Was ist wichtiger, Zeit oder Geld? Martin Neitzel hat die Frage vor vielen Jahren für sich beantwortet, und manchmal denkt er daran, wenn er am Mittwochmorgen sein orangefarbenes Trikot überstreift, auf sein Rennrad steigt und an Menschen vorbeifährt, die aussehen, als müssten sie gleich ins Büro.
Mittwoch ist Neitzels Fahrradtag, zumindest während der wärmeren Monate. Dann macht der Diplom-Informatiker aus Braunschweig mehrstündige Radtouren, oft fährt er hundert Kilometer oder mehr. Manchmal spielt er mittwochs auch Gitarre, oder er bastelt an uralten Rechnern herum, die in seiner Dreizimmerwohnung stehen. "Auf ein Haus oder ein Auto kann ich gut verzichten, aber nicht auf Zeit für mich", sagt Neitzel. Er habe schon früh herausgefunden, was ihn glücklich mache. Deshalb ist er seit elf Jahren Teilzeit-Chef, ohne Kinder, aber mit vielen Interessen. Gemeinsam mit drei Freunden hat er vor 21 Jahren ein Softwareunternehmen gegründet, das heute Dienstleistungen rund ums Internet anbietet. Und schon bei der Gründung schrieben die vier Geschäftsführer in ihre Verträge, dass keiner gezwungen werden dürfe, mehr als 20 Wochenstunden für die Firma zu arbeiten. Ein paar Jahre später reduzierten dann tatsächlich alle ihre Arbeitszeit, die drei anderen Geschäftsführer gründeten Familien, Neitzel wollte mehr Raum für sich. Damals habe man den Kunden zunächst viel erklären müssen, weil die einen Ansprechpartner rund um die Uhr wollten, sagt Christine Müller, die einzige Frau im Gründungsteam.
Aber das ist lange her. Inzwischen hat die Firma Gärtner Datensysteme 14 Mitarbeiter, Büros in einer schicken Fabriketage und Kunden, denen es egal ist, ob sie aus einem Büro, vom Spielplatz aus oder aus einer Privatwohnung zurückgerufen werden. Und die Teilzeitkultur ist ein Wettbewerbsvorteil geworden, sagt Müller, sie mache das Unternehmen für junge Bewerber attraktiv. Die Firmengründerin selbst arbeitet jede zweite Woche halbtags, genau wie ihr Mann. Als sie ein Pflegekind annahmen, haben beide ihre Arbeitszeit reduziert. Christine Müller will bei ihrer Stundenzahl aber auch dann bleiben, wenn das Kind erwachsen ist. "Man braucht Zeit für sich", findet sie. "Ich habe festgestellt: 30 Stunden sind ideal."
Die Informatikerin formuliert ziemlich genau, was viele Arbeitsmarkt- und familienpolitische Experten denken. Auch die Unterhändler von Union und SPD hat bei den Koalitionsverhandlungen kein Thema so elektrisiert wie die Idee, Eltern und ihre Kinder durch eine andere, bessere Verteilung der Arbeitszeit zu unterstützen.
Gleich mehrere Gesetze sollen das bewirken, falls eine schwarz-rote Regierung zustande kommt: Wer von einer vollen auf eine Teilzeitstelle wechselt, soll das Recht bekommen, seine Stunden wieder aufzustocken. Dadurch würde vermutlich vielen Beschäftigten die Angst genommen, mit dem Wechsel auf eine Teilzeitstelle dauerhaft alle Chancen auf Karriere oder auch nur auf eine ausreichende Rente zu verspielen. Pflegende sollen leichter in Teilzeit arbeiten können, und Elterngeld soll häufiger an Teilzeitkräfte gezahlt werden als bisher.
Fast hätten sich Union und SPD auch noch an einen etwas größeren Wurf herangetraut, den Wissenschaftler verschiedener Institute wärmstens empfehlen: die sogenannte Familienarbeitszeit. Dabei würde der Staat bis zu drei Jahre lang Paare mit Geld unterstützen, wenn sie wegen der Betreuung kleiner Kinder ihre Arbeitszeit auf achtzig Prozent reduzieren – und zwar beide.