Gefälschte Lebensläufe Was darf es heute sein: Anwalt, Pilot oder Arzt?

Eine Politikerin, die behauptet Anwältin zu sein, ein Psychiater, der eigentlich Postbote ist oder ein Chirurg mit Realschulabschluss: Betrüger schaffen es immer wieder ganz nach oben. Was sie antreibt.

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Ärzte in weißen Kitteln, aufgenommen am 17.01.2015 in Magdeburg. Quelle: dpa

Als Christian E. am sechsten September 2007 seine Forschungsarbeit vor Gefäßchirurgen im Congress Center in Basel vorstellt, war das mit 28 Jahren schon eine beachtliche Leistung. Der junge Assistenzarzt aus Erlangen besaß zwei Doktortitel, einen für Medizin aus Oxford und einen für Ökonomie. Er versorgte Patienten, war bei fast 190 Operationen dabei und schulte sogar OP-Kräfte. 14 Monate lang arbeitete er als Dr. Dr. Christian E. in der Chirurgie der Uniklinik Erlangen.

Doch E. ist kein Mediziner, sondern ein Hochstapler. Mit gefälschten Zeugnissen und Urkunden erschlich er sich eine Stelle als Assistenzarzt. Sogar bei einer Organtransplantation soll er beteiligt gewesen sein.

Es ist diese Mischung aus Größenwahn, Dreistigkeit und Geschick mit der die scheinbaren Meister der Fassade durchs Leben gehen. Sie üben auf viele Menschen eine unerklärliche Faszination aus.

Hochstapelei gestanden: SPD-Frau hat Lebenslauf erfunden

Nicht umsonst wurde die Verfilmung von Frank Abagnales Leben mit „Catch me if you can“ zum weltweiten Erfolg. Leonardo di Caprio verkörperte ihn in dem Film über seine Jahre als Hochstapler. Eine wahre Geschichte von einem jungen Mann, der sich sofort in jede gesellschaftliche Rolle einfühlt.

Der Hochstapler Abagnale war täuschend echt als Pilot, Arzt, Anwalt - ohne einen dieser Berufe gelernt zu haben. Was wie ein scheinbar unerkanntes Genie wirkt, ist in Wahrheit allerdings Symptom einer groben Persönlichkeitsstörung. Lügen, um besser dazustehen, sei zwar ein häufiges Phänomen, sagt Harald Freyberger, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald.

Wenn allerdings jemand seinen Lebenslauf fälscht und sich zu etwas macht, das er nicht ist, sei das schon eine „grobe Störung der Realitätswahrnehmung“, sagt Freyberger zum aktuellen Fall Petra Hinz.

Wo noch vor einem Tag ihre Biografie zu sehen war, findet sich auf der Internetseite der Essener SPD-Politikerin jetzt eine weiße Seite. Bis zum Dienstag hatte Hinz – ausweislich ihres bislang beim Bundestag hinterlegten Lebenslaufes – sowohl das Abitur als auch das erste und zweite rechtswissenschaftliche Staatsexamen. Dass man sich beides ausdenkt, hat es in der Geschichte des Parlaments noch nicht gegeben. Eine Bundestagsabgeordnete müsse schließlich immer damit rechnen, dass ihr Lebenslauf von einem Journalisten überprüft wird, sagt der Psychiater. Wenn sie dann trotzdem maßgebliche Teile erfinde, zeuge das von einer tiefgreifenden Realitätsverweigerung.

„Diese Menschen verlieren zeitweise das Gefühl dafür, dass ihre Lügen nicht real sind“, sagt Freyberger. Dafür gibt es verschiedene Gründe: „Oft ist das Selbstwertgefühl so gering, dass die Betroffenen sich besser machen wollen.

Eine im Juni in Kiel zu einer Bewährungsstrafe verurteilte falsche Lehrerin hatte jahrzehntelang in mehreren Bundesländern gearbeitet. Trotz gefälschter Abschlüsse und Urkunden flog sie erst jetzt auf. Sobald jemand allerdings soweit geht, das Leben und die Gesundheit anderer dafür aufs Spiel zu setzen, komme noch eine dissoziale Komponente und ein hohes kriminelles Potenzial hinzu.

