Hochbegabung Ein hoher IQ hat nicht nur Vorteile

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Kaum Interesse an Führungspositionen

Denn eine Reihe von Untersuchungen zeigt: Die Mehrheit der Hochbegabten hat kein Interesse an einer steilen Konzernkarriere. Ein Forscherteam um den Psychologen Rüdiger Hossiep von der Universität Bochum analysierte für eine Studie im Jahr 2013 die Charakterunterschiede von überdurchschnittlich intelligenten Menschen im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung. Etwa 500 Mensa-Mitglieder beteiligten sich. Die größte Abweichung zeigte sich ausgerechnet in jenen Eigenschaften, die im Berufsleben wichtig sind. Zwar waren die Hochbegabten durchaus motivierter, Probleme zu lösen – an Führungspositionen hatten sie jedoch deutlich weniger Interesse.

Sie wollen eben optimieren, nicht organisieren; gestalten, nicht verwalten; kreieren, nicht delegieren. Das bestätigen die Langzeitstudien von Camilla Benbow und David Lubinski von der amerikanischen Vanderbilt-Universität. Seit mehr als 30 Jahren begleiten sie etwa 5000 Personen, die als Kinder in den Achtzigerjahren einen Universitätstest locker bestanden hatten. Kürzlich schauten die Forscher nach, was aus den 320 schlausten Teilnehmern der Versuchsgruppe geworden war – die obersten 0,01 Prozent der Bevölkerung.

Die großen Karriere-Irrtümer

Und siehe da: Überraschenderweise hatten nur 63 Prozent der geistigen Crème de la Crème einen höheren akademischen Grad wie beispielsweise den Master erreicht. Die wenigsten waren schöpferisch tätig, nur zwei der Supergenies waren im Vorstand eines „Fortune“-500-Unternehmens gelandet. Die Studie von Benbow und Lubinski belegt eine vermeintliche Banalität: Unter Hochbegabten gibt es offenbar eine ähnliche Bandbreite wie unter Normalbegabten. Das zeigt sich oft schon in der Schule. Hochbegabte Kinder verschwenden ihre Aufmerksamkeit ungern mit vermeintlich banalen Aufgaben.

„Im Unterricht habe ich mich damals kaum gemeldet. Die Fragen kamen mir zu einfach vor, gleichzeitig wollte ich ja nicht als Streberin dastehen“, sagt die Mathematikerin Liefkes heute. Manche erfahren erst im Studium, was es überhaupt bedeutet, für Klausuren tatsächlich lernen zu müssen, da sie das als Schüler kaum mussten – andere scheuen selbst diese Mühe. Eine überdurchschnittliche Intelligenz führt daher nicht automatisch zur erfolgreichen Karriere. „Der IQ ist schließlich nicht gleichbedeutend mit Motivation oder Ehrgeiz“, sagt der Psychologe Scheer. Nur eine Eigenschaft haben fast alle Hochintelligenten. Sobald sie sich in ein Aufgaben- oder Themenfeld eingearbeitet haben, wird ihnen schnell langweilig.

Typisch sind daher Zickzacklebensläufe und viele angefangene und abgebrochene Stationen. Routine empfinden sie als Tortur – das müssen auch Unternehmen berücksichtigen. „In vielen Firmen sitzen Hochbegabte, die Großartiges leisten könnten“, sagt Scheer. „Man muss ihnen nur herausfordernde Aufgaben geben.“

Wichtig sei nur, dass das nicht als Sonderbehandlung kommuniziert wird. Interne Ideenschmieden, losgelöst von starren Hierarchiestrukturen – mit solchen Maßnahmen könnten Firmen vom hohen IQ der Angestellten profitieren. Das hat sich mittlerweile bei vielen Arbeitgebern herumgesprochen. „Fast täglich gehen Mails über den Verteiler, in denen jemand einen Mitarbeiter sucht“, sagt Mensa-Mitglied und Business-Stammtisch-Gründer Wolfram Koller. Seine Vereinsfreundin Marna Michel hat aus diesem Bedarf ein Geschäftsmodell entwickelt – sie bringt hochbegabte Brainstorming-Teams mit Unternehmen zusammen.

Andere Superintelligente machen sich ebenfalls gerne selbstständig. So können sie sich auf die eigentliche Tätigkeit konzentrieren. Ohne Smalltalk, langwierige Konferenzen oder hindernde Hierarchien. Denkanstöße suchen sich die meisten Hochbegabten ohnehin anderswo – am liebsten bei Menschen, die gleich schnell getaktet sind. Am Hamburger Stammtisch sehen sich viele zum ersten Mal, Redepausen gibt es nicht. Weil alle etwas zu sagen und zu fragen haben. Aber auch, weil es für alle entspannt ist, sagt Helga Liefkes: „Wir genießen es einfach, uns im Kreis von Hochbegabten einfach mal ganz normal zu fühlen.“

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