Gesundheit Wie Unternehmen dem Burnout vorbeugen können

Unternehmen können verhindern, dass ihre Mitarbeiter seelisch krank werden. Dabei geht es um die Unternehmensorganisation als ganzes. Ein Gastbeitrag der Beraterin Cornelia Rittler.

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Mythos 2: Stress ist immer schädlichGenauso falsch ist es, Stress zu verteufeln. Denn er ist eine natürliche Reaktion, die Menschen hellwach und reaktionsschnell macht. Der Körper ist auf Angriff gepolt. Damit bewältigen wir schwierige Situationen besser und fühlen uns zunächst leistungsfähiger. Positiver Stress, den man auch Eustress nennt, tut gut. Der Grund: Es kommt zur Ausschüttung bestimmter Hormone wie zum Beispiel Dopamin, Serotonin oder Endorphin. Diese biochemische Mixtur kann dafür sorgen, dass wir Stress als neutral oder angenehm empfinden. Das gilt jedoch nur für bestimmte Situationen. Chronischer Stress (

Eine einfache Formel, wie Unternehmen ihre Belegschaften zuverlässig gegen Burnout schützen können, gibt es nicht. Deshalb aber nichts zu tun, wäre grob fahrlässig. Nicht nur weil es um menschliche Schicksale geht. Schließlich stehen auch wertvolle Arbeitskraft und oft kaum zu ersetzendes Know-how auf dem Spiel.

In den meisten Unternehmen sind schon einmal Mitarbeiter aufgrund eines Burnout-Syndroms für längere Zeit ausgefallen. Neben Betroffenheit und Anteilnahme treten dann zwangsläufig wirtschaftliche Überlegungen: Die Ausfälle verursachen hohe Kosten – selbst dann, wenn die Krankenkassen nach einiger Zeit die Lohnfortzahlung übernehmen. Je nach Position kann ein einzelner Burnout-Fall 50-100.000 Euro kosten. Noch schwerer als die unmittelbare finanzielle Belastung wiegen oft das nicht mehr verfügbare Wissen der Betroffenen, stockende Auftragsabwicklung, interne Organisationsaufwände und die Verunsicherung von Kollegen oder Kunden. Vor allem Mittelständler trifft das hart.

Entsprechend hoch ist in vielen mittelständischen Unternehmen die Motivation, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dass eine wirksame Burnout-Prävention nicht in erster Linie beim einzelnen Mitarbeiter ansetzen, sondern die gesamte Organisation ins Auge fassen muss, machen sich indes die wenigsten Unternehmensleiter bewusst.

Strategie und Organisation als Hebel

Burnout kann entstehen, wenn externe und interne Belastungsfaktoren zusammenwirken. Das Syndrom ist zwar noch nicht erschöpfend erforscht, jedoch gibt es zahlreiche wissenschaftlich belegte Hinweise auf Umstände, die es begünstigen. Auf der einen Seite stehen Faktoren aus dem Arbeitsumfeld wie

  • andauernde hohe Arbeitsbelastung/permanenter Zeitdruck
  • Rollenkonflikte wenn Anforderungen, Anweisungen oder Erwartungen nicht kompatibel sind (etwa wenn Vorgesetzte Lösungen erwarten, die nicht über normale Kanäle zu erhalten sind, aber gleichzeitig die Nutzung alternativer Kanäle unterbinden)
  • mehrere Vorgesetzte (z. B. in Projektarbeit und Tagesgeschäft)
  • Erwartungenvon Kollegen und Vorgesetzten, die erheblich mit den Vorstellungen des Mitarbeiters kollidieren
  • Anweisungen, die prinzipiell kompatibel sind, nicht jedoch in der vorgegebenen Zeit bzw. Qualität.

