Impostor-Phänomen Wenn Erfolg sich wie Hochstapelei anfühlt

Impostor-Syndrom Quelle: Getty Images

Beförderung, gute Noten: Manche Menschen können sich darüber nicht freuen und fühlen sich wie Hochstapler kurz vor dem Auffliegen. Sie leiden unter dem Impostor-Phänomen. Ist es mehr als eine Marotte?

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WirtschaftsWoche: Frau Magnet, Sie haben das erste deutschsprachige Buch zum Impostor-Phänomen geschrieben. Das beschreibt die chronische Unfähigkeit von Menschen, den eigenen Erfolg zu genießen und auf das eigene Talent zurückzuführen. Sie halten sich für Hochstapler. Wie verbreitet ist das Phänomen?
Sabine Magnet: Fast jeder kennt das Gefühl, nur die Ausprägung ist unterschiedlich. Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Menschen in einer schlimmen Form betroffen sind. Ich kam durch ein Telefonat mit einer Freundin auf das Thema. Sie ist meiner Meinung nach eine unfassbar begabte, fähige und tolle Fotografin. Sie offenbarte mir eher beiläufig ihr Gefühl, dass alle ihre guten Fotos Ergebnis von Glück und Zufällen waren und dass sie manchmal befürchtet, die anderen würden spitzkriegen, dass sie nur blufft.

Was dachten Sie da?
Ich war von ihrem schlechten Selbstbild total getroffen. Ich kenne ihre Arbeit und schätze diese sehr. Es gibt offensichtliche Beweise dafür, dass sie eine tolle Fotografin ist. Gleichzeitig fand auch ich mich auf unheimliche Weise darin wieder, wie sie dieses Gefühl beschrieb, den eigenen Erfolg eigentlich nicht verdient zu haben. Das ist die Krux am Impostor-Phänomen: Man weiß oft gar nicht, dass man es durchlebt.

Ist jeder, der schon einmal Selbstzweifel hatte, vom Impostor-Phänomen betroffen?
Es ist normal, dass man mal denkt: Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache und warum man mich diesen Job tun lässt. Es ist auch normal, dass man nicht genau weiß, was man kann. Hinzu kommt: In vielen Fällen denken wir nicht nur, dass wir hochstapeln, sondern tun es auch. Im neuen Job oder mit einem neugeborenen Baby kann man das, was zu tun ist, ja wirklich noch nicht. Schwierig wird es erst, wenn sich das Gefühl festsetzt und ein Teil des Selbstbildes wird. Deshalb sagt man auch Hochstapler-Selbstkonzept dazu. Wenn jemand über eine längere Phase glaubt, einer Sache nicht gewachsen zu sein, die er oder sie eigentlich draufhat, dann wird es destruktiv. Es wirkt sich auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und Leistung im Job aus.

Autorin Sabine Magnet Quelle: Christina Papakyriacou

Was löst die Überforderung aus?
Es gibt Menschen, die sind von Natur aus eher prädestiniert, solche Gefühle zu entwickeln. Auch die Erziehung hat einen Einfluss: In welcher Umgebung sind wir aufgewachsen, was haben wir für Botschaften bekommen? Und ungewohnte Situationen können das Impostor-Phänomen triggern: ein neues Arbeitsverhältnis, Situationen, in denen wir noch nie waren oder wenn wir plötzlich zu einer Minderheit gehören – als einzige Frau in der Führungsriege, als einziger schwarzer Professor, als einziges Arbeiterkind im Hauptseminar. Das kann zu dem Gefühl führen, man gehöre nicht dazu und stapele eigentlich nur hoch – und die anderen würden es irgendwann herausfinden.

Cover Sabine Magnet: Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann? Quelle: PR

Welche Wesensmerkmale haben Menschen, die unter dem Phänomen leiden?
Wenn man introvertiert ist, ist die Chance höher, dass man am Impostor-Phänomen leiden wird. Wenn man neurotisch veranlagt ist - flapsig ausgedrückt: Wenn man einen Hang zum Brainfuck hat –, dann ist man auch dafür prädestiniert. Anfälliger ist man, wenn man insgesamt eher problemorientiert und weniger lösungsorientiert ist.

Wo reiht sich das Impostor-Phänomen ein? Ist es eine Krankheit? Ist es eine Marotte?
Eine der Entdeckerinnen, Pauline Rose Clance, sagte vor drei Jahren, sie bereue es, es als Phänomen bezeichnet zu haben. Eigentlich fände sie den Begriff „Erfahrung“ passender. Denn genau das sei es: Eine Erfahrung, die relativ viele Leute machen. Wissenschaftlich ist es ein psychologisches Phänomen, kein Syndrom, also keine Krankheit. Es ist einfach eine Facette menschlicher Erfahrung.

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