Gewandhausorchester "Zwischen Boston und Leipzig besteht eine Atlantik-Brücke"

Der Intendant des Leipziger Gewandhausorchesters, Andreas Schulz, über den Mehrwert klassischer Musik, verdienstvolle Gagen und seine Pläne, private Investoren für eine Stiftung zu gewinnen.

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Gewandhaus Leipzig Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Gratulation, Herr Schulz, der neue Chefdirigent des Gewandhausorchesters heißt ab 2017 Andris Nelsons. Ein großer Name, ein begehrter Pultstar – der junge Lette war auch lange im Gespräch als Nachfolger von Sir Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern. Ihr Problem: Was heißt schon „Chefdirigent“? Um Nelsons überhaupt nach Leipzig locken zu können, müssen Sie sich ihn künftig mit dem Boston Symphony Orchestra (BSO) teilen. Ein ganzer Star für Leipzig – aber nur ein halber Chef? Wie passt das zusammen mit dem Versuch, das Gewandhausorchester als singuläre Marke zu positionieren?

Andreas Schulz: Das passt hervorragend zusammen. Die Bostoner und das Gewandhaus sind durch ihre Geschichte eng miteinander verbunden. Die Boston Symphony Hall ist eine Art Kopie des Gewandhausbaus von 1868. Der erste Chefdirigent des BSO, George Henschel, war Student am Leipziger Konservatorium. Sein prominentester Nachfolger, Arthur Nikisch, war Kapellmeister an der Leipziger Oper, bevor er nach Boston ging und anschließend hierher, ans Gewandhaus, zurückkehrte.

Schließlich Charles Munch, der in den 1920er Jahren erster Konzertmeister bei uns war, bevor er das BSO von 1949 bis 1962 leitete… Sie sehen: Zwischen Boston und Leipzig besteht eine musikalische Atlantik-Brücke. Wir teilen nicht Andris Nelsons durch zwei, sondern starten ein historisch gut begründetes Kooperationsprojekt.

Andreas Schulz

Nelsons Vorgänger und Amtsinhaber Riccardo Chailly haben Sie 2005 noch exklusiv nach Leipzig lotsen können. Damals war noch keine Rede von Boston.

Heute sind wir überzeugt davon, das Richtige zu tun. Wir werden gemeinsam Kompositionsaufträge vergeben und uns gegenseitig besuchen, nicht zuletzt, um unser internationales Profil zu schärfen. Es wird eine Boston-Woche in Leipzig geben mit Werken, die in Boston uraufgeführt wurden – Strawinsky und Bartok. Und es wird eine Leipzig-Woche in Boston geben, mit Werken aus unserem Uraufführungsrepertoire – Beethoven und Brahms.

Andris Nelsons wird immer dann in Leipzig sein, wenn wir ihn brauchen: zur Saisoneröffnung und zu den Highlights, etwa an den Abenden vor Neujahr mit Beethovens Neunter. Darüber hinaus steht er uns für acht Abonnement-Wochen zur Verfügung. Summa summarum sind das etwa 50 Konzerte, davon 20 auf Tournee und 25 im Gewandhaus. Ein gutes Pensum. 

Es geht so. Simon Rattle hat keinen zweiten Chefsessel – und ist für die Berliner in dieser Saison an immerhin 74 Abenden im Einsatz. Das ist ein Unterschied.

Stimmt. Aber einen „exklusiven“ Chefdirigenten, wer kriegt den heute noch? Valery Gergiev zum Beispiel ist Chef des Mariinski-Theaters in St. Petersburg – und 45 Abende für „seine“ Münchner Philharmoniker da. Und wenn Kirill Petrenko in zwei Jahren die Nachfolge von Rattle antritt, läuft auch sein Vertrag an der Bayerischen Staatsoper noch… Kurzum: Rattle und Chailly, exklusiv in Berlin und Leipzig, das waren vielleicht die letzten großen Ausnahmen.

