Kreativität Das Geheimnis der produktivsten Menschen

Warum sind manche schöpferischen Menschen so viel produktiver als andere? Sie haben mehr Zeit, weil sie konsequent Nein sagen können zu allen Ablenkungen, schreiben die Gastautoren Anja Förster und Peter Kreuz.

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Was unterscheidet Pablo Picasso, Frank Gehry und Peter Drucker von Otto und Anna Normal? Unsere Gastautoren sind dem auf den Grund gegangen Quelle: dpa

Unbestreitbar gibt es Menschen, die weitaus produktiver und kreativer sind als die meisten anderen. Was macht den Unterschied? Sind sie talentierter? Fleißiger? Zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Ist es schlicht Glück oder Zufall?

Wir haben uns gefragt, was der Unterschied ist zwischen einem Architekten wie Frank Gehry, einem Künstler wie Pablo Picasso oder einem Managementautor wie Peter Drucker auf der einen Seite – und Otto und Anna Normalo auf der anderen Seite. Es gibt zig Architekten, Künstler oder Autoren, die völlig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle leben und arbeiten und die vergleichsweise wenig bewegen. Sind die Ausnahmekönner einfach genialer?

Die Antwort, die wir gefunden haben, klingt überraschend: Die Produktiven haben einfach mehr Zeit!

Nein, ihr Tag hat nicht 25 Stunden. Mehr Zeit heißt auch nicht, dass sie mehr Zeit für Spaß und Vergnügen hätten, sondern: mehr Zeit für ihr Werk! Für das, was für sie das Wichtigste auf der Welt ist: Eben Häuser bauen, Bilder malen oder Bücher publizieren.

Wer sich mit solchen erfolgreichen Menschen beschäftigt, findet eine faszinierende Eigenschaft, die sie alle miteinander gemeinsam haben: Sie umgibt eine erstaunliche Aura von Freiheit und Unabhängigkeit, die manchmal so extrem ist, dass sie in Halsstarrigkeit oder Sturheit umschlägt. Sie sind definitiv frei, das zu tun, was für sie zählt. Sie lassen sich nicht ablenken oder beeinflussen, sondern bleiben fokussiert auf das Eine, was sie am besten können. Sie verwenden so viel Zeit wie nur irgendwie möglich für ihr Werk. Wer zu den Besten seines Fachs gehört, investiert darin fast sein komplettes Leben. Immer. Sie werden kein Gegenbeispiel finden.

„Hab keine Zeit für dich! Tut mir leid …“

Es ist ein anderer Umgang mit der Zeit, eine andere Perspektive darauf, eine andere Priorisierung. Richard Avedon beispielsweise, einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, wurde einmal von einem Autoren gefragt, ob er für ein Interview zur Verfügung stehe. Avedons Antwort auf das Ansinnen des ambitionierten Autors war ebenso knapp wie treffend: „Tut mir leid. Mir bleibt zu wenig Zeit im Leben für so etwas.“

Avedon sagte ab. Er sagte Nein. So wie auch Peter Drucker in seinem Leben tonnenweise Absagen formulierte. Eine klang so: „Das Geheimnis der Produktivität besteht darin, einen sehr großen Papierkorb zu haben für alle Anfragen wie Ihre!“

Die Angewohnheit, zu sehr vielen Ablenkungen, Anfragen, Möglichkeiten, Alternativen deutlich und konsequent Nein zu sagen, versetzt produktive Menschen überhaupt erst in die Lage, extrem kreativ zu sein und einen überragenden Output zu schaffen. Viele hässliche und schroffe Neins schlagen erst den Raum frei für das eine große Ja.

„Die Fähigkeit, das Wort ‚Nein‘ auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit“, sagt der französische Schriftsteller Nicolas Chamfort. Anders ausgedrückt: Wenn Sie Nein sagen, dann lehnen Sie implizit ab, anderen die Arbeit abzunehmen, anderen zum Erfolg zu verhelfen, Teil des Plans anderer zu sein. Sie grenzen sich ab und schlagen damit einen Zaun um Ihre Zeit, die Sie dann konzentriert einsetzen können für Ihre eigene Arbeit, was auch immer es ist.

Nein zu sagen bedeutet, Türen zuzuschlagen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, eine bestimmte Tür zu öffnen – Es ist der Türöffner für ein selbstbestimmtes, schaffensreiches Leben.

