Konfliktschlichterin Sosan Azad Wenn Kollegen sich streiten, ist oft der Chef schuld

Wenn es zwischen Kollegen kracht, kommt Mediatorin Sosan Azad zum Einsatz. Sie berichtet über banale Anlässe, tiefere Ursachen und warum die Vorgesetzten meist ein wichtiger Teil des Problems sind.

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Die fiesesten Mobbing-Attacken
Laut einer TNS Emnid-Studie ist jeder sechste Deutsche (15 Prozent) selbst einmal Opfer von Mobbing am Arbeitsplatz geworden. Doch nicht jede Lästerei gilt als Mobbing. Die Gewerkschaft verdi definiert Mobbing als "fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen." Dazu gehören Angriffe auf die Möglichkeit, sich zu äußern, Angriffe auf die sozialen Beziehungen, Angriffe auf das soziale Ansehen, Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation sowie Angriffe auf die Gesundheit. Meistens entwickelt sich Mobbing jedoch langsam und steigert sich... Quelle: Fotolia
Der Karrierecoach Martin Wehrle hat sich näher mit dem Thema Mobbing und den einzelnen Stufen befasst. Meistens beginnt es mit einfachem Lästern über einen Kollegen oder eine Kollegin. Auf einmal wird alles, was an dem Betroffenen anders ist, durch den Kakao gezogen und jede Kleinigkeit wird zu einer Riesenmarotte aufgeblasen. Man spricht nicht mehr mit dem Kollegen, sondern über ihn. Quelle: Fotolia
Die nächste Stufe ist, nicht mehr nur über die Eigenarten des Kollegen zu tuscheln, sondern ihn damit zu verspotten. Seinen Gang oder seine Sprechweise zu imitieren, ihm verletzende Spitznamen zu geben oder offen über ihn zu lachen. Quelle: Fotolia
Viele Mobber suchen bei ihren Opfer nach winzigen Fehlern und überschütten sie dann mit völlig überzogener Kritik. Wer ständig vor allen anderen gesagt bekommt, dass die eigene Arbeit nichts taugt und ihm ständig Fehler unterlaufen, der wird unsicher - und macht Fehler. Quelle: Fotolia
Der nächste Schritt ist dann oft, den Kollegen beim Chef anzuschwärzen, weil er angeblich nur Fehler macht und dann auch noch zu langsam arbeitet. So sorgen die Mobber dafür, dass der Betroffene auch noch bei den Führungskräften einen schlechten Stand hat. Quelle: Fotolia
Spricht das Mobbingopfer die Kollegen direkt an, wird es nicht selten für verrückt erklärt. Der Kollege sei bloß überempfindlich, verstehe keinen Spaß oder habe offensichtlich psychische Probleme. Quelle: Fotolia
Experten beobachten außerdem, dass der Ton immer schärfer wird, je länger das Mobbing andauert. Nicht selten kommt es vor, dass der betroffene Kollegen angeschrien wird. Quelle: Fotolia

Frau Azad, Sie sind seit zehn Jahren selbstständige Mediatorin, schlagen sich also ständig mit den Problemen anderer herum. Da geht es wahrscheinlich um große Eklats vor versammelter Mannschaft, Machtproben zwischen Abteilungsleitern und so weiter.

Das kommt schon vor, aber der Großteil meiner Aufträge ist wesentlich trivialer. Ich würde sagen in 80 Prozent der Fälle geht es zunächst um Sachkonflikte. Mitarbeiter, die sich wegen der Urlaubsplanung nicht einigen können. Neue Produkte, die nicht rechtzeitig fertig werden und so Unruhe in die Abteilung bringen.

Sie sagen, es ginge „zunächst“ um Sachkonflikte. Was meinen Sie damit?

Sosan Azad Quelle: Presse

Naja, wenn ich dann in das Unternehmen komme, mich mit den Beteiligten unterhalte, dann merke ich häufig, dass dieser Sachkonflikt nur die Bombe zum Platzen gebracht hat. Meistens geht es um zwischenmenschliche Verwerfungen, die über Monate oder Jahre gewachsen sind. Die Mitarbeiter wünschen sich mehr Anerkennung oder sie haben das Gefühl, stets viel zu geben, aber nichts zurückzubekommen.  

Zur Person

Um das herauszubekommen, müssen Sie aber erstmal richtig nah an die Streithähne heran oder?

