Lebensmitte Neuanfang mit über 