"Könnten Sie noch?", "würdest du bitte...?", "du machst doch sonst auch..." - wer auf solche Aufforderungen chronisch mit Ja antwortet, hat ein Problem. Schlimmstenfalls endet man wie die Filialleiterin Sylvia Nester, die Karriereberater Martin Wehrle in seinem Buch "Bin ich hier der Depp? Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen" beschrieben hat. Nester sagte nie Nein, was dazu führte, dass sie die Nächte im Warenlager ihrer Filiale schlief, um Einbrecher abzuschrecken. Der Chef hatte das für eine gute Idee gehalten. Weil sie Angst hatte, den Job zu verlieren, stimmte sie zu. Nach acht Monaten war Frau Nester gesundheitlich am Ende und ein Fall für den Therapeuten. Mit einem deutlichen "Nein" hätte sie sich das ersparen können.
Frau Nester ist leider nicht die Einzige, die sich Dinge aufhalst, die sie gar nicht möchte. 2012 hat das Meinungsforschungsinstitut TNS mehr als 1000 repräsentativ ausgewählte Deutsche befragt, ob es ihnen leicht fällt, eine Bitte abzulehnen. Das Ergebnis: 81 Prozent sagen zu oft Ja - und ärgern sich anschließend darüber. Wenn die Freunde fragen, ob man beim Umzug hilft, können 57 Prozent der Männer und 61 Prozent der Frauen nicht Nein sagen - und zwar unabhängig davon, ob sie Zeit haben, zu helfen.
Nicht einmal der Hund bekommt ein Nein
Wenn der Partner etwas möchte, sagen 52 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen vorschnell Ja und sitzen dann in einem Kinofilm oder einer Opernvorstellung, für die sie sich nicht interessieren und für die sie das lange geplante Treffen mit den Studienkollegen abgesagt haben. Und wenn der Chef etwas will - egal, wie utopisch es sein mag - sagen 36 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen sofort: "Na klar Chef, nichts lieber als das, Chef!" 14 Prozent haben sogar ein Problem damit, ihrem Haustier etwas abzuschlagen. Dann bekommt der Hund eben das Steak und schläft im Bett.
Doch wer sich nie widersetzt, kommt im Leben zu kurz, weiß der Entwicklungspsychologe Jürg Frick von der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Wer ständig die eigenen Bedürfnisse ignoriere, um anderen zu gefallen oder um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, macht sich selber krank. Der Burnout wegen selbstgewählter Überforderung ist die logische Konsequenz.
Warum wir Angst vorm Nein sagen haben
Die Gründe, warum sich viele Menschen nicht trauen, auch einmal Nein zu sagen, sind vielfältig. Einer davon ist die Angst vor Ablehnung. "Wenn ich jetzt ablehne, verliere ich Sympathien."
Wir fürchten, den anderen zu enttäuschen oder hängen zu lassen.
Wenn wir jemandem einen Wunsch abschlagen, sind wir herzlos oder egoistisch. Und das wollen wir nicht sein.
Viele haben außerdem Sorge, durch ein "Nein" eine Freundschaft, die fällige Gehaltserhöhung oder die Karriere aufs Spiel zu setzen.
Doch woher kommt diese Ja-Sageritis, an der laut Umfrage schließlich vier von fünf Deutschen leiden? "Viele Probleme habe ihre Ursache darin, dass Menschen in ihrer Lebensgeschichte bestimmte Werte gelernt haben: Dass sie brav sein müssen, perfekt sein müssen oder nur geliebt werden, wenn sie tun, was man ihnen sagt", erklärt Frick. Wer von klein auf gelernt hat, dass ein "Nein, ich möchte das nicht" mit negativen Konsequenzen verbunden ist, tut sich deutlich schwerer, einen Wunsch abzuschlagen, als derjenige, dessen Grenzen immer akzeptiert wurden.
Wir sind zu bequem
Die als Kind gelernten Muster treten dann auch im Erwachsenenalter auf. Viele Menschen hätten häufig größere Angst vor einer negativen Reaktion als nötig, erklärt Frick. "Viele malen sich Konsequenzen aus wie: die haben dann eine schlechte Meinung von mir oder sind enttäuscht."
Darüber hinaus ist es auch sehr bequem, Ja zu sagen: Man muss keinerlei negative Rückmeldungen fürchten, sich mit niemandem auseinandersetzen und zumindest kurzfristig gewinnt man Sympathie.
Weshalb wir lieber "Ja" als "Nein" sagen
Sie sind schon wieder nicht vor neun Uhr abends zuhause? Das ist nicht Ihre Schuld. Schließlich haben die Kollegen Sie mit Arbeit bombardiert. Wer immer zu allem "Ja" sagt, hat weniger Verantwortung für sein Tun - und somit eine bequeme Ausrede.
Sie helfen bei jedem Umzug, passen ständig auf die Haustiere verreister Freunde auf, erledigen alle Extraarbeiten der Kollegen und gehen für den kranken Nachbarn einkaufen? Das dürfte Ihre Beliebtheit in Ihrem sozialen Umfeld enorm steigern. Leider nicht um Ihrer Selbst Willen...
Sie sind ein guter Mensch. So selbstlos und hilfsbereit. Das sehen sowohl Sie als auch die anderen so. Ohne Sie ginge es allen viel schlechter.
Letztlich ist es deutlich einfacher, "Ja" zu sagen. So müssen Sie nichts erklären und gehen Diskussionen aus dem Weg. Außerdem vermeiden Sie Schuldgefühle.
Allerdings werden Ja-Sager nicht um ihrer selbst Willen geliebt, sondern weil sie praktisch sind. Der Mensch neigt nun mal dazu, die Gutmütigkeit anderer auszunutzen. Auch die Eigenliebe und der Respekt vor sich selbst nehmen ab, wenn die Bedürfnisse anderer immer über den eigenen stehen und andere somit unser Leben bestimmen.