Ja, das stimmt. Eine Mediation beginnt meist mit einem Gespräch mit der Leitung – also Abteilungsleiter, direkte Vorgesetzte, in kleinen Unternehmen eventuell auch die Geschäftsführung. Sie stellen das Problem dar und ich muss herausfinden, ob es überhaupt ein Fall für mich als Mediatorin ist. Manchmal ist es auch eine Aufgabe für die Geschäftsleitung.

Wann zum Beispiel?

Wenn in einer Abteilung beispielsweise sehr viele Überstunden gemacht werden, einige Mitarbeiter dadurch kurz vor dem Burnout stehen und deshalb dünnhäutig oder aggressiv sind. So etwas kann ich nicht auflösen, ohne dass im Vorfeld die Strukturen geändert werden. Die Führungskräfte sind also zunächst gefragt.    

Okay, aber bleiben wir bei einem Fall, bei dem Sie helfen können.

Genau, dann gucke ich mir einige Fakten an. Wer hat mit wem ein Problem? Sind es die Angestellten untereinander? Ist der Vorgesetzte involviert? Sind zwei Abteilungen sich spinnefeind? Je nach Fall konzipiere ich das Mediationsdesign.

Was bedeutet das?

Manchmal führe ich zuerst Einzelgespräche. Bei sehr vielen Beteiligten lasse ich zunächst einen Fragebogen ausfüllen. Wann kann ich wen zu einem Gruppengespräch dazu holen? Wann ist es sinnvoll auch die Vorgesetzten zu hören?

Holen Sie die Vorgesetzten häufig dazu?

Ja. Eine sehr interessante Beobachtung, die ich über die Jahre gemacht habe. In 70 Prozent der Fälle sind sie nämlich Teil des Problems.

Inwiefern ist ein Abteilungsleiter verantwortlich, wenn Angestellte nicht miteinander klar kommen?

Nehmen wir mal an, die Stimmung in einem Team ist schlecht, weil die Konkurrenz zwischen den Mitgliedern groß ist. Dann würde ich schauen, wo dieser Machtkampf herkommt. Nehmen wir weiter an, die Angestellten haben  befristete Verträge und einer bekommt einen Festvertrag, die anderen nicht. Jeder bekommt es mit, aber der Chef erklärt seine Entscheidung nicht. Das ist Gift für das Arbeitsklima.

Was würden Sie in diesem Fall raten?

Ganz häufig ist es in der Tat ein Kommunikationsproblem. Die Vorgesetzten sollten ihre Entscheidungen ansprechen und den anderen Mitarbeitern klar machen, dass sie auch wichtig sind. Chefs müssen außerdem ein deutliches Profil haben. Sie können nicht an einem Tag abends mit der Belegschaft ein Bier trinken und am nächsten Morgen knallharte Entscheidungen fällen. Auch das sorgt für Unruhe und Spannungen im Team. 

Große Unternehmen haben meist eigene Mediatoren

Der Chef als Streitschlichter
Viele große Unternehmen holen sich im Falle des Falles externe Berater und Mediatoren ins Boot, die die Streithähne wieder beruhigen sollen. Alternativ lassen sich Konzerne von Beratern ein Konzept erstellen, wie sie im Konfliktfall reagieren müssen. Nachteil daran: Die Beratung ist in der Regel kostspielig und die Umsetzung der Konzepte nicht immer einfach. Trotzdem sollten sich auch kleinere Unternehmen eine Strategie zurecht legen, wie sie auf Konflikte reagieren. Quelle: Fotolia
Wichtig ist, dass sich Betriebsrat und Management inhaltlich aus den Querelen des Teams heraushalten. Das einzige, wo die Führungsriege klar Stellung beziehen sollte, ist bei der Frage nach dem Konfliktmanagement. Hier sollten sich Chefs als Befürworter positionieren. Quelle: Fotolia
Wichtig ist, dass es einen Ansprechpartner im Betrieb gibt, an den sich Kollegen im Konfliktfall wenden können und der die Kommunikation beziehungsweise Konfliktberatung in die Hände nimmt. Ob es sich dabei um ein Mitglied des Betriebsrates, des Managements oder einen einfachen Angestellten handelt, ist zweitrangig. Wichtig ist nur, dass diese Person leicht zu erreichen ist. Der Außendienstmitarbeiter, der nur alle zwei Wochen kurz im Betrieb vorbeischaut, ist genauso ungeeignet wie der Chef, bei dem man vier Wochen auf einen Termin warten muss. Quelle: Fotolia
Es kann nicht schaden, die entsprechende Person zu einem Seminar zu schicken, bei der sie den Umgang mit Auseinandersetzungen lernt. In entsprechenden Kursen können dem Ansprechpartner, aber auch den betroffenen Mitarbeitern Strategien beigebracht werden, wie sie Streitigkeiten beilegen und das Vertrauen wieder herstellen. Quelle: Fotolia
Die Wirtschaftsmediatorin Nicole Musäus-Rausch empfiehlt gegenüber Zeit Online, dass die Beteiligten selbst eine Lösung für den Konflikt entwickeln sollen. Das hat den Vorteil, dass die Betroffenen den Lösungsweg eher akzeptieren werden, als einen aufoktroyierten vom Chef. Quelle: Fotolia
Besonders wichtig ist, dass die Mitarbeiter die Konfliktmanagement-Maßnahmen verinnerlichen und bei weiteren Auseinandersetzungen anwenden. Es kann deshalb hilfreich sein, nach Bewältigung eines Konflikts die Maßnahmen mit dem Team noch einmal zu besprechen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie hilfreich sie waren und was verbessert werden könnte. Quelle: Fotolia