"Vom Briefträger zum Leiter einer Psychiatrischen Klinik"

Um die Gesundheit anderer ging es auch im Fall des ehemaligen Schiffarztes und Berliner Anästhesisten, der momentan in Berlin vor Gericht steht. Bis November 2015 hatte er über ein Jahr lang als vermeintlicher Schiffsarzt gearbeitet, vor allem auf der "Aida Vita" in der Karibik. Es habe nie Beschwerden gegeben, immer nur Lob, berichtete sein Anwalt laut „Tagesspiegel“ vor Gericht. Tatsächlich gebe es für dauerhafte Schäden bei Patienten bislang keine Anhaltspunkte. Immerhin war der Hochstapler an einer Berliner Klinik als Pfleger ausgebildet worden.

Der Fall erinnert an den aus Bremen stammenden Briefträger Gert Postel, der einige Bekanntheit erlangt hat. Er konnte von seiner Arbeit als falscher Arzt lange nicht ablassen, arbeitete sogar fast zwei Jahre als Oberarzt in einer Psychiatrischen Klinik. Abschlüsse und Titel waren gefälscht. Den Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy, der für die Gesundheitsbehörde der Stadt Flensburg arbeitete, gab es in Wahrheit nur auf dem Papier. Die erbrachte Arbeit, war dennoch real.

Der Beruf der Eltern interessiert den Arbeitgeber nicht
Eine stilisierte Familie mit Vater, Mutter und einem Kind Quelle: dpa
Alter des Bewerbers Quelle: Fotolia
Ein Priester hält einen Rosenkranz Quelle: dpa
Bewerbungsfoto Quelle: Fotolia
Kindergarten, Schulzeit Quelle: dpa
Tabelle in Microsoft Excel Quelle: AP
Referenzen zwei Kollegen schütteln Hände Quelle: dpa

Wer selbstsicher genug auftritt, schafft es häufig genug in anderen Berufen Fuß zu fassen - selbst wenn es sich um einen Hochstapler handelt. Wie im Fall des gelernten Maschinenschlossers Alwin S., dem es vor wenigen Jahren tatsächlich gelang, sich als falscher Professor staatliche Fördergelder in Höhe von 350.000 Euro zu erschleichen.

Oder einem kaufmännischen Angestellten, der sich 1974 anderthalb Jahre erfolgreich als „Rechtsanwalt Dr. Buckert“ ausgab, ohne nur ein Semester Jura studiert zu haben - ein bis dahin einmaliger Fall in der deutschen Rechtsgeschichte.

Sich selbst aus der Spirale ihrer Lügen zu befreien, gelingt den Betroffenen so gut wie nie. „Sie denken, dass sie ohne diese Merkmale, Jurist, Arzt, Professor, nichts wert sind“, sagt Freyberger. Diese Mischung aus antisozialer und narzisstischer Persönlichkeitsstörung sei für Hochstapler typisch.

Die dissoziale Komponente führe dann in stark ausgeprägten Fällen wie denen von Christian E., dem vermeintlichen Arzt mit zwei Doktortiteln, dazu, dass man nicht nur das eigene, sondern auch das Wohl anderer gefährdet.

Als E. seiner Familie sagt, dass er sein Abitur nachholen und Medizin studieren will, bekam er Gegenwind. Er würde es ohnehin nicht schaffen, er solle lieber seinen sicheren Job behalten, er müsse seine Eigentumswohnung abbezahlen, erzählt er in einem Interview. Also wollte er es allen zeigen. Und E. ist immer noch überzeugt, ein guter Arzt gewesen zu sein. Dass er bei seinen Einsätzen als Begleitarzt für Krankentransporte, die er seit März 2007 für die Malteser absolvierte, Menschenleben gefährdete, weil er bei möglichen Komplikationen auf sich allein gestellt gewesen wäre, ignoriert er.

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