Ob er irgendwann mal einen Flop landet? Es sieht nicht unbedingt danach aus. Seit Anfang Dezember ist das neue Buch von Michael Lewis nun auf dem Markt. In „Aus der Welt“ widmet sich der amerikanische Sachbuchautor dem Leben von Daniel Kahneman und Amos Tversky, den Begründern der Verhaltensökonomie. Lewis beschreibt darin die Geschichte ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit, die das Wissen über Entscheidungsprozesse für immer veränderte.
Es kam, wie es fast immer kommt, wenn Lewis ein neues Buch veröffentlicht: Die Kritiker waren entzückt. „Eine grandiose Liebesgeschichte“, resümierte die „New York Times“. Das „Wall Street Journal“ befand die Arbeit als „brillant“.
Kein Sachbuchautor weltweit war in den vergangenen Jahren so erfolgreich wie Lewis. Bereits 2003 erschien „Moneyball“, ein Buch über ein Baseballteam, das seine Spieler nach mathematischen Regeln beurteilt – 2011 wurde der Stoff mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmt. Auch aus Lewis’ Büchern „The Blind Side“ und „The Big Short“ entstanden Kinofilme.
Fleiß, Ehrgeiz, Talent - und Zufall
Es wäre für Lewis ziemlich verlockend, seinen Erfolg vor allem Ehrgeiz, Fleiß und harter Arbeit zuzuschreiben; oder irgendeinem besonderen Talent, das ihm nun mal mit auf den Lebensweg gegeben wurde. Doch Lewis verleugnet nicht, dass auch noch etwas anderes eine Rolle spielte – der pure Zufall. Denn vor Jahrzehnten hatte er eine dieser Begegnungen, bei denen man erst hinterher erkennt, dass sie letztendlich über das eigene Leben entschieden.
Bei einem Abendessen saß Lewis neben der Gattin einer Wall-Street-Größe. Man war sich sympathisch, Lewis ist ein charmanter Typ. Die Dame überredete nach der Begegnung ihren Mann dazu, Lewis bei der Investmentbank Solomon Brothers einzustellen – obwohl Lewis, wie er immer wieder gerne betont, als Kunsthistoriker von Finanzen nicht allzu viel Ahnung hatte.
Der Job lieferte ihm das Material für seinen ersten Bestseller. „Nachher haben auf einmal alle gesagt, dass ich der geborene Schriftsteller bin“, sagt Lewis, „aber ich sehe inzwischen klar: Glück hat bei meiner Karriere eine große Rolle gespielt.“
Die ultimative Erfolgsformel
Tun Sie das, was Sie absolut erstklassig können.
Wenn Sie das nicht wissen, lassen Sie von allem die Finger, was Sie nur zweitklassig können
Gehen Sie damit möglichst in eine Nische; von Me-too-Anbietern haben wir überall genug.
Wählen Sie das richtige Spielfeld – also jenes, auf dem Ihre Erstklassigkeit wahrgenommen und wertgeschätzt wird
Wenn Sie sich da verwählt haben, lohnen Blut, Schweiß und Tränen nicht. Dann müssen Sie das Spielfeld wechseln.
Tatsächlich entdecken Psychologen und Ökonomen gerade eine uralte Frage wieder: Wie viel Einfluss hat der Mensch auf sein Leben? Und sollte Erfolg nicht besser mit Glück gleichgesetzt werden statt mit Ehrgeiz, Fleiß und Disziplin?
Zahlreiche Daten lassen diesen Schluss durchaus zu. Da ist zum Beispiel eine Auswertung des Finanzmarktdienstleisters S&P Dow Jones Indices, der aktiv betreute Fonds in Europa untersuchte. Das Ergebnis: 86 Prozent schnitten über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht besser ab als der vergleichbare Aktienindex. Mit anderen Worten: Wenn ein Fondsmanager mal ein gutes Jahr hat und den Index schlagen kann, ist das demnach zu einem Großteil pures Glück – und da das oft nicht lange hält, passen sich über einen längeren Zeitraum alle dem Durchschnitt an.
