Demografischer Wandel Autofirmen bauen Produktion altengerecht um

Das Durchschnittsalter der Gesellschaft steigt und immer weniger junge Menschen kommen auf den Arbeitsmarkt. In den Autowerken wird die Hälfte der Band-Arbeiter bald über 45 Jahre alt sein. Die Autofirmen reagieren darauf - und bauen ihre Fabriken für die älteren Beschäftigte um.

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Ein älterer Arbeiter im BMW-Werk Dingolfing Quelle: dpa

Sprossenwände und federnde Sporthallenböden am Arbeitsplatz, gesundes Bio-Essen in der Kantine - die Fabriken großer Automobilhersteller gleichen heute oft Fitness- oder Wellnesszentren. Tatsächlich joggen dort aber
keine Freizeitsportler auf Laufbändern: An den Produktionsbändern bauen - teils bereits ergraute - Mitarbeiter in engem Zeittakt Autos zusammen. Die Veränderungen am Arbeitsplatz sind demografisch bedingt: Weil in Deutschland immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen und das Durchschnittsalter der Gesellschaft insgesamt steigt, müssen große Autobauer ihre Fabriken auf die Beschäftigung Älterer umstellen.

Im Gegensatz zu vergangenen Jahren werden die Beschäftigten kaum noch durch Vorruhestandsprogramme früher in Rente geschickt. Experten schätzen, dass das Durchschnittsalter in der Automobilindustrie bis zum Jahr 2021 auf über 44 Jahre steigen wird. 2011 lag es noch bei 40 Jahren. Mehr als die Hälfte einer Belegschaft dürfte dann älter als 45 Jahre sein. Zuletzt waren es 38 Prozent.

Wie man Mitarbeiter ans Unternehmen bindet
Die Vertreter der Generation Y, also die bis zu 32 Jahre alt sind, verfügen über eine hohe Technologieaffinität und möchten möglichst schnell die Infos auf ihren Smartphones haben. Die Babyboomer-Generation, die 47- bis 65-Jährigen, wollen dagegen öfters mal entschleunigen. Dieser Konflikt kann auch am Arbeitsplatz stattfinden. Der Personaldienstleister Robert Half hat in einer Studie 2400 Manager weltweit gefragt, welche Karrierevorstellungen sie haben. Und daraus Schlüsse gezogen, wie Unternehmen die unterschiedlichen Potenziale nutzen können - nicht nur um Mitarbeiter zu binden. Immerhin sind sich laut der Studie alle Befragten einig: Das effiziente Arbeiten in generationenübergreifenden Teams ist schwierig.
Zusatzleistungen für die Mitarbeiter: Wie flexibel sind Gehalt und Zusatzleistungen? Mitarbeiter zu binden bedeutet auch: darauf achten, was unterschiedliche Altersgruppen für wichtig halten. Wer Kinder hat, wird wahrscheinlich auch mal von zu Hause arbeiten wollen. Anders als Berufsstarter, die in den ersten Karrierejahren vor allem Gas geben. Deshalb sollten clevere Arbeitgeber gemeinsam mit ihren Angestellten ein System entwickeln, das sich an den jeweils unterschiedlichen Lebensumständen anpasst. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen: In der Studie vom Personaldienstleister Robert Half gaben 52 Prozent der befragten Arbeitnehmer an, dass ihnen diese bessere Vergünstigungen und Zusatzleistungen besonders wichtig sind.
Flexible Arbeitszeiten: Unterschiedliche Biorhythmen laufen zu unterschiedlichen Uhrzeiten zur Höchstform auf. Der Arbeitgeber sollte darauf reagieren - und seinen Angestellten aus dem starren Schema "Nine To Five" herauslösen. Kommt das Unternehmen seinen Arbeitern entgegen, kann das zudem die Produktivität steigern.
Stärken der Mitarbeiter nutzen: Junge Mitarbeiter sind technikaffin. Ältere haben da öfters Nachholbedarf. Dafür sind Jüngere selten erfahren genug, um eine Übersicht bei den Prioritäten und Planung der Arbeit zu haben. Austausch der unterschiedlichen Vorteile in Form von Schulung und informellen Zusammenkommen könnten eine Lösung sein.
Teamgeist stärken: Der Austausch sollte nicht auf den Bürobereich beschränken. Den Teamgeist kann man auch durch gemeinsames Grillen stärken oder durch gemeinsame Freizeitunternehmungen, wie zum Beispiel Ausflüge und Wandern. Quelle: ZB
Die Expertise von älteren Mitarbeitern nutzen: 51 Prozent der Befragten planen auch nach Renteneintritt zu arbeiten. Arbeitgeber sollten dieses Potenzial nutzen: In Teilzeit arbeitende Rentner können jüngere Kollegen coachen. Die Arbeitsergebnisse werden dadurch besser, der Respekt zwischen den Generationen steigt.

