Die Schauspielerin Kate Winslet hat gegenüber dem Forbes-Magazin einmal gesagt: "Wenn ich morgens an einem Drehtag aufwache, denke ich, dass ich das nicht schaffe. Ich bin eine Betrügerin."
Das Gefühl kennt auch Philosophiestudent Moritz' L.: Bei seiner Zwischenprüfung bekam er im Hauptfach die Note 1,3, in seinem Hassfach Mathematik eine glatte eins und in einem anderem Nebenfach wurde er Jahrgangsbester. Grund zum Feiern also. Er sagt allerdings: "Ich hatte einfach Glück." Gewusst habe er nicht viel.
Schlichtes Glück, nicht wahre Kompetenz, haben zum eigenen Erfolg geführt, glaubte er. Solche Gedanken plagen Menschen, die das sogenannte Impostor Syndrome - zu Deutsch Hochstapler-Syndrom - haben. Sie hinterfragen laufend, ob sie ihr Erreichtes auch wirklich verdient haben.
Studien von Wissenschaftlern der Georgia State University legen nahe, dass sich zwei von fünf erfolgreichen Menschen selbst als Hochstapler einstufen. Andere Forscher gehen davon aus, dass 70 Prozent aller erfolgreichen Menschen nicht an ihre Fähigkeiten glauben.
Geprägt wurde der Begriff “Impostor Syndrome” von Pauline Rose Clance, Psychologin aus Atlanta, Georgia. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Suzanne A. Imes definierte sie im Jahre 1978 die Symptome hinter dem Phänomen.
Symptome: Perfektionismus und ständige Versagensängste
Clance und Imes zufolge sind ein überzeichneter Perfektionismus, die Bereitschaft zur Überstrapazierung und die ständige Furcht vorm Versagen Zeichen für das Hochstapler-Syndrom. Dazu gehört die Befürchtung, dass ein Erfolgserlebnis willkürlich ist und sich der Erfolg deshalb nicht wiederholen lasse.
Zusätzlich fällt es Betroffenen schwer, Lob anzunehmen. Sie reagieren auf Anerkennung, indem sie versuchen, diese zu schmälern.
Laut Clance ist es vielen Betroffenen gar nicht bewusst, dass sie an dem Syndrom leiden. Wenn aber die Anzeichen genannt werden, fühlten sich viele Menschen angesprochen.
Angst vor der "Entdeckung"
Zur Belastung wird das Syndrom durch die Panik, bald beim vermeintlichen Schwindeln enttarnt zu werden. "Genau dort liegt auch der Unterschied zur gesunden Selbstkritik: Betroffene leben mit einer ständigen Angst, erwischt zu werden", sagt Valerie Young. Sie ist Pädagogin und Autorin des Buches "The Secret Thoughts of Successful Women: Why Capable People Suffer from the Impostor Syndrome and How to Thrive in Spite of It".
In den USA gilt sie als die Expertin für das Hochstapler-Syndrom.
Young sagt, dass das Hochstapler-Syndrom nicht nur Individuen schade, sondern auch Organisationen und letztendlich der Gesellschaft. Denn wer den Selbstzweifeln zu viel Raum gibt, könne nie das eigene Potenzial entfalten und volle Leistung bringen.
Wie Sie der Tiefstapelei entkommen
Laut Young können die Ursachen für das Hochstapler-Syndrom schon in der Kindheit liegen: “Das Syndrom kann durch falsche Botschaften in der Erziehung ausgelöst werden, die zu einem unerschöpflichen Perfektionismus führen. Zum Beispiel, wenn die Eltern einem Kind ständig sagen, dass es sehr klug ist.”
Das führe dazu, dass die eigenen Leistungen dem Kind nie wirklich genügen. Es habe das Gefühl, es müsste mehr erreichen.
Kreative, Frauen und Junge besonders betroffen
Bei Millenials beobachtet Young das Phänomen häufiger als bei früheren Generationen. Ihrer Ansicht nach geht das damit einher, dass den jungen Menschen zu häufig vermittelt werde, sie seien etwas ganz Besonderes. Leistungs- und sozialer Druck im Studium können den Perfektionismus und die sich daraus ergebenden Gefühle der Unzulänglichkeit verstärken.
Frauen sind laut Young anfälliger für das Hochstapler-Syndrom, weil bei ihnen Fehler und Kritik von Klein auf stärker im Fokus stünden, als ihre Erfolge. Zudem deuteten unterschiedliche Studien darauf hin, dass Frauen ihre Kompetenz oft unterschätzten.
Auch der ständige Vergleich mit anderen kann die Selbstzweifel verstärken. Entsprechend ist die Dichte an Betroffenen in kreativen Branchen oder Geschäftsbereichen, in denen regelmäßige Innovation erwartet werden, höher, wie Young sagt. Als ein Beispiel nennt sie den Technologie-Sektor.
Wie Betroffene mit dem Hochstapler-Syndrom umgehen sollten
Wie bei allem beginnt der Weg aus der Tiefstapelfalle mit Selbsterkenntnis. Wer erste Anzeichen des Hochstapler-Syndroms bei sich erkennt, sollte diese erst einmal annehmen und akzeptieren. Des Weiteren sei es wichtig, die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen: Fehler gehören zum Lernprozess und sind ein konstruktives Mittel, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Außerdem sei es wichtig, bestimmte mentale Kreisläufe zu durchbrechen: Sich selbst ständig zu sagen, man könne es nicht und würde zwangsläufig scheitern, führt naturgemäß zu höherem Druck und geringem Selbstbewusstsein. "Wer aufhören will, sich wie ein Hochstapler zu fühlen, muss aufhören, wie ein Hochstapler zu denken", sagt Valerie Young.
Da kann es helfen, sich die eigenen Erfolge vor Augen zu führen. Denn nach externen Maßstäben lässt sich die eigene Leistung ganz einfach bestätigen. Der Fokus auf den eigenen Erfolg hilft, Leistungen unabhängig von anderen zu bemessen.
Wenn die Symptome so stark ausgeprägt sind, dass sie zu unkontrollierbarer Nervosität und Unsicherheit führen, und sogar Panikattacken hervorrufen, ist es Zeit für einen Therapeuten. Besonders, wenn die übertriebene Selbstkritik aus einer Kindheitsprägung hervorgeht, kommen Betroffene alleine kaum davon los. Das wäre verschenktes Potenzial.