Das heißt im Klartext: Die Dirigenten stellen im Klassik-Business die Bedingungen – und Intendanten nicken sie ab? 

Natürlich nicht…

Manager verraten ihr Erfolgsgeheimnis
James Dyson, Designer, Erfinder und Gründer des Unternehmens Dyson"Ich liebe Fehlschläge. Aufgegeben habe ich nie. In den 1980er Jahren habe ich in meiner Werkstatt an 5126 Staubsauger-Prototypen getüftelt, die alle nicht funktionierten. Aber Nummer 5127 tat, was er sollte. Der Erfolg von Dyson geht zurück auf den einzigartigen Pioniergeist und außergewöhnlichen Einsatz aller meiner Ingenieure."
Simone Frömming, Deutschland-Chefin von VMware, einem der Top-Ten-Softwareproduzenten"Über Nacht zur Führungskraft? Bei mir war das genau der Fall! Bei einem Vortrag zum Thema "Go-To-Market im Softwarevertrieb" konnte ich meinen damaligen Geschäftsführer derart überzeugen, dass er mich von heute auf morgen befördert hat. Alle meine Ideen waren recht unpolitisch und leidenschaftlich - aber dafür stets zielorientiert. Als Account Managerin hätte ich damals nie gedacht, dass ein einzelner Vortrag der Wendepunkt meiner ganzen Karriere sein kann. Nach einem ersten sprachlosen Moment hat mich dieses Angebot aber darin bestätigt, Dinge auch entgegen der gängigen Meinung anzusprechen und verändern zu wollen. Eine wichtige Eigenschaft in der IT-Branche, in der jeden Tag aufs Neue ein Wettrennen um aufregende Ideen ausgetragen wird. Und letztlich auch eine Eigenschaft, die mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe."
Eckart von Hirschhausen, Moderator und Kabarettist, gelernter Mediziner"1997 wurde ich von einem Radiosender engagiert für eine Tour durch Kinderkrankenhäuser. In der Kinderpsychiatrie in München machte ich eine Zaubershow. Alle Kinder wurden involviert, mussten laut zählen, pusten und mitmachen. Nach der Show kam ein Arzt auf mich zu und erzählte von einem kleinen „Wunder“. Ein Junge war seit Wochen schon in Behandlung wegen „Mutismus“, einer seelischen Störung bei der Kinder aufhören zu sprechen. Der Junge „vergaß“ während der Show seine Störung und machte munter mit. Seitdem nehme ich die Rolle von positiven Gemeinschaftserlebnissen, von Humor, Musik, Kunst und anderen Wegen uns zu „verzaubern“ viel ernster, seit 2006 auch mit meiner Stiftung Humor hilft heilen."
Richard Quest, Chef der Wirtschaftsredaktion und Anchorman bei CNN Gibt es einen Moment, an den ich zurückdenke und sagen kann „Heureka!“, das war der Moment, an dem ich es geschafft hatte? Nein. Es gab viele Momente, an denen eine Geschichte Aufmerksamkeit für mein Schaffen erzeugt hat. Jeden dieser Momente habe ich dann genutzt, um mich auf meiner rutschigen Karriereleiter eine Sprosse weiter nach oben zu hangeln. Dazu gehören mein erster Hurricane-Bericht über Hurricane Gilbert im Jahr 1988, meine erste Berichterstattung zu einer US-Präsidentschaftswahl, mein Bericht von Queen Mums Beerdigung, die Berichterstattung zu Queen Elizabeths Kronjubiläum und meine Arbeit zur Einführung des Euro. Wenn ich wählen müsste, was DIE Story gewesen ist, dann wäre das der Schwarze Montag, der 19. Oktober 1987. Ich war ganz neu als Finanzreporter in London. Der Abwärtstrend an der New Yorker Börse hatte begonnen. Und bevor der Tag vorbei war, hatte der Dow Jones mehr als 500 Punkte (= 25 Prozent) verloren. Dies gilt nach wie vor als der anteilsmäßig