10 Fragen zur Ermittlung des Handlungsbedarfs
1. Haben einige Ihrer Mitarbeiter mehrere Vorgesetzte? Arbeiten sie z. B. gleichzeitig in Projekten und im Tagesgeschäft? Quelle: dpa
2. Gibt es Abteilungen/Bereiche, in denen Mitarbeiter häufig krank sind? Quelle: dpa
3. Kommt es zu schwerwiegenden Fehlern, wenn Mitarbeiter im Urlaub sind? Quelle: dpa
4. Haben einige Ihrer Mitarbeiter mehrere Vorgesetzte? Arbeiten sie z.B. gleichzeitig in Projekten und im Tagesgeschäft? Quelle: dpa
5. Sind Sie häufig nach stundenlangen Besprechungen soweit wie am Anfang? Quelle: Fotolia
6. Arbeiten Ihre Mitarbeiter oft und/oder über einen längeren Zeitraum unter starkem Zeit- bzw. Leistungsdruck? Quelle: dpa
7. Gibt es Abteilungen, in denen „Feuerlösch-Aktivitäten“ überhand nehmen, z. B. durch ungeplante Aufgaben? Quelle: dpa

Auf der anderen Seite gibt es interne Faktoren beim Mitarbeiter (Stressbewältigungsstrategie, Anforderungen aus dem privaten Umfeld), die Burnout unterstützen. Viele Präventionsprogramme setzen beim Individuum an, vernachlässigen aber das Umfeld.

Es stimmt zwar, dass Probleme erst sichtbar werden, wenn ein Einzelner wegen Burnout ausfällt. Da jedoch kaum ein einzelner Mitarbeiter seine Arbeitsbelastung und den Zeitdruck beeinflussen kann, ist dort anzusetzen, wo die Verkettungen, die sich durch das ganze Unternehmen ziehen, ihren Ausgangspunkt haben: beim Unternehmen selbst. Dieses ist an einen Zweck gebunden, der sich in einer Vision ausdrückt, nach der wiederum die Strategie ausgerichtet wird. Letztere bestimmt die Ausgestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation.

Bei Führungskonzept und Arbeitsorganisation ansetzen

Setzt die Burnout-Prävention auf einer hohen organisatorischen Ebene an, bestehen gute Chancen, dass eine funktionierende Organisation, optimierte Prozesse sowie transparente Aufgaben und Verantwortlichkeiten die Belastungen reduzieren und gleichzeitig effizienzsteigernd wirken. Verbunden mit der gezielten Vermeidung von Verschwendung personeller und materieller Ressourcen führt dies dazu, dass Burnout-Prävention zur lohnenden Investition in das Unternehmen und seine Mitarbeiter wird.

Aber nicht nur die Organisation, sondern auch die Führung auf allen Ebenen spielt eine große Rolle. Führungskräfte gestalten die Organisation in den Abteilungen und sind für eine transparente Kommunikation von oben nach unten und von unten nach oben verantwortlich. Deshalb sollten Führungskräfte auch danach ausgewählt werden, ob sie in der Lage sind, Mitarbeitern Puffer zur Verfügung zu stellen, die Belastungen abfangen. Ein solcher Puffer kann z. B. darin bestehen, dass ein Vorgesetzter mit anpackt, wenn es eng wird (mit Arbeitsmitteln, Informationen, zeitlicher Unterstützung). Es kann auch schon reichen, für eine belastende Situation Verständnis zu zeigen. Diese Fähigkeit kann in Workshops und Trainings gefördert werden.

Dabei ist auch zu vermitteln, wie psychische Belastungen entstehen. Auf der anderen Seite müssen Führungskräfte die Chance bekommen, das eigene Verhalten zu reflektieren (Coaching). Um Rollenkonflikten und -unklarheiten vorzubeugen, sollten bereits im Stellenbesetzungsprozess neben dem fachlichen Profil auch Persönlichkeit, Stärken und Schwächen eines Kandidaten abgefragt und mit dem Stellenprofil abgeglichen werden. Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter sollte durch erfahrene Mentoren unterstützt werden. Hilfreich sind Feedbackgespräche nach festgelegten Fristen sowie klar formulierte Vertretungsregelungen. Auch Teilhabe an Entscheidungen ist ein Burnout-Puffer: Führungskräfte sollten Freiräume lassen, sofern diese nicht zu Lasten der Arbeitsergebnisse gehen.

