Unbestreitbar gibt es Menschen, die weitaus produktiver und kreativer sind als die meisten anderen. Was macht den Unterschied? Sind sie talentierter? Fleißiger? Zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Ist es schlicht Glück oder Zufall?
Wir haben uns gefragt, was der Unterschied ist zwischen einem Architekten wie Frank Gehry, einem Künstler wie Pablo Picasso oder einem Managementautor wie Peter Drucker auf der einen Seite – und Otto und Anna Normalo auf der anderen Seite. Es gibt zig Architekten, Künstler oder Autoren, die völlig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle leben und arbeiten und die vergleichsweise wenig bewegen. Sind die Ausnahmekönner einfach genialer?
Die Antwort, die wir gefunden haben, klingt überraschend: Die Produktiven haben einfach mehr Zeit!
Nein, ihr Tag hat nicht 25 Stunden. Mehr Zeit heißt auch nicht, dass sie mehr Zeit für Spaß und Vergnügen hätten, sondern: mehr Zeit für ihr Werk! Für das, was für sie das Wichtigste auf der Welt ist: Eben Häuser bauen, Bilder malen oder Bücher publizieren.
Wer sich mit solchen erfolgreichen Menschen beschäftigt, findet eine faszinierende Eigenschaft, die sie alle miteinander gemeinsam haben: Sie umgibt eine erstaunliche Aura von Freiheit und Unabhängigkeit, die manchmal so extrem ist, dass sie in Halsstarrigkeit oder Sturheit umschlägt. Sie sind definitiv frei, das zu tun, was für sie zählt. Sie lassen sich nicht ablenken oder beeinflussen, sondern bleiben fokussiert auf das Eine, was sie am besten können. Sie verwenden so viel Zeit wie nur irgendwie möglich für ihr Werk. Wer zu den Besten seines Fachs gehört, investiert darin fast sein komplettes Leben. Immer. Sie werden kein Gegenbeispiel finden.
„Hab keine Zeit für dich! Tut mir leid …“
Es ist ein anderer Umgang mit der Zeit, eine andere Perspektive darauf, eine andere Priorisierung. Richard Avedon beispielsweise, einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, wurde einmal von einem Autoren gefragt, ob er für ein Interview zur Verfügung stehe. Avedons Antwort auf das Ansinnen des ambitionierten Autors war ebenso knapp wie treffend: „Tut mir leid. Mir bleibt zu wenig Zeit im Leben für so etwas.“
Avedon sagte ab. Er sagte Nein. So wie auch Peter Drucker in seinem Leben tonnenweise Absagen formulierte. Eine klang so: „Das Geheimnis der Produktivität besteht darin, einen sehr großen Papierkorb zu haben für alle Anfragen wie Ihre!“
Die Angewohnheit, zu sehr vielen Ablenkungen, Anfragen, Möglichkeiten, Alternativen deutlich und konsequent Nein zu sagen, versetzt produktive Menschen überhaupt erst in die Lage, extrem kreativ zu sein und einen überragenden Output zu schaffen. Viele hässliche und schroffe Neins schlagen erst den Raum frei für das eine große Ja.
„Die Fähigkeit, das Wort ‚Nein‘ auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit“, sagt der französische Schriftsteller Nicolas Chamfort. Anders ausgedrückt: Wenn Sie Nein sagen, dann lehnen Sie implizit ab, anderen die Arbeit abzunehmen, anderen zum Erfolg zu verhelfen, Teil des Plans anderer zu sein. Sie grenzen sich ab und schlagen damit einen Zaun um Ihre Zeit, die Sie dann konzentriert einsetzen können für Ihre eigene Arbeit, was auch immer es ist.
Nein zu sagen bedeutet, Türen zuzuschlagen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, eine bestimmte Tür zu öffnen – Es ist der Türöffner für ein selbstbestimmtes, schaffensreiches Leben.
Auch ein "Nein" kann positiv sein
Dass Nein etwas Positives sein soll, sind wir überhaupt nicht gewöhnt! Schon von Kindesbeinen an werden wir darauf gedrillt, „positiv“ zu sein, offen zu sein, zugänglich und sozial zu sein. Die einzigen Gelegenheiten, zu denen wir als Kinder getrost Nein sagen dürfen, sind die, wenn ein Fremder uns anspricht oder uns ein Eis anbietet. Nein sagt man nämlich nur zu den Bösen!
Darum fällt es uns so schwer. Und dementsprechend bezahlen Sie mit dieser Haltung einen hohen Preis, nämlich einen sozialen: Wer ständig Nein sagt, muss es aushalten, als unbequem, unfreundlich, arrogant oder selbstsüchtig zu gelten. Ihre Standhaftigkeit wird insbesondere dann auf die Probe gestellt, wenn sie mit Ihrem Nein der Meinung der Mehrheit oder der einer mächtigeren Instanz entgegenstehen. Wenn also zum Beispiel Ihr Chef oder die Mehrheit der Kollegen ein Ja von Ihnen fordern. – Diesen Widerspruch auszuhalten, genau das ist die große Kunst!
Natürlich kennt jeder auch Situationen, in denen wir etwas tun müssen, obwohl wir es nicht wollen. Beispielsweise wenn abgestimmt wurde und wir uns als Demokraten der Mehrheitsmeinung beugen müssen. Oder dann, wenn es eine mächtigere Instanz gibt wie Ihren Chef, der eine Anweisung erteilt, die Sie befolgen müssen, wenn Sie ihren Job nicht verlieren wollen. Was also in solchen Situationen tun? Einfach Ja sagen und zur Tagesordnung übergehen?
Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass es sich selbst dann lohnt, trotzdem deutlich vernehmlich unser Nein zu äußern – auch dann, wenn wir gleichzeitig wissen, dass wir zu einem anderen Handeln gezwungen sind. Es geht darum, trotzdem jederzeit genau zu wissen, was wir verneinen, auch wenn wir das nicht durchsetzen können. Warum? Um uns die Freiheit zu bewahren, etwas zu bejahen!
To Do or Not to Do
Für uns bedeuten diese Erkenntnisse, dass wir nicht nur eine To-Do-Liste führen müssen, um jederzeit zu wissen, was zu tun ist, sondern außerdem auch eine To-Don‘t-Liste. Wir tun das übrigens. Wir haben uns daran gewöhnt zu notieren, was wir auf gar keinen Fall machen wollen, wen wir auf gar keinen Fall treffen wollen und womit wir auf gar keinen Fall unsere Zeit verschwenden wollen. Wir müssen wissen, was wir NICHT wollen, damit täglich umso deutlicher zum Vorschein kommt, was wir wirklich wollen.
Derart eingenordet zu sein, bringt eine unglaubliche Befreiung mit sich. Denn nichts löst größeren Stress aus, als Ja zu sagen, wenn man Nein meint. Und genau diesen Stress sollten wir abschaffen. Diese Abgrenzung zu treffen und alles abzulehnen, was nicht auf unser Werk einzahlt, heißt nichts anderes, als selbstverantwortlich festzulegen, welche Tätigkeiten bedeutsam sind und welche nicht – und auch, was für uns gute Arbeit und was miese Arbeit ist. Niemand kann diese Unterscheidung für uns treffen, außer wir selbst!
Wenn wir uns mit dieser entschiedenen Haltung auf die Tätigkeiten fokussieren, die für uns bedeutsam sind, dann haben wir auch die Chance, Bedeutsames zu bewegen. Nein zu sagen, hat eine weitaus größere kreative Kraft als Ideen, Wissen und Talent zusammen!