Wissenschaftler tun sich bereits seit Langem schwer, zu definieren, welche Charaktereigenschaften, Fähigkeiten oder Führungsstile einen guten Chef ausmachen. Ob ein neuer CEO ein Unternehmen zum Erfolg führen wird oder nicht, lässt sich nur selten zuverlässig vorhersagen. Für den Ökonomen Robert Frank von der Cornell-Universität ist die Sache daher klar: Wir haben den Zufall viel zu lang unterschätzt. Vor einigen Monaten hat Frank ein Buch veröffentlicht: „Success and Luck: Good Fortune and the Myth of Meritocracy“. Darin erzählt er anhand mehrerer Anekdoten, wie kleine Wendungen immer wieder große Erfolge möglich gemacht haben. Frank stellt in seinem Buch aber auch fest: So ehrlich wie Lewis sind die wenigsten Menschen. „Viele sind davon überzeugt, dass Erfolg allein etwas mit Talent und harter Arbeit zu tun hat“, schreibt Frank.
Der Zufall genießt einen schlechten Ruf
Das zeigt auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research aus dem Jahr 2014. Menschen aus 44 Ländern sollten angeben, welche Faktoren aus ihrer Sicht wichtig seien, um im Leben Erfolg zu haben. Die Antwort war eindeutig: harte Arbeit und eine gute Ausbildung. In Deutschland waren zum Beispiel 61 Prozent der Befragten der Meinung, dass für Erfolg vor allem Bildung wichtig sei. Auf dem zweiten Platz landete mit 49 Prozent die Bereitschaft, hart zu arbeiten. Glückliche Zufälle und gute Rahmenbedingungen, wie etwa in eine reiche Familie hineingeboren zu werden, hielten hingegen weniger als 30 Prozent für die entscheidenden Einflussfaktoren von Erfolg.
Einen besonders schlechten Ruf hat der Zufall im Berufsleben. In einer Studie kamen die Managementforscher Chengwei Liu (Warwick-Universität) und Mark de Rond (Business School der Universität Cambridge) Anfang 2016 zu dem Schluss: Über Glück spricht man unter Managern nur ungern. Das Duo wertete für seine Übersichtsstudie knapp 2000 Studien aus 60 Jahren aus. Nur zwei Prozent davon beschäftigten sich mit dem Einfluss des Glücks auf den Unternehmenserfolg oder die Leistung von Führungskräften. „Manager leiden unter einer Illusion“, sagt Liu, „sie halten die Welt für kontrollierbarer und vorhersehbarer, als sie wirklich ist.“
Klischee-Check: Sind CEOs wirklich...
Nein. Eine Studie der Personalberatung Russell Reynolds Associates unter 900 CEOs weltweit zeigt, dass die Vorstandsvorsitzenden im Vergleich zu Managern einer niedrigeren Hierarchiestufe sogar warmherziger sind und eher das Bedürfnis haben, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Der einsame Krieger, der auf nichts und niemand Rücksicht nimmt, ist also ein Klischee.
Hier stimmt das Klischee: CEOs treten eher aggressiver auf und setzen sich an die Spitze. Sie warten nicht, dass ihnen andere die Führung übertragen.
Auch hier ist die Antwort ja: Wer ein ganzes Unternehmen befehligen will, muss überzeugend sein. Entsprechend ergab auch die Studie, dass CEOs deutlich mehr Spaß daran haben, andere von ihren Plänen zu überzeugen, als es bei Managern in der zweiten oder dritten Reihe der Fall ist.
Hier gibt es keine eindeutige Antwort. Unter den untersuchten CEOs gab es sowohl sehr extrovertierte als auch introvertierte Charaktere.
"I'm CEO, bitch!" Soll Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auf seine Visitenkarten gedruckt haben. Laut der Studie sind Vorstandsvorsitzende jedoch keine Angeber, sondern im Vergleich zu anderen Managern sogar eher bescheidener.
Hier sagt die Studie wieder klar: Ja. Der durchschnittliche CEO übertrifft andere Manager deutlich, was seinen Optimismus und sein zukunftsorientierten Denken angeht.
Auch hier ist die Antwort ein klares Ja: CEOs suchen häufiger den Wettbewerb als andere und sind leistungsorientierter als andere Manager.
Ja. CEOs sind eher bereit, etwas zu riskieren, als andere.
Das ist bei Weitem keine Lappalie, sondern hat durchaus negative Folgen. Diese Attitüde führt zu Selbstüberschätzung – und teuren Fehlentscheidungen. Ein Beispiel dafür ist laut den Forschern die Personalsuche für Führungspositionen. Unternehmen geben demnach zu viel Geld aus, weil sie unbedingt einen Kandidaten finden wollen, der das Unternehmen zum Erfolg führt.