Sind Konflikte in kleinen Unternehmen schwieriger zu lösen als in großen Organisationen, weil man sich schlechter aus dem Weg gehen kann?

Nein. Ein großer Konzern ist wie eine große Stadt – man trifft meistens nur die Leute vom eigenen Kiez. Im Unternehmen ist man von den Kollegen aus dem eigenen Team abhängig. Da macht es keinen Unterschied wie groß das Unternehmen ist.

Also kommen sowohl Konzerne als auch kleine Mittelständler zu Ihnen, um Streit schlichten zu lassen?

Ja, allerdings habe ich in meiner Kundschaft mehr kleine und mittlere Unternehmen.

Warum?

Die großen Konzerne haben meist intern Mediatoren ausbilden lassen. Betriebsräte oder Gleichstellungsbeauftrage verfügen häufig über diese Zusatzqualifikation. Gibt es in Zweigstelle A ein Problem zwischen den Mitarbeitern und Zweigstelle B hat einen Mediator, dann kann dieser schlichten.

Was ist bei solchen internen Lösungen zu beachten?

Der Vermittler darf in seinem normalen Berufsalltag nichts mit den Konfliktparteien zu tun haben. Problematisch ist eine interne Mediation, wenn eine Führungskraft in den Streit verwickelt ist. Denn sie könnte später auch einmal zum Chef des internen Vermittlers werden.  

Wann ist die Situation zwischen zwei Parteien besonders verfahren?

Wenn sie nicht mehr miteinander sprechen. Dann ist das eine Katastrophe und  es wird sehr schwierig eine Lösung zu finden.

Hatten Sie einen solchen Fall schon mal?

Ja, mehr als einmal. Aber einer war besonders skurril. Zwei Freundinnen hatten eine Firma gegründet. Das Geschäft basierte auf freundschaftlichen Vereinbarungen. Beim Notar hatten sie so gut wie nichts geregelt. Wem gehört der Name? Wem das Logo? Alles ungeklärte Fragen.

Und dann?

Kleinigkeiten schaukelten sich immer weiter hoch. Die eine hatte befreundete Handwerker beauftragt, mit deren Arbeit die andere nicht zufrieden war. Die eine hatte einer Mitarbeiterin Sonderurlaub gewährt, weil diese in einer schwierigen privaten Situation war, ohne der anderen Geschäftsführerin Bescheid zu sagen. Das ging soweit, dass einst beste Freundinnen nicht mehr miteinander sprachen und wichtige Absprachen nur noch per Mail vornahmen. Die Belegschaft spaltete sich ebenfalls.

Was haben Sie in dieser verfahrenen Situation gemacht?

Es gab nur noch einen Weg, nämlich knallharte Realitäten aufzeigen. Wir haben uns zu dritt getroffen und ich habe ihnen mehrere Szenarien aufgezeigt und diese mit Fakten und Zahlen belegt. Die beiden Extreme waren: Sie reißen sich zusammen und arbeiten wieder miteinander oder das Geschäft geht den Bach runter.

Für was haben sich die beiden entschieden?

Sie haben sich getrennt. Manchmal hilft Vermitteln auf der menschlichen Ebene nicht mehr und auch die knallharten Fakten stoßen an ihre Grenzen.

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