Lebensmitte Neuanfang mit über 40

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Golfhandicap - langweilig

Renate Krümmer Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

So motiviert, ergattert sie dank eines blendenden Abiturs ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, zählt mit dem Abschluss ihres Doppelstudiums zur Diplom-Volkswirtin und Diplom-Kauffrau zu den besten drei Prozent der Absolventen ihres Jahrgangs an der Uni Köln, promoviert mit magna cum laude. Und steigt 1984 bei der Unternehmensberatung Bain ein. Nach drei Jahren wechselt sie zu Bertelsmann, klettert die Karriereleiter stetig hoch, lernt von Mentor und Bertelsmann-Chef Mark Wössner, „über Branchengrenzen hinaus Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu abstrahieren“. Und steigt 1995 zum Finanzvorstand der Buchsparte auf.

Als mit 40 die Midlife-Crisis droht, nimmt Krümmer eine Auszeit, verbessert sechs Monate lang ihr Golfhandicap – und langweilt sich. Nach dreijährigem Intermezzo als Managing Director beim Finanzinvestor Apax und einer weiteren Station bei Bertelsmann als Hauptabteilungsleiterin für Fusionen und Unternehmenskäufe wechselt sie 2004 als Leiterin des Controllings und der Konzernentwicklung zur Commerzbank und wird Ende 2006 Deutschland-Chefin des US-Finanzinvestors J.C. Flowers, der kurz darauf mit seinen Investments bei der HSH Nordbank und der Hypo Real Estate auf die Nase fällt. Krümmer und Flowers trennen sich Ende März 2009, Krümmer nimmt eine mehrmonatige Auszeit, um über ihre Zukunft nachzudenken.

Ausführliche Prüfung

Der Kunstvirus hatte sie da schon längst im Griff. Ihr erstes Bild: eine Grafik des Expressionisten Conrad Felixmüller, Geschenk ihres damaligen Mannes – statt Schmuck. Der Grundstein für Kunstleidenschaft und eigene Sammlung ist gelegt. Während Kollegen und Geschäftspartner mittags zum Lunch ins Restaurant gehen, geht Krümmer ins Museum. Vor allem für die klassische Moderne vom Ende des 19. bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt Krümmer ein Faible, erklärt Frauenbildnisse zum Kern ihrer privaten Sammlung. „Was bei Immobilien die Lage ist, heißt bei Bildern ‚Kernperiode und attraktivstes Sujet‘,“ sagt Krümmer. Also seien Pferde besser als Kühe, Personen besser als Landschaften, Frauen interessanter als Männer. „Und da ich mit der Kunst immer meine Pension aufbauen wollte, konnte ich mein Geld ja nicht einfach verplempern.“

Also unterzieht sie jede Arbeit, die mehr als 10.000 Euro kostet, einer ausführlichen Prüfung – so, wie sie es aus ihrer Finanzzeit gewohnt ist. Ist die Arbeit im Werkverzeichnis aufgeführt? Wo war es ausgestellt? Gibt es eine Expertise, die die Echtheit des Werks bestätigt? Stammt es aus der Kernperiode des Künstlers? Hat es einen biografischen Bezug? „Da kaufen viele Anleger Wertpapiere fahrlässiger.“ Von Werken aus anderen Perioden, die sie immer mal wieder „aus kunsthistorischer Neugier“ erworben hatte, trennt sie sich konsequent, „um Kapital freizuschaufeln für mein Kernthema“.

Die Berufe mit den höchsten und niedrigsten Stressgraden
Platz 5:Höchste Stressbelastung: KochNiedrigste Stressbelastung: Sozialarbeiter* Die Stressbelastung von Berufen basiert auf 15 verschiedenen, stressfördernden Faktoren, wie z.B. Termindruck, Wettbewerbsintensität, körperliche sowie emotionale Belastung. Die Summe der Faktoren bestimmt das Ranking. Je schädlicher der Stress eingestuft wurde, desto höher wurde er dabei gewichtet. Quelle: dpa
Platz 4:Höchste Stressbelastung: JournalistNiedrigste Stressbelastung: Sekretär Quelle: dpa
Platz 3:Höchste Stressbelastung: PilotNiedrigste Stressbelastung: Übersetzer Quelle: dpa/dpaweb
Platz 2:Höchste Stressbelastung: FacharztNiedrigste Stressbelastung: Bibliothekar Quelle: dpa
Platz 1:Höchste Stressbelastung: BohrhelferNiedrigste Stressbelastung: Rezeptionistin Quelle: AP

Hochkarätige Werke

Krümmer fährt gut mit ihrer Strategie: Den Wert eines Mädchen-Gemäldes von Karl Hofer, vor sieben Jahren noch für rund 60.000 Euro zu haben, schätzt Krümmer heute auf bis zu 200.000 Euro. Und ein Aquarell, das der Expressionist Erich Heckel 1910 von seiner Frau Sidi gefertigt hat, kostete vor fünf Jahren noch um 30.000 Euro und wäre heute kaum unter 100.000 Euro zu haben. „Die Leute stürzen sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor fünf Jahren auf solche Sachwerte“, sagt Krümmer. „Man muss nur warten können.“

So trägt Krümmer in den gut 15 Jahren bis zu ihrem Ausscheiden bei J.C. Flowers im Frühjahr 2009 eine erkleckliche Zahl hochkarätiger Werke zusammen. Und überlegt, ihre Passion zum Beruf zu machen. Die Entscheidung fällt im Herbst 2009, als Krümmer auf den Online-Seiten eines englischen Auktionshauses auf eine Arbeit einer gewissen Dodo stößt. „Obwohl ich von dieser Künstlerin noch nie etwas gehört hatte, war ich sofort elektrisiert“, erinnert sich Krümmer. Sie erwirbt die Arbeit für rund 6000 Euro. Und heftet sich auf die Spuren dieser Berliner Zeichnerin und Intellektuellen, die mit Marlene Dietrich verkehrt, vor den Nazis nach Großbritannien fliehen muss, wo sie 1998 verarmt stirbt, mit 91 Jahren. Krümmer kauft alle auf dem Markt verfügbaren Dodo-Arbeiten, nimmt Kontakt mit der Familie auf, veröffentlicht eine Monografie über die Künstlerin. „Dodo entdeckt zu haben war für mich nicht nur der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl“, sagt Krümmer, „sondern einer mit der ganzen Eiche.“

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