In Wahrheit jedoch sind die fachlichen Unterschiede zwischen Kandidaten ab einer bestimmten Hierarchiestufe nur noch minimal, glauben Liu und de Rond. Ob jemand Erfolg hat oder nicht, hänge gerade bei Topjobs vor allem von äußeren Einflüssen ab: Vielleicht macht eine Änderung des Wechselkurses die geplante Übernahme eines ausländischen Zulieferers plötzlich billiger; oder bei einem Konkurrenten kommt es zu einem Skandal, der die Kunden automatisch zum anderen Unternehmen treibt.
Spitzenpositionen einfach verlosen
Die beiden Forscher machen deshalb in ihrer Studie einen radikalen Vorschlag: Spitzenpositionen in Unternehmen sollten einfach in einem Kreis von geeigneten Kandidaten verlost werden. Das sei günstiger, schneller und am Ende genauso erfolgreich wie langwierige Bewerbungsprozesse. Zugegeben: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen den Ansatz von Liu und de Rond bald ausprobiert, ist gering. Aber warum fällt es uns so schwer, die Macht des Zufalls zu akzeptieren? Warum glauben wir so gern an die Illusion, dass alles kontrollierbar ist?
Schuld ist zum einen ein Denk- und Wahrnehmungsmechanismus, den die eingangs bereits erwähnten Psychologen Kahneman und Tversky das erste Mal beschrieben haben: die „availability heuristic“, also der Verfügbarkeitsfilter. „Wir sehen nur das, was wir sehen“, schrieben Kahneman und Tversky.
Ein Beispiel. Fast alle erfolgreichen Unternehmer sind Menschen, die vermeintlich hart arbeiten. Apple-Chef Tim Cook steht um vier Uhr morgens auf, Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk hat in den vergangenen zwölf Jahren zwei Wochen Urlaub gemacht – oder es zumindest versucht, wie er in einem Interview im vergangenen Jahr erzählte.
Heißt im Umkehrschluss also: Wenn alle erfolgreichen Unternehmer hart arbeiten, muss harte Arbeit zum Erfolg führen – könnte man zumindest meinen. Dabei vergisst man jedoch all die anderen Unternehmer, die genauso wenig Urlaub machen wie Elon Musk, aber nicht so weit kommen wie er. „Wir sehen immer nur die Erfolgreichen“, sagt Kathrin Rosing, Professorin für Psychologie unternehmerischen Handelns an der Universität Kassel, „und nicht die, die genauso hart gearbeitet, es aber trotzdem nicht geschafft haben.“
Glück muss man sich verdienen
Hinzu kommt etwas, das Psychologen den fundamentalen Attributionsfehler nennen. „Die äußeren Einflüsse zu verstehen und ihren Beitrag einzuschätzen ist oft sehr schwierig“, sagt Rosing. „Daher neigen wir dazu, alles als das Werk von Menschen zu interpretieren.“ Gut beobachten lässt sich das an Unternehmen, in denen es oft zu einem regelrechten Führungskult kommt: Der Gründer oder Vorstandsvorsitzende gilt als großer Held, der das Unternehmen quasi im Alleingang zum Erfolg führt. „Am Ende ist das aber nur eine Geschichte, ein Mythos, den wir für uns konstruieren, um Komplexität zu reduzieren und eine einfache Erklärung zu bekommen“, sagt Kathrin Rosing.
Dass wir ein Problem mit dem Zufall und dem glücklichen Zwischenfall haben, hat aber nicht nur etwas mit Neurobiologie zu tun. Das sagt der Physiker, Philosoph und Wissenschaftsautor Stefan Klein, dessen Buch „Alles Zufall“ im vergangenen Jahr in einer Neuauflage erschienen ist. „Gesellschaftliche Normen und Weltanschauungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle“, sagt er. „Das ist fast wie eine Ideologie: Wir wollen, dass sich Leistung lohnt und wir unser Leben unter allen Umständen in der eigenen Hand haben.“ Wer die Rolle des Zufalls anerkennt, müsse zugleich akzeptieren, dass Erfolg nicht vollständig planbar ist.
