Mittlerweile können wir uns – obwohl uns die Politik anderes einreden will – kaum noch Illusionen machen: Nicht nur Heidis Top-Models, sondern auch die Supererfolgreichen der Gegenwart sind völlig losgelöst vom Leistungsprinzip. Ob sie nun geerbt haben wie die Quandts, Tennis spielen können wie Boris Becker oder durch die Erfindung von Facebook in zehn Jahren 26 Milliarden Dollar verdient haben. Jegliche Vergleichbarkeit mit den normalen „Leistungsträgern“, die die Parteien in ihren Wahlprogrammen ansprechen, ist da hinfällig geworden.
„Die Einkünfte der Oberschichten stehen so allein wie einst der feudale Reichtum in vorbürgerlichen Zeiten“, stellt Neckel fest. Die wirklich großen Erfolge sind durch keine allgemein akzeptierte Norm mehr zu rechtfertigen – außer durch den Erfolg selbst.
Und der Einzelne? Was bedeutet das Leitmotiv Erfolg für die Menschen, die ihm folgen?
Das Leben wird zum Kampf als Dauerzustand. Je radikaler der Erfolgszwang, desto mehr wird der ihm folgende Mensch vom Gemeinschaftswesen wieder zum Wolf, zu Hobbes‘ „homo homini lupus“. Und der Stress ist sein unzertrennlicher Begleiter.
Seinen erkämpften Wohlstand, den Ruhm und die Freiheiten kann der Erfolgsmensch nie wirklich genießen. Denn die Konkurrenten schlafen nicht und ihr Erfolg bedeutet eigenes Scheitern.
Das totale Streben nach Erfolg schafft somit neue Abhängigkeiten. Denn wer Erfolg haben will, liefert sich dem Werturteil anderer aus – Kunden, Vorgesetzten, Wählern oder den Fernsehzuschauern einer Talentshow.
Dieses „Regime der Fremdbewertung“, wie es Neckel nennt, vereinnahmt die gesamte Persönlichkeit, wenn ihm keine Grenzen gesetzt werden. Wer in einem Unternehmen aufsteigen will, muss sich ihm mit Leib und Seele verschreiben. „Hyperinklusion“ ist, wie die Ökonomin Philine Erfurt Sandhu in einer Untersuchung zeigt, ein entscheidendes Erfolgskriterium in Unternehmen.
Erfolg haben daher gerade jene selbstoptimierten „High Potentials“, deren einziger Maßstab nur noch ein inhaltsleerer Wille zum Erfolg ist. Der Schriftsteller Philipp Schönthaler stellt sie in seinem trostlosen Roman „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ vor.
Wie man sich dem totalen Erfolgsdogma entzieht, ist üblicherweise kein Thema der Ratgeber-Literatur. Vielleicht ist das eine der letzten Lücken auf diesem Markt.
Immun gegen den selbstentfremdenden Erfolgsdruck machen wohl zwei Güter.
Entweder eine finanzielle Ausstattung, die so üppig ist, dass einem Erfolg gar nichts bedeuten muss, weil man ihn ohnehin in die Wiege gelegt bekommt. Simone Bagel-Trah muss dank ihrer Vorfahren keine Erfolgs-Ratgeber lesen.
Und die Nicht-Erben? Ihnen steht zumindest der Erwerb kulturellen Kapitals frei - als Schutzhaut gegen übergriffige Dogmen jeder Art.
Der Weg dahin ist Bildung – nicht Ausbildung! Sie kann unbezahlbaren Gewinn bescheren.
Und der ist über alle Werturteile anderer Menschen erhaben.