Die Geschichte des Büros Willkommen in der geistigen Legebatterie!

Ob eingepfercht in Boxen oder verschließbaren Zellen – im Büro beschleicht einen das Gefühl: „Der Mensch ist frei geboren, und liegt doch nine-to-five in Ketten.“ Die Arbeitsplatzgestaltung im Wandel der Zeiten.

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Das moderne Büro Quelle: Fotolia

Die Welt dreht sich schnell und immer schneller, verraten uns die Soziologen, nur im Büro steht alles still. Kein Fortschritt nirgends, weit und breit. Der Mensch hat im vergangenen Jahrhundert den Fernseher erfunden, den Mond besucht und das Genom entschlüsselt, allein sein Angestelltenleben innoviert, das hat er nicht.

„Wenn ich im Büro stehe, werden meine Glieder langsam zu Holz, das man sich wünscht, anzünden zu können, damit es verbrenne“, hat der Schweizer Bankkaufmann und Riesenschriftsteller Robert Walser vor 100 Jahren bemerkt – und seine Miniaturen über den milden Horror aus Kollegialität, Einpassung und Langeweile im regelmäßig bezahlten Dienstalltag sind bis heute unübertroffen. „Wem das saure tägliche Brot nur so auf den Monatssalärtisch fällt, der muss sich verpflichtet fühlen, nach und nach zur kontraktlich regelmäßigen Maschine zu werden“, schreibt Walser, „im Ernst: dies ist erste und letzte Aufgabe... Wer einen Posten besetzt, muss alles Unpostengemäße wegwischen.“

Kleiner Kanon der Büroliteratur

Dabei ist es bis heute geblieben. Noch immer riecht die Büroluft nach Anonymität und Organisation, nach Funktionalität und Vergemeinschaftung, nach Kreativitätswüste und liniertem Denken. Ganz gleich, ob eingepfercht in blickgeschützten Boxen oder lichtdurchfluteten Aquarien, in milchverglasten Vorzimmern oder verschließbaren Zellen, ob Seit an Seit im Metropolenloft oder eingelassen in die Weite einer aufgelockerten Bürolandschaft mit Kaffee-Vollautomat und Schallschutz-Stellwänden – im Büro beschleicht einen, frei nach Jean-Jacques Rousseau, das Gefühl: „Der Mensch ist frei geboren, und liegt doch nine-to-five in Ketten.“

Humane Käfighaltung

Natürlich hat es an Versuchen nicht gefehlt, das Klima der subordinierten Verzwergung im Büro zu verbessern. Im Gegenteil, die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes ist geradezu definiert als Geschichte des andauernden Versuchs, ihn zu optimieren. Doch je kühner Architektur-Avantgardisten und Management-Gurus die Perfektionierung des arbeitsteiligen Miteinanders auch vorantrieben – heraus kam am Ende immer nur eine weitere Mode der humanen Käfig- und Kleingruppenhaltung.

Mehr noch: Folgt man dem US-Journalisten Nikil Saval, der unlängst eine neue Biografie des Büros vorgelegt hat, ist der moderne Arbeitsplatz als doppelte Metapher für das Versprechen von Freiheit, Kreativität und Aufstieg in der modernen Gesellschaft zu deuten – und für den routinierten Verrat an diesen Idealen. Kein anderer Arbeitsplatz habe so viele Hoffnungen in Bezug auf eine (bessere) Zukunft geweckt – und kein anderer so gründlich enttäuscht.

Vom Kontor zur Bürofabrik

Die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes lässt sich in drei Phasen einteilen. Am Anfang steht der Kontorist, der dem traditionellen Einzelkaufmann mit der Erledigung einfacher Büro- und Verwaltungsarbeiten zur Hand geht oder als Commis in einem Bankhaus Korrespondenzen erledigt. Ihre Schreibtische haben die ersten Büroarbeiter in Ruf- und Blickweite des Geschäftsinhabers stehen; das Verhältnis zum Chef ist persönlich und von Loyalität getragen.

Im Zuge der Spezialisierung entstehen Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa in Hamburg, sogenannte Kontorhäuser. Sie sind die Vorläufer zunehmend arbeitsteilig organisierter Büros voller Menschen, die sich dann im Zuge der industriellen Revolution sowohl räumlich als auch ideell von den Produktionsstätten lösen: Die Belegschaften zerfallen in Arbeiter und Angestellte. Es ist die Geburtsstunde des modernen Büros, mit Fahrstühlen, Schreibmaschinen, Telefonen, Leitz-Ordnern – und dem Statusversprechen „Mittelschicht“.

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