Trotzdem plädiert Klein dafür, diesen Mut aufzubringen. „Wir alle täten gut daran, die Rolle des Zufalls realistischer einzuschätzen“, sagt er. „Das heißt nicht, zum Pessimisten zu werden und in Schockstarre zu verfallen, im Gegenteil: Wir besinnen uns dann auf eine unserer größten Stärken, die schnelle Reaktion auf unerwartete Ereignisse. Wer akzeptiert, dass nicht alles planbar ist, bleibt flexibler und offen für zufällige Möglichkeiten und neue Chancen.“
Lösung gegen Ungleichheit
Der Ökonom Robert Frank glaubt sogar, dass die Akzeptanz des Zufalls die Welt zu einem gerechteren Ort machen kann. Dass die Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen Ländern so stark gestiegen sei, habe auch etwas damit zu tun, dass viele Reiche vehement gegen hohe Spitzensteuern und Umverteilung eintreten. Dahinter stehe die Vorstellung, dass jeder reich werden könne, wenn er nur hart genug arbeite.
Eine Umfrage der Meinungsforscher von Pew Research bestätigt das: Wer mehr verdient, glaubt erst recht, dass Erfolg der Lohn harter Arbeit ist und nur wenig mit Glück zu tun hat. Auf die Frage, wie man reich wird, antworteten die Teilnehmer der Umfrage, die selber zur oberen Einkommensschicht gehörten, häufiger als andere mit der Antwort „Hart arbeiten“.
Studien des Psychologen David DeSteno von der Northeastern-Universität zeigen aber, wie schnell sich solche Vorstellungen ändern können. Und zwar dann, wenn jemandem bewusst wird, dass auch er Glück im Leben hatte. In mehreren Experimenten konnte DeSteno zeigen, dass Menschen hilfsbereiter werden, wenn ihnen kurz zuvor zufällig etwas Gutes widerfahren ist – und das nicht nur gegenüber Menschen, die einem direkt geholfen haben, sondern auch gegenüber völlig Fremden.
Und eine 2009 erschienene Studie von Forschern um den Psychologen Alex Wood von der Universität Stirling zeigt, dass es einem selbst guttut, wenn man die glücklichen Umstände im eigenen Leben bewusst erkennt: Menschen, die das regelmäßig tun, sind laut der Studie selbstbewusster, haben stabilere Freundschaften und Partnerschaften und gehen besser mit Krisen um.
Sich klarzumachen, wie viel Glück man im Leben hat, kann sogar wie ein Schmerzmittel wirken. Die Psychologen Mathias Allemand (Universität Zürich), Patrick Hill (Carleton-Universität, Ottawa) und Brent Roberts (Universität von Illinois) haben gezeigt, dass Menschen, die dankbar gegenüber anderen oder den Rahmenbedingungen sind, in denen sie leben, seltener unter Schmerzen leiden. Für ihre 2014 erschienene Studie verschickten die Psychologen ausführliche Fragebögen an rund 1000 Männer und Frauen in der Schweiz. Diese mussten unter anderem angeben, wie häufig sie wegen Problemen wie zum Beispiel Rückenschmerzen nicht normal arbeiten konnten. In einem anderen Teil des Fragebogens wurde mit einem Standardtest aus der Psychologie die Dankbarkeit der Teilnehmer gemessen. Wer auf der Dankbarkeitsskala besonders hohe Werte erreichte, berichtete seltener über Schmerzen.
Wissen, wo die eigenen Grenzen liegen
Gründe genug also, offen und ehrlich zuzugeben, dass man nicht dort wäre, wo man ist, wenn es nicht dieses eine zufällige Treffen beim Abendessen gegeben hätte. Für Führungskräfte ist diese Ehrlichkeit sogar besonders wichtig, sagt Wirtschaftspsychologin Kathrin Rosing. „Man sollte sich zwischendurch immer mal wieder klarmachen, wo die eigenen Grenzen liegen, welche Dinge man nicht beeinflussen kann und wie wichtig die Beiträge der anderen für den Unternehmenserfolg sind“, sagt sie – und empfiehlt, diese Übung in Demut wie ein Ritual in seinen Alltag einzubauen. „Sonst fällt man schnell den einfachen Erklärungen und dem eigenen Heldenstatus zum Opfer.“
Schließlich bedeutet die Macht des Zufalls auch nicht, dass man nichts mehr beeinflussen kann. Oft muss man sich sein Glück erst mal verdienen. Niemand brachte das je so treffend auf den Punkt wie Gary Player: „Je härter ich trainiere“, sagte der ehemalige südafrikanische Profigolfer, „desto mehr Glück habe ich.“