Auch ein "Nein" kann positiv sein

Zehn Tipps für mehr Produktivität
1. Tierfotos aufhängen…Klingt skurril, funktioniert aber tatsächlich. Davon ist zumindest Hiroshi Nittono von der Universität Hiroshima überzeugt. Für seine Studie im vergangenen Jahr teilte er 132 Freiwillige in zwei Gruppen. Gruppe A blickte zunächst auf Fotos verschiedener Kleintiere, darunter Hundewelpen und Katzenbabys. Gruppe B sah zwar ebenfalls Bilder von Tieren, allerdings von ausgewachsenen. Nun absolvierten alle Probanden unterschiedliche Geschicklichkeitsspiele. Und siehe da: In allen drei Experimenten schnitten jene am besten ab, die zuvor die Tierbabys angeschaut hatten. Nittono glaubt: Beim Anblick niedlicher Tiere wird uns sprichwörtlich warm ums Herz. Und dieses Gefühl kann offenbar auch unsere geistigen Fähigkeiten steigern – zumindest kurzfristig. Quelle: REUTERS
2… oder einen echten Hund anschaffenVorausgesetzt natürlich, der Arbeitgeber stimmt zu. Doch mit ziemlicher Sicherheit werden es ihm die Angestellten mit mehr Leistung danken. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie, über den der britische „Economist” vor einigen Jahren berichtete. Darin sollten sich die Freiwilligen zum Beispiel Ideen für einen Werbespot ausdenken. Bei manchen hatte es sich unter dem Konferenztisch ein Hund gemütlich gemacht – und genau jene Probanden waren am kreativsten. Außerdem fühlten sie sich auch am wohlsten. Quelle: dpa
Geschenke verteilenHöhere Löhne? Boni für besondere Leistungen? Alles schön und gut – aber kleine Geschenke helfen viel mehr. Das glaubt etwa Sebastian Kube, Verhaltensökonom an der Universität Bonn. In seiner Studie sollten im Jahr 2011 48 Studenten drei Stunden lang die Bücher einer Bibliothek katalogisieren – für zwölf Euro Stundenlohn. Doch Gruppe A gestattete Kube im Verlauf des Experiments eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent. Gruppe B schenkte er einen Gutschein für eine Thermoskanne im Wert von sieben Euro. Kaum zu glauben: Die Lohnerhöhung brachte gar nichts. Wirksam war hingegen der Gutschein: Er steigerte die Produktivität im Schnitt um 30 Prozent. Kube erklärt sich dieses Ergebnis mit dem so genannten Reziprozitäts-Effekt. Vereinfacht gesagt: Wer uns etwas schenkt, dem fühlen wir uns anschließend verpflichtet. Wer von seinem Unternehmen also ein Geschenk erhält, erhöht im Anschluss sein Engagement. Quelle: Fotolia
4. Im Internet surfenNoch immer soll es Unternehmen geben, die ihren Angestellten verbieten, während der Arbeit privat im Netz herumzusurfen – ein großer Fehler. Das zumindest legt eine Studie aus dem Jahr 2011 nahe. Don Chen und Vivien Lim von der Nationaluniversität von Singapur reichten 96 Studenten einen Text mit einer Länge von 3500 Wörtern. Darin sollten sie 20 Minuten lang jedes „E“ markieren – eine zugegebenermaßen stupide Aufgabe. Dann teilten die Wissenschaftler die Probanden in drei Gruppen. Die einen mussten eine zehnminütige Zusatzaufgabe lösen, die anderen konnten entspannen, wieder andere durften im Internet herumsurfen. Jetzt bekamen alle einen 2000 Wörter langen Text, in dem sie jedes „A“ kennzeichnen sollten. Wer sich am besten schlug? Jene Gruppe, die zuvor im Netz herumgesurft war. Offenbar sorgte Surfen für Entspannung und lud den geistigen Akku am besten auf. Quelle: Reuters
5. Mit Kollegen tratschenDie Psychologin Kathryn Waddington von der Universität von London befragte für ihre Studie im Jahr 2005 knapp 100 Krankenschwestern und –pfleger. Ergebnis: Ein kurzer Plausch in der Kaffeeküche oder in der Raucherecke war für die meisten eine gute Gelegenheit, um Frust und Freude zu teilen – und sich letztendlich wieder besser auf die Arbeit zu konzentrieren. Quelle: Fotolia
6. Musik hörenMusik hat durchaus magische Kräfte. Das konnte 2008 auch Costas Karageorghis von der Brunel-Universität in London nachweisen. 30 Freiwillige strampelten sich auf einem Laufband ab und lauschten währenddessen unterschiedlicher Musik. Und siehe da: Liefen die Freiwilligen zu einem Rhythmus von 120 bis 150 Pulsschlägen pro Minute, brachten sie bis zu 15 Prozent mehr Leistung – und fanden das Training außerdem weniger anstrengend. Quelle: dpa
7. Pflanzen mitbringenEin norwegisch-amerikanisches Forscherteam um Ruth Raanaas ließ für eine Studie im Jahr 2011 34 Studenten verschiedene Aufgaben lösen. Die eine Hälfte war derweil von Blumen und Pflanzen umgeben, die andere nicht. Mehrmals testete Raanaas die Aufnahmefähigkeit und Konzentration der Probanden – und stellte fest: Die Blumen-Gruppe schnitt jedes Mal besser ab. Offenbar steigerte die Flora die geistigen Fähigkeiten. Quelle: dpa

