Duzen im Job Für dich immer noch Sie!

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Siezen ist ein Zeichen von Respekt

Bevor er sich selbstständig machte, arbeitete Pfitzner bei der Investmentbank Lehman Brothers in London. Nach der Pleite der Bank im Zuge der Finanzkrise fuhr er für die Organisation Ärzte ohne Grenzen auf Einsätze, dort sprachen die Kollegen überall Englisch. Das einheitliche „you“ überzeugte ihn. Die Gespräche fänden „automatisch auf Augenhöhe statt“ und seien unkomplizierter als auf Deutsch. Heute ist er deshalb selbst mit jenen Investoren per Du, die aus Traditionskonzernen stammen. „Denen gefällt es, dass es bei uns nicht so formell zugeht“, sagt der Gründer, „daher lassen sie beim nächsten Termin auch mal die Krawatte weg.“ Nun könnte man die neue Lässigkeit durchaus begrüßen. Denn der moderne Chef soll nicht mehr über die Angestellten herrschen wie ein König über sein Volk. Und wo alle enger zusammenrücken und dadurch auch sprachliche Barrieren fallen, entstehen Nähe und Wärme, von denen alle profitieren können. Könnte man meinen.

Albert Klein hat daran so seine Zweifel. Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Versandhändlers Baur wollte eigentlich der Politik des Mutterkonzerns Otto folgen. Deshalb bot er beim Mittagessen sogar Praktikanten das Du an. „Eine ziemlich große Umstellung“, sagt der 60-jährige Manager. Er entstammt einer Generation, für die es undenkbar war, Vorgesetzte zu duzen – alleine schon aus Respekt.

Simulierte Gleichheit

Unternehmen wie die Otto Group hoffen, mit der neuen Sprachregelung einen Wandel in der Firmenkultur anzustoßen: Diskussionen und Absprachen sollen direkter ablaufen, sodass Mitarbeiter sich im Optimalfall eher trauen, Kritik oder Ideen zu äußern. Damit will der Versandhändler schneller reagieren, auf Wünsche der Kunden ebenso wie auf Vorschläge der Mitarbeiter.

Bei derartigen Gesprächen kann ein Sie tatsächlich hinderlich sein, sagt Tim Hagemann, Arbeitspsychologe an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Dennoch sieht er den Ansatz kritisch: „Ein Kulturwandel lässt sich nicht von oben verordnen“, sagt Hagemann, „schon gar nicht durch eine rein sprachliche Neuregelung, wenn sonst alle Strukturen gleich bleiben.“ Vorstellbar ist für ihn eher der umgekehrte Weg: Hat ein Unternehmen Hierarchien bereits abgebaut, kann danach die Einführung des Dus naheliegen – in Absprache mit den betroffenen Kollegen.

Ob dieser Schritt aber in einem Konzern mit Tausenden von Mitarbeitern sinnvoll ist, bezweifelt Hagemann. Große Unternehmen bräuchten nun einmal klare Regeln, wer entscheidet: „Ein Du würde hier eine Gleichheit von Chef und Mitarbeitern vorgaukeln, die im Zweifelsfall aber gar nicht gilt.“

Stattdessen betont der Psychologe, dass das Siezen Vorteile für beide Seiten hat: Vielen Führungskräften falle es dann leichter, Verhalten zu kritisieren, Fehler anzusprechen oder unbeliebte Aufgaben zu verteilen. Umgekehrt klären auch viele Angestellte sensible Fragen lieber auf einer neutralen Siez-Ebene – eine Bitte des duzenden Chefs, etwa nach Überstunden und Wochenendarbeit, können manche Mitarbeiter schlechter abweisen. Denn Menschen, die uns scheinbar nahestehen, wollen wir nicht enttäuschen.

Umfragen bestätigen das Unbehagen gegenüber dem Du am Arbeitsplatz: Zwei Drittel aller Deutschen lehnen das Duzen zwischen Chef und Mitarbeitern ab, ergab eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK aus dem Oktober 2016. Besonders groß sind die Vorbehalte in den Metropolen: In Berlin und Hamburg stören sich etwa 90 Prozent aller Befragten an der vertraulichen Anrede, wenn sie vom Vorgesetzten oder von Untergebenen kommt. Das Duzen unter gleichrangigen Kollegen dagegen findet bundesweit mit 88 Prozent breite Zustimmung.

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