ich mich ja nicht nur fragen: Wo kriege ich jetzt Eier her? Ich kann mich auch fragen: Wie kann ich die Eier ersetzen?

Ist das nicht kompliziert?
Nein. Am Anfang denkt man vielleicht, es wäre viel mehr Aufwand und da müsse man jetzt total viel ändern. Aber im Nachhinein macht es das Arbeitsleben viel leichter.

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