Dass Nein etwas Positives sein soll, sind wir überhaupt nicht gewöhnt! Schon von Kindesbeinen an werden wir darauf gedrillt, „positiv“ zu sein, offen zu sein, zugänglich und sozial zu sein. Die einzigen Gelegenheiten, zu denen wir als Kinder getrost Nein sagen dürfen, sind die, wenn ein Fremder uns anspricht oder uns ein Eis anbietet. Nein sagt man nämlich nur zu den Bösen!

Darum fällt es uns so schwer. Und dementsprechend bezahlen Sie mit dieser Haltung einen hohen Preis, nämlich einen sozialen: Wer ständig Nein sagt, muss es aushalten, als unbequem, unfreundlich, arrogant oder selbstsüchtig zu gelten. Ihre Standhaftigkeit wird insbesondere dann auf die Probe gestellt, wenn sie mit Ihrem Nein der Meinung der Mehrheit oder der einer mächtigeren Instanz entgegenstehen. Wenn also zum Beispiel Ihr Chef oder die Mehrheit der Kollegen ein Ja von Ihnen fordern. – Diesen Widerspruch auszuhalten, genau das ist die große Kunst!

10 Tipps zum Nein-Sagen
Gemeinsame MaßstäbeNein sagen fällt vielen schwer - besonders dann, wenn die Bitte vom Chef kommt. Wird aber immer mehr gefordert, müssen Grenzen gesetzt werden. Wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, kann man sich immer auf den gemeinsamen Arbeitsvertrag berufen. Außerdem gibt es Tarifverträge und Arbeitsschutzrechte. Da sind Arbeitszeiten, Urlaube und andere Dinge klar geregelt. Gegen das Gesetzt hat auch der höchste Chef keine Chance, allerdings sollten Sie damit vorsichtig sein. Nur wenn Sie ihre Rechte genau kennen, sollten sie sich darauf berufen. Quelle: dpa
Selbstvertrag Jeder Arbeitnehmer sollte sich einen Selbstvertrag aufsetzen. Zu was kann ich Ja sagen? Wobei fühle ich mich wohl? Wobei unwohl? Erst wenn Sie genau wissen, was Sie wollen und was nicht, können Sie es überzeugt dem Chef vermitteln. Dabei müssen Sie immer ihr eigener Zeuge bleiben. Wenn Überstunden an mehr als zwei Tagen die Woche nicht mit ihrer eigenen Überzeugung vereinbar sind, dann müssen Sie konsequent sein. Am einfachsten geht das, wenn Freunden oder Kollegen von ihren Richtlinien erzählen. Dann fällt das Nein-Sagen schon viel leichter. Quelle: dpa
Zeit nehmen Nehmen Sie sich Zeit, bevor Sie auf Fragen oder Forderungen reagieren. Viele reagieren reflexartig mit "Ja". Hier liegt der Fehler: Mahnen Sie sich selbst, sich Zeit zu nehmen. Bedenkzeit ist wichtig, um das Für und Wider abzuwägen. Gehen Sie nach ein paar Minuten zu ihrem Chef und teilen Sie ihm ihre Entscheidung mit. Dabei: Freundlich, aber bestimmt bleiben. Quelle: dpa
Mauer hochziehen Sollte ihr Chef das Nein nicht akzeptieren und immer weiter fragen, ziehen Sie eine Mauer hoch. Signalisieren Sie deutlich: Ich weiche keinen Schritt zurück. Das ist meine Meinung und dabei bleibe ich. Das entmutigt den Chef. Quelle: dpa
Alternativen geben Wenn Sie an einem Projekt sitzen und schon den vierten Tag in Folge Überstunden machen müssen, vermitteln Sie ihrem Chef: Das ist zu viel. Aber gehen Sie nicht einfach ohne die Arbeit zu beenden. Kommunikation ist wichtig. Geben Sie ihrem Chef Alternativen: Sie könnten ihre Prioritäten verschieben, in einem anderen Bereich weniger machen oder Kollegen an dem Projekt beteiligen. Sollte ihr Chef dem nicht zustimmen, schlagen sie vor stattdessen an anderen Tagen der Woche frei zu bekommen. Quelle: dpa
PrinzipienWenn ihr Chef Sie um etwas bittet und Sie nennen Gründe, können diese schnell abgeschmettert werden. "Sie wollen um 15 Uhr in die Mittagspause? Gehen Sie doch einfach um 17 Uhr." Prinzipien sind von außen allerdings nicht so leicht angreifbar. Wenn ihr Prinzip ist, dass Sie jeden Tag nach sechs Stunden Pause machen, kann das ihr Chef nicht so leicht anfechten. Quelle: dpa
Drehen Sie den Spieß um Sie sind überarbeitet, frustriert oder krank? Haben schon wieder zu viel gearbeitet und brauchen endlich mal einen Tag Urlaub? Dann ziehen Sie Grenzen. Sagen Sie ihrem Chef, dass Sie der Firma nur schaden und möglicherweise Fehler machen. Es nützt dem Unternehmen wenig, wenn Sie nicht voll einsatzfähig sind. Quelle: dpa

