Das Ehrenamt steht in Deutschland hoch im Kurs. 2011 engagierten sich 11,5 Millionen Deutsche freiwillig im Dienste der Allgemeinheit. Und auch der vor einem Jahr ins Leben gerufene Bundesfreiwilligendienst erfreut sich großer Beliebtheit. Die 35.000 Stellen, die bis Anfang Juli 2012 vergeben werden sollten, waren schon im März besetzt. Darüber hinaus absolvieren etwa 50.000 Jugendliche derzeit ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr. „Das sind mehr als je zuvor in Deutschland“, sagt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder.
Eine erfreuliche Entwicklung für die Träger sozialer Einrichtungen, aber auch für die Wirtschaft. Denn junge Menschen, die sich sozial engagieren, erlangen dadurch Fähigkeiten, die ihnen im Berufsleben später zu Gute kommen können. Das glaubt Sörge Drosten, Geschäftsführer bei Kienbaum Executive Consultants International. „In den klassischen Aufgabenbereichen lernt man zum Beispiel zuzuhören, geduldig zu sein und auf Menschen einzugehen. Alles Fähigkeiten, die ein guter Chef auch braucht“, sagt er.
Dass sich Teilnehmer solcher Dienste genau diesen Vorteil ausrechnen, glaubt Drosten nicht. „Das Programm dauert immerhin zwölf Monate. Da muss man schon für brennen“, sagt der Kienbaum-Partner. Auch Sophia von Rundstedt, Geschäftsführende Gesellschafterin der Personalberatung Rundstedt HR Partners, glaubt nicht, dass sich Menschen ehrenamtlich engagieren, um damit ihre Karriere zu befördern.
Der Freiwilligensurvey des Bundesfamilienministeriums zeichnet ein etwas anderes Bild. Je jünger die Befragten, desto eher wollen sie durch ihr freiwilliges Engagement auch beruflich vorankommen. Immerhin jeder Vierte zwischen 14 und 30 Jahren stimmte dieser Aussage voll und ganz zu.
Soziales Engagement als Karrieresprungbrett
Zwar geben 43 Prozent der Befragten an, durch ihr freiwilliges Engagement nicht beruflich vorankommen zu wollen. Aber immerhin jeder Vierte der jungen Freiwilligen verspricht sich auch bessere Karrierechancen.
Sie sind weit weniger auf ihre Karriere fixiert. 72 Prozent engagieren sich ohne Hintergedanken. Nur acht Prozent wollen auch beruflich vorankommen. Die restlichen 20 Prozent stimmen der Aussage zumindest teilweise zu.
In dieser Altersgruppe sieht die Verteilung ähnlich aus. Nur fünf Prozent versprechen sich berufliche Vorteile durch ihr Engagement. 78 Prozent ist der Effekt für die Karriere egal.
Bei den Rentnern steht das Ziel, die Karriere voranzutreiben, naturgemäß nicht im Vordergrund. 88 Prozent haben nicht die Absicht ihr freiwilliges Engagement für die berufliche Karriere auszuschlachten.
Doch vor genau dieser Haltung warnt Sörge Drosten. Er ist überzeugt, dass „diese Heuchelei spätestens im Bewerbungsgespräch“ auffliege. Denn beim persönlichen Gespräch haken die Interviewer häufig nach und wollen Details wissen. Wie lange sind Sie schon Mitglied in der Organisation XY? Was machen Sie da genau? Schildern Sie doch mal eine konkrete Situation, in der Sie bei Ihrer ehrenamtlichen Arbeit etwas für ihre berufliche Laufbahn gelernt haben?
Wichtig für Berufseinsteiger
Wer auf solche Fragen nur Floskeln parat hat oder anfängt zu stottern, ist schnell entlarvt. Wer aber zeigt, dass sein Engagement nicht nur auf dem Papier besteht und ihm nützliche Fähigkeiten vermittelt hat, steigert seine Attraktivität für den Arbeitgeber. Vor allem Berufseinsteiger können davon profitieren. Denn für denjenigen, der noch keinerlei berufliche Erfahrung hat, „ist ein Ehrenamt oftmals der entscheidende Faktor, weil der Neuling dadurch Kompetenzen erworben hat, die andere noch nicht haben – zum Beispiel Verantwortungsbewusstsein“, sagt Sophia von Rundstedt.
Auch erfahrenere Kollegen, bei denen grundsätzlich meist fachliche und branchenspezifische Kompetenzen im Vordergrund stehen, können mit freiwilligen Tätigkeiten punkten. „Bewerben Sie sich auf eine Führungsposition, stellt sich der Personaler umso mehr die Frage nach den persönlichen Kompetenzen, hier sind Ehrenämter wichtige Indikatoren“, sagt die Beraterin.
Das kann Drosten aus eigener Erfahrung bestätigen, denn noch heute profitiert er von seinem Zivildienst in der Unfallambulanz. In diesen 20 Monaten habe er gelernt, in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren. „Diese Mechanismen werden heute noch in mir freigesetzt, wenn es im Beruf mal heiß hergeht“, sagt der studierte Betriebswirt.