stärkste Tagesverlust in der Geschichte des Dow Jones. Ich war im Dienst. Ich habe dabei zugesehen, wie der Markt sich in den Sekunden nach Börsenschluss um 100 Punkte verschlechtert hat und berichtete während der nächsten paar Tage morgens, mittags und abends – auf allen Programmen. Ich wurde dann eilig weggeschickt, um die Berichterstattung in New York aufzunehmen. Die Arbeit, der ich damals nachging, brachte mir die Aufmerksamkeit des Chefredakteurs ein, ich hatte mich als Finanzreporter etabliert. Ich werde den Schwarzen Montag nie vergessen. Als der Vorsitzende der New Yorker Börse sagte, dieser Tag sei am nächsten an einen Zusammenbruch der Finanzmärkte herangekommen, als alles, was wir uns hätten vorstellen können. Dies galt natürlich nur bis zum nächsten Finanzcrash. Zum letzteren Zeitpunkt war ich älter und weiser – aber interessanterweise war ich genauso erschrocken.
Karsten Eichmann, CEO des Gothaer-Konzerns"Aha- da gibt es ja noch so viel Spannendes" – für die entscheidenden Karriereschritte war meine Neugierde ein wesentliches Momentum. So auch als ich mit 43 Jahren meine berufliche Komfortzone aus Erfolg und Sicherheit verlassen und von München nach Hamburg gegangen bin, um als Vorstandschef der Advocard eine neue, spannende Herausforderung anzupacken. Nur durch das "Loslassen" von Gewohntem war der Weg bis zum CEO des Gothaer-Konzerns möglich - und diese Neugierde auf die Zukunft werde ich mir bewahren."
Uwe Schuricht, Geschäftsführer der Personalberatung Change Group"Mein Lebensweg hat entscheidende Weichenstellungen auf dem Tennisplatz bekommen: Mit Tennisunterricht habe ich mein Jura-Studium finanziert und schon damals davon geträumt, Headhunter zu werden. Dank Tennis habe ich einen Förderer gefunden, der mich bei der Promotion unterstützt hat. Die Promotion hat mich zu einer amerikanischen Kanzlei nach Paris geführt. Dort wurde ich als Manager entdeckt und danach war es nur noch ein kleiner Schritt zu meinem Traumberuf."
Sven Eggert, Eggert Group Werbeagentur"Nach einem Studium im Ausland (Oxford und Paris) nahm ich eine Stellung als Vorstandsassistent an. Mein Chef öffnete mir schnell die Augen, dass ich mit dem Europa-Hintergrund nicht so international aufgestellt war, wie uns im Studium suggeriert wurde. Die Entscheidung, daraufhin noch für vier Jahre in den USA zu arbeiten, war goldrichtig."

Chailly hat seinen Vertrag in Leipzig noch 2013 bis 2020 verlängert: Die Ehe sei glücklich, sagte er und: „Ich bin so begeistert in Leipzig wie am ersten Tag.“ Dann hat er die Scala in Mailand übernommen, später auch noch das Luzern Festival Orchestra… 

Riccardo fiel 2014 durch einen Armbruch aus. Danach hat er – aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen – sein Leben neu organisiert. Sowohl Luzern als auch Mailand liegen in der Nähe seiner Wohnstätten. Als er wegen seines Scala-Engagements in Leipzig kürzer treten wollte, haben wir angefangen, nach einem Nachfolger zu suchen. So etwas geht ja nicht von heute auf morgen. Es gab sehr klare Wünsche von Seiten des Orchesters. Im April haben wir erste Sondierungsgespräche mit Boston geführt. Das war nicht leicht. Nelsons hatte dort immerhin…

… einen Exklusivvertrag!…

…und die Bostoner waren erpicht darauf, ihn exklusiv für sich zu behalten. 

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