Natürlich kennt jeder auch Situationen, in denen wir etwas tun müssen, obwohl wir es nicht wollen. Beispielsweise wenn abgestimmt wurde und wir uns als Demokraten der Mehrheitsmeinung beugen müssen. Oder dann, wenn es eine mächtigere Instanz gibt wie Ihren Chef, der eine Anweisung erteilt, die Sie befolgen müssen, wenn Sie ihren Job nicht verlieren wollen. Was also in solchen Situationen tun? Einfach Ja sagen und zur Tagesordnung übergehen?

Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass es sich selbst dann lohnt, trotzdem deutlich vernehmlich unser Nein zu äußern – auch dann, wenn wir gleichzeitig wissen, dass wir zu einem anderen Handeln gezwungen sind. Es geht darum, trotzdem jederzeit genau zu wissen, was wir verneinen, auch wenn wir das nicht durchsetzen können. Warum? Um uns die Freiheit zu bewahren, etwas zu bejahen!

To Do or Not to Do

Für uns bedeuten diese Erkenntnisse, dass wir nicht nur eine To-Do-Liste führen müssen, um jederzeit zu wissen, was zu tun ist, sondern außerdem auch eine To-Don‘t-Liste. Wir tun das übrigens. Wir haben uns daran gewöhnt zu notieren, was wir auf gar keinen Fall machen wollen, wen wir auf gar keinen Fall treffen wollen und womit wir auf gar keinen Fall unsere Zeit verschwenden wollen. Wir müssen wissen, was wir NICHT wollen, damit täglich umso deutlicher zum Vorschein kommt, was wir wirklich wollen.

Derart eingenordet zu sein, bringt eine unglaubliche Befreiung mit sich. Denn nichts löst größeren Stress aus, als Ja zu sagen, wenn man Nein meint. Und genau diesen Stress sollten wir abschaffen. Diese Abgrenzung zu treffen und alles abzulehnen, was nicht auf unser Werk einzahlt, heißt nichts anderes, als selbstverantwortlich  festzulegen, welche Tätigkeiten bedeutsam sind und welche nicht – und auch, was für uns gute Arbeit und was miese Arbeit ist. Niemand kann diese Unterscheidung für uns treffen, außer wir selbst!

Wenn wir uns mit dieser entschiedenen Haltung auf die Tätigkeiten fokussieren, die für uns bedeutsam sind, dann haben wir auch die Chance, Bedeutsames zu bewegen. Nein zu sagen, hat eine weitaus größere kreative Kraft als Ideen, Wissen und Talent zusammen!

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