Kulturänderung als Basis

In welchen Firmen Burnout oft auftritt
K+S Quelle: dpa
K+S Quelle: dpa
Daimler & BMW Quelle: dapd
Bayer, RWE und SAPSehr nah beieinander liegen auch die Zahlen von Bayer, RWE und SAP. Beim Pharmakonzern aus Leverkusen erkranken bis zu 2000 Mitarbeiter pro Jahr, das sind 5,6 Prozent der 35.800 Beschäftigten. Beim Energielieferanten RWE sind pro Jahr bis zu 2400 der 41.632 Mitarbeiter betroffen. Das sind knapp 5,8 Prozent, also fast jeder 17. Im Hause SAP fallen zwischen 700 und 1000 Angestellte dem Stress zum Opfer. Das entspricht im schlimmsten Falle jedem 16. der 16 011 Angestellten. Quelle: dpa
Commerzbank, Metro, Deutsche Telekom und InfineonErhöhte Belastung in Sachen Stress auch bei der Commerzbank. Jedes Jahr erkranken hier zwischen 2300 und 3200 Mitarbeiter von 44.474 Mitarbeitern, etwa 7,2 Prozent der Belegschaft. Fast das gleiche Risiko gilt auch für Mitarbeiter bei Metro. Das Handelsunternehmen vermeldet bis zu 6 600 Burnout-Fälle bei 91.189. Auch hier erkrankt annähernd jeder 14. Bei der Telekom sind es zwischen 3800 und 8 900 Erkrankungen im Jahr. Bei einer Belegschaft von 121 564 Arbeitnehmern entspricht das gut 7,3 Prozent. Beim Chiphersteller Infineon ergab die Schätzung, dass höchstens 600 der 7.926 jährlich unter einem Burnout leiden. Quelle: dpa
Deutsche BankDer Finanzsektor scheint nicht so oft betroffen, wie man zunächst denkt. Für die Deutsche Bank ermittelten die Experten, dass im Jahr bei etwa 1900 von insgesamt 24.801 Mitarbeitern (ohne Postbank und Sal. Oppenheim) ein Burnout diagnostiziert wurde. Es erkrankt demnach jeder 13. Angestellte. Quelle: dapd
Siemens Quelle: dapd

Belastung ist, was als belastend empfunden wird. Herrscht Vertrauen und wird die Belastung angesprochen, kann soziale Unterstützung – als ständige Führungsaufgabe! – wirken. Da die wenigsten Vorgesetzten erste Burnout-Symptome registrieren oder ernst nehmen, ist es wichtig, Erreichbarkeit zu kommunizieren und Mitarbeiter zu ermuntern, Probleme aufzudecken. Training zum Selbstmanagement kann helfen, auch mit Belastungen klar zu kommen, deren Auflösung längere Zeit in Anspruch nimmt.

Die Umsetzung des Ziels, Probleme an der Wurzel zu lösen, setzt in der Regel einen Kulturwandel voraus, der nicht von heute auf morgen zu schaffen ist. Entscheidend ist, dass die oberste Führungsebene den Wandel einleitet und dauerhaft mitträgt – indem sie Führungskräften Freiraum und Zeit gewährt, Veränderungen umzusetzen.

Bekannt und ausgebrannt
Ralf Rangnick Quelle: dapd
Markus Miller Quelle: dapd
Miriam Meckel Quelle: dpa
Matthias Platzeck
Sebastian Deisler Quelle: Reuters
Renée Zellweger Quelle: dpa
Sven Hannawald Quelle: Reuters

Vision und Strategie der Unternehmensführung geben mit durchgängigen Zielen die Richtung vor und bestimmen den Aufbau einer effizienten und belastungsarmen Organisation. Prozessmanagement, Prozessoptimierung und Erkenntnisse aus der Lean Philosophie können dazu beitragen, Abläufe, Transparenz und Kommunikation zu verbessern. Dadurch lassen sich Burnout-relevante Faktoren reduzieren. Dieser Aufwand nutzt dem einzelnen Mitarbeiter, zahlt sich aber auch finanziell für das Unternehmen aus. Effizienz und die Freude an der Arbeit werden gleichermaßen verbessert.

Individuell auf ein Unternehmen abgestimmte Beratungsangebote können maßgeblich dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass Mitarbeiter wegen Burnout ausfallen. Denn neben persönlichen Aspekten sind es vor allem übergreifende Probleme von Unternehmen, die die Ausbreitung des Burnout-Syndromes begünstigen.

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