Kreativität Die Sucht nach dem Neuen

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Der kreative Zerstörer

Tricks für mehr Kreativität
Sinnlose Liebe in blau steigert den Einfallsreichtum
Blau sehen
Liebe erinnern
Nickerchen halten
Position ändern
Sinnloses lesen

Die Faszination reicht bis in die Chefetagen der Unternehmen. Im rebellischen Gestus des Künstlers, in seiner Kunst, sich über Regeln hinwegzusetzen, erkennen die Unternehmer ihr Alter Ego, sehen sie, so der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich, „dieselbe Power und kreative Energie am Werk, die sie selbst umtreibt“.

Welten trennen den modernen Konzernchef vom Unternehmer des Industriekapitalismus, der sich noch als Kaufmann und Kalkulator verstand. Profitmaximierung beruhte damals auf Buchführung und Bürokratie, also auf regelhaften, hierarchisch geordneten Arbeitsabläufen, die den Handlungstyp des fachlich geschulten, nüchternen Berufsmenschen erforderten. Erst mit Joseph Schumpeter, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kommt der Unternehmer als Neuerer ins Spiel, als „kreativer Zerstörer“, der seine Innovationen gegen alle Widerstände in die Welt setzt – nicht zuletzt, weil er sich damit auch im nicht monetären Sinne bereichern will.

Der souveränen Willkür des heroischen Unternehmergenies wird dabei die Routine der Sollerfüllung gegenübergestellt, die das Arbeiter- und Angestelltendasein im 20. Jahrhundert bestimmt. Das „well- adjustment“ (David Riesman), die reibungslose Anpassung, wird zum beruflichen Ideal – und die ermüdende Harmlosigkeitsexistenz im Büro findet auch nach Feierabend ihre Fortsetzung: im Bezug eines öden Lebenspostens. „Wem das saure tägliche Brot nur so auf den Monatssalärtisch fällt“, so hat es schon Robert Walser festgehalten, fühlt sich halt „verpflichtet, nach und nach zur kontraktlich regelmäßigen Maschine zu werden“.

Initiative statt Disziplin

Und so ist es kein Wunder, dass der Umbruch zur Wissensgesellschaft von den Propheten der „kreativen Wirtschaft“ als Emanzipation gefeiert wird. Für den amerikanischen Ökonomen Richard Florida sind nicht mehr Kapital und Arbeit die Motoren der Wirtschaft, sondern die hochkreativen Berufe: Architekten, Designer, Informatiker und Wissenschaftler, also alle, die im weitesten Sinne mit Ideen- und Symbolproduktion zu tun haben. Das Schönste an dieser Kreativität ist, dass sie nicht nur die Arbeitswelt adelt, sondern auch das Ich prämiert. Kreativ zu sein, das heißt heute: motivierter, erfüllter, intensiver zu leben – auch und gerade im Beruf.

Im Grunde steckt dahinter das viel strapazierte Ideal der Selbstverwirklichung. Der Mensch soll auch am Arbeitsplatz zeigen, welche Möglichkeiten in ihm stecken. Es geht nicht mehr um Disziplin, sondern um Eigeninitiative, um die Mobilisierung innerer Antriebe. Damit einher geht die Evolution des Arbeitnehmers zum Intrapreneur – denn natürlich sind die jungen Chefs in den großstädtischen Agenturen und Startups nicht nur an expressiven Charakteren interessiert, sondern auch an der Flexibilität eines „unternehmerischen Selbst“, das die Rede von der Risikobereitschaft ganz wörtlich nimmt – und den Kreativitätsimperativ so sehr verinnerlicht hat, dass es feste Arbeitszeiten und ein regelmäßiges Gehalt zu den Nebensächlichkeiten eines gelingenden Lebens zählt.

Dass das Neue dabei nichts weiter ist als die Differenz zum Alten, so der Kunstphilosoph Bazon Brock, verrät man diesen Kreativen daher besser nicht: Das Selbstbild eines Zwerges auf den Schultern von Riesen würde nicht nur ihre Bereitschaft zur Selbstverausgabung beschädigen, sondern auch den Narzissmus, den sie als stolze Mitglieder der Kreativfamilie empfinden. Wahrscheinlich deshalb wird Kreativität heute zu einer demokratischen Ressource frisiert, zu einer Fähigkeit, die ganz unabhängig von Vererbung dem Menschen zu eigen ist: „Jedes Kind ist hoch begabt“, versichert der Hirnforscher Gerald Hüther – wie schön: Das Baby wird zur Kreativität geboren, ausgestattet mit unendlicher Neugier und Gestaltungslust. Kein Wunder, dass Achtjährige heute nicht mehr „Dick und Doof“ fernsehen, sondern Sendungen, die „Wissen macht Ah!“ heißen: Spaß und Entspannung sind längst zum Synonym geworden für sinnlos verschwendetes Kreativpotenzial.

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