Film "Mobbing und nun" Psychoterror schafft nur Opfer

Jürgen J. Köster und Ruben van den Belt haben untersucht, wie Mobbing Menschen zerstört. In ihrem Film lassen sie die Opfer sprechen, und sie zeigen Auswege.

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Die fiesesten Mobbing-Attacken
Laut einer TNS Emnid-Studie ist jeder sechste Deutsche (15 Prozent) selbst einmal Opfer von Mobbing am Arbeitsplatz geworden. Doch nicht jede Lästerei gilt als Mobbing. Die Gewerkschaft verdi definiert Mobbing als "fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen." Dazu gehören Angriffe auf die Möglichkeit, sich zu äußern, Angriffe auf die sozialen Beziehungen, Angriffe auf das soziale Ansehen, Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation sowie Angriffe auf die Gesundheit. Meistens entwickelt sich Mobbing jedoch langsam und steigert sich... Quelle: Fotolia
Der Karrierecoach Martin Wehrle hat sich näher mit dem Thema Mobbing und den einzelnen Stufen befasst. Meistens beginnt es mit einfachem Lästern über einen Kollegen oder eine Kollegin. Auf einmal wird alles, was an dem Betroffenen anders ist, durch den Kakao gezogen und jede Kleinigkeit wird zu einer Riesenmarotte aufgeblasen. Man spricht nicht mehr mit dem Kollegen, sondern über ihn. Quelle: Fotolia
Die nächste Stufe ist, nicht mehr nur über die Eigenarten des Kollegen zu tuscheln, sondern ihn damit zu verspotten. Seinen Gang oder seine Sprechweise zu imitieren, ihm verletzende Spitznamen zu geben oder offen über ihn zu lachen. Quelle: Fotolia
Viele Mobber suchen bei ihren Opfer nach winzigen Fehlern und überschütten sie dann mit völlig überzogener Kritik. Wer ständig vor allen anderen gesagt bekommt, dass die eigene Arbeit nichts taugt und ihm ständig Fehler unterlaufen, der wird unsicher - und macht Fehler. Quelle: Fotolia
Der nächste Schritt ist dann oft, den Kollegen beim Chef anzuschwärzen, weil er angeblich nur Fehler macht und dann auch noch zu langsam arbeitet. So sorgen die Mobber dafür, dass der Betroffene auch noch bei den Führungskräften einen schlechten Stand hat. Quelle: Fotolia
Spricht das Mobbingopfer die Kollegen direkt an, wird es nicht selten für verrückt erklärt. Der Kollege sei bloß überempfindlich, verstehe keinen Spaß oder habe offensichtlich psychische Probleme. Quelle: Fotolia
Experten beobachten außerdem, dass der Ton immer schärfer wird, je länger das Mobbing andauert. Nicht selten kommt es vor, dass der betroffene Kollegen angeschrien wird. Quelle: Fotolia

Ständig werden dem Kollegen Informationen vorenthalten, oder er wird absichtlich falsch informiert. Irgendwann zieht ihn der Chef zur Rechenschaft. Kritik ist alltäglich, selbst kleinste Vergehen werden aufgebauscht. Irgendwann bekommt der Mitarbeiter nur noch unliebsame und stumpfsinnige Arbeiten. Vielleicht versetzt man ihn. Aufstiegschancen, Anerkennung und Ermutigung gibt es nicht. Immer mehr Kollegen distanzieren sich, oder sie halten sich lieber heraus. "Ich will da nicht reingezogen werden." Irgendwann stellt der Betroffene fest: Ich bin Mobbingopfer geworden.

Die beiden Filmemacher Jürgen J. Köster und Ruben van den Belt sind der Abwärtsspirale des Mobbings nachgegangen. Sie haben in Deutschland und den Niederlanden mit Opfern gesprochen und Psychologen, Mobbingexperten, Arbeitsberater und Juristen interviewt. Der Film Mobbing und nun... analysiert Mobbingprozesse und zeigt, welche fatalen Auswirkungen Mobbing hat. 

Gut jeder Neunte wird im Laufe seines Berufslebens einmal Opfer von Mobbing und Schikane, zeigt eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Die Folgen können dramatisch sein: Gezielte Schikane kann Menschen zerstören. Eine Betroffene, die der Dokumentarfilm zeigt, möchte nicht erkannt werden. Unkenntlich gemacht und mit verzerrter Stimme berichtet sie von ihrer auswegslos scheinenden Lage. "Ich wachte nachts oft schweißgebadet auf, mein Schlafanzug war pitschnass." Ein anderer berichtet, wie ihn Mobbing in eine tiefe Depression gebracht hat: "Ich fahre über die Landstraße und mir ist alles egal."

Wo genau verläuft die Grenze zwischen normalen Streitereien und gezielter Schikane? Experten sagen: Solange sich das Opfer wehren kann, ist es noch kein Mobbing. Erst wenn der Prozess über ein längere Zeit hinweg stattfindet, sich eine Systematik zeigt und das Opfer in dauerhafte Unterlegenheit gerät, kann von Mobbing gesprochen werden. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat verschiedene Eskalationsstufen ausgemacht. Im extremsten Fall geht es ihm zufolge darum, das Mobbingopfer komplett niederzumachen. Nicht selten erreicht ein Mobbingprozess diese Stufe.

Selten Antwort auf die Frage nach dem Warum

Die Suche nach Ursachen ist für die Opfer quälend. Das zeigen die beiden Regisseure eindringlich. Bin ich schuld? Was habe ich falsch gemacht? Oft gibt es darauf keine Antwort. Zwar kann Mobbing aus einem Konflikt heraus entstehen, aber das muss nicht so sein. Fatal ist, dass sich das Opfer während der anhaltenden Schikane verändert. Die ständigen Angriffe gehen nicht spurlos an der Seele vorbei. Das kann auch das soziale Umfeld belasten.

Eine Interviewte berichtet, dass ihr Ehemann ihr eines Tages nicht mehr glauben wollte. "Man damaliger Mann mutmaßte: Irgendwo musst du einen Grund dafür gegeben haben, gemobbt zu werden." Victim-Blaming wird es genannt, wenn dem Opfer selbst die Schuld an seiner Misere zugeschoben wird. Bei Mobbing kommt es in der Regel zu so einem Verhalten. Die Täter und die Mitläufer weisen die Verantwortung von sich und dem Opfer zu.

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