Alternde Belegschaft fit halten

Arbeitswissenschaftler durchforsten im Auftrag der Autofirmen die Arbeitsplätze, bewerten jede einzelne Tätigkeit nach ergonomischen Kriterien und ersinnen Erleichterungen. Dabei setzen sie auch spezielle Anzüge ein, die Einschränkungen älterer Menschen im Bewegungsablauf und beim Sehvermögen simulieren. So sollen Arbeitsabläufe altersgerecht gestaltet werden.

Um Ausfälle durch Fehlzeiten zu vermeiden, müssen die Firmen tief in die Taschen greifen und ihre alternden Belegschaften fit halten. "Der Aspekt, dass etwas zu teuer ist, wird vor dem Hintergrund alternder Belegschaften unbedeutend", erläutert Gunther Paul, Arbeitswissenschaftler aus Köln. "Dagegen gewinnt der Gesichtspunkt an Bedeutung, Arbeitnehmer zu unterstützen, damit sie etwas leisten können." Davon profitieren auch jüngere Mitarbeiter, weil sie sich aufgrund der ergonomischen Gestaltung der Arbeitsplätze möglichst erst gar keine Langzeitschäden zuziehen.

Federnde Fußböden und Klipse statt Schrauben

Ungesunde Handgriffe, das Tragen schwerer Lasten ohne technische Hilfen und Überkopfarbeiten sollen vermieden werden. Stattdessen werden die Beschäftigten an den Produktionsbändern je nach Handgriff liegend oder sitzend auf Montagesitzen in die Fahrzeuge gefahren, etwa um Autohimmel zu montieren. "Vom Schrauben ist man weitgehend abgekommen, weil das die Handgelenke schädigt", schildert Thomas Löffler von der Technischen Universität Chemnitz die neue Fabrikwelt. Verkleidungen werden mit Klipsen befestigt, die genauso sicher halten wie Schrauben, sich aber leichter anbringen lassen. Je nach Produktionsschritt werden die Karosserien gedreht, angehoben oder gesenkt, damit die Arbeiter Handgriffe auch am Unterboden machen können, ohne sich bücken zu müssen.

Höhere Qualität durch ältere Belegschaft

Arbeiter in einem Audi-Werk Quelle: dpa

Einer der Vorreiter war BMW in seinem Werk Dingolfing. In einem Pilotprojekt nahm der Münchner Autokonzern bereits im Jahr 2007 die Altersstruktur von 2017 vorweg und stellte die Produktion um. Überraschendes Ergebnis: Die Produktivität der im Schnitt acht Jahre älteren Beschäftigen bei dem Versuch war nicht geringer als die der übrigen Mitarbeiter, die Qualität aber höher, schildert BMW-Sprecher Jochen Frey die Erfahrungen. Seither wurden weitere Werke umgerüstet, mehr als 5000 Beschäftigte arbeiten inzwischen an Arbeitsplätzen, die nach den neuen Erkenntnissen gestaltet sind. Statt eines harten Hallenbodens setzt BMW gelenkschonende Holzfußböden ein und bietet Ausgleichsgymnastik an Sprossenwänden an, um Ermüdung und Schäden durch einseitige Belastungen der Bandarbeit vorzubeugen.

Arbeiter rotieren zwischen einzelnen Stationen am Band, um Schäden durch einseitige Dauerbelastungen zu vermeiden. Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Einzelmaßnahmen, die von schwenkbaren Monitoren mit großer Schrift über Lupen und ergonomische Sitze bis hin zu speziellen Schicht- und Arbeitszeitmodellen reichen, die den Bedürfnisse älterer Mitarbeitern angepasst wurden. Demnächst sollen auch die Arbeitsplätze in der Verwaltung altersgerecht werden.

Andere Branchen folgen

Auch VW, Audi und Daimler lassen ihre Mitarbeiter rotieren und bieten Schulungen für gesunde Ernährung an. Bei Daimler können Mitarbeiter ihre Rückenmuskulatur an fahrbaren Einheiten direkt am Arbeitsplatz trainieren, um Verspannungen zu vermeiden. Bei Volkswagen läuft in der Golf-Fertigung in Wolfsburg ein spezielles Laufband parallel zum eigentlichen Produktionsband und verhindert so, dass die Beschäftigten bei bestimmten Arbeitsschritten rückwärts laufen müssen. Das Produktionsband selbst besteht aus federndem Parkettholz, um die Belastungen für Rücken und Knie in Grenzen zu halten.

Das Prinzip macht Schule: Auch die Baubranche lasse inzwischen Tätigkeiten analysieren, berichtet Löffler. "Alle sind sensibler geworden." Der Grad, dies auch umzusetzen, sei allerdings unterschiedlich. Vorruhestandsregelungen, mit denen die Unternehmen bis vor wenigen Jahren noch Personal abbauten, um die Kosten zu senken, sind dagegen out.

Sie haben nach Meinung von Arbeitsmarktexperten mit dazu beigetragen, dass viele Betriebe heute gut ausgebildete Fachleute händeringend suchen. Stattdessen sollen die Beschäftigten bei Laune gehalten werden, damit sie möglichst lange arbeiten können.

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