Genau solche Rückschlüsse müssen Bewerber im Vorstellungsgespräch ziehen, wenn sie nach ihren Fähigkeiten gefragt werden. Einfach die eigenen Soft Skills aufzählen, reicht nicht aus. Am eindrucksvollsten erscheinen diese, wenn sie mit Beispielen aus der freiwilligen Arbeit untermauert werden. Häufig fällt das ganz leicht, weil die persönlichen Interessen sowohl den Berufswunsch als auch das gewählte Ehrenamt bestimmen.
Was Personaler schätzen
Bewerber müssen allerdings wissen, dass nicht jede ehrenamtliche Tätigkeit für Arbeitgeber den gleichen Stellenwert hat. „Personaler schätzen es meist höher ein, wenn Sie benachteiligten Kindern nach der Arbeit Bücher vorlesen, als wenn Sie seit zehn Jahren im Vorstand des Tennisvereins sind“, meint Sophia von Rundstedt.
Wo sich die Deutschen freiwillig engagieren
Fast jeder Zweite engagiert sich in einem Verein. Die thematische Aufstellung ist hierbei sehr breit. Das kann vom Sportverein über den Musikverein bis hin zum Naturschutzverein alles sein.
14 Prozent der Befragten helfen in der Kirche oder anderen religiösen Einrichtungen, das ergab der Freiwilligensurvey des Bundesfamilienministeriums.
Etwa genauso viele Menschen engagieren sich in Gruppen und Initiativen. Thematisch spielen hier Umwelt und Bildung eine große Rolle.
Fast jeder Zehnte fühlt sich dieser Gruppe zugehörig. Die freiwillige Feuerwehr und Rettungsdienste sind hierbei die wichtigsten Einrichtungen.
Immerhin sieben Prozent engagieren sich in Verbänden. Berufs-, Gesundheits- und Umweltverbände sind die wichtigsten.
Diesen beiden Organisationsformen haben sich vier Prozent der Befragten angeschlossen.
Viele Bewerber fürchten, dass ein Engagement in politischen Parteien auch negativ wirken könne, da sie meist nicht wissen, welchem politischen Lager sich ihr Gegenüber zugehörig fühlt. Eine unbegründete Sorge meint Personalberater Drosten. „Mit den richtigen Argumenten sollte es einem ehemaligen CDU-Gemeinderatsmitglied auch möglich sein, einen Arbeitsplatz bei einer Gewerkschaft zu bekommen“, sagt er. Wichtig sei, sich genau zu überlegen, was man in einem Vorstellungsgespräch zu seiner Parteizugehörigkeit sagt, wenn man danach gefragt wird. Von Rundstedt empfiehlt: „Vernachlässigen Sie inhaltliche Positionen, heben Sie stattdessen heraus, welche Fähigkeiten Sie durch die politische Arbeit erlernt haben.“
Investition ins Karma
Wer nie ein Ehrenamt innehatte, braucht allerdings nicht in Panik zu verfallen. Denn ein Ausschlusskriterium sei soziales Engagement für Personalverantwortliche meist nicht. „Das können sich Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels nicht leisten“, sagt die Beraterin. Es sei mittlerweile sogar oftmals umgekehrt: Bewerber fühlten Unternehmen auf den Zahn und fragten, wie diese sich sozial engagierten. Das Beratungsunternehmen Rundstedt selbst unterstützt zum Beispiel die Initiative Arbeiterkind.de. Sie ermuntert Kinder aus nicht Akademiker-Familien dazu, ein Studium zu beginnen. Viele der Rundstedt-Mitarbeiter engagieren sich als Mentoren oder moderieren Informationsveranstaltungen.
Auch Manager und Führungskräfte, die schon lange in ihrem Job sind, entdecken plötzlich ehrenamtliches Engagement für sich. Sophia von Rundstedt kennt einige Investmentbanker, denen es auf einmal nicht mehr genug war, das große Geld zu verdienen. „Einer hat zum Beispiel eine Auszeit genommen und für ein halbes Jahr in Südamerika mit Straßenkindern gearbeitet“, erzählt sie.
Doch es gibt auch noch andere Gründe für das plötzliche Erkennen der eigenen sozialen Ader. Die Chicago Booth School of Business kommt zu einem skurrilen Forschungsergebnis: Menschen beginnen Gutes zu tun, wenn sie auf ein Ergebnis warten, das sie nicht mehr beeinflussen können. Zum Beispiel wenn sie auf die Rückmeldung zu einem Bewerbungsgespräch oder auf die Note einer Klausur warten. Die Wissenschaftler nennen das „Investition ins Karma“. Die Menschen glauben, dass sie mit guten Taten ihr Schicksal positiv beeinflussen können. Auch hier gilt: Soziales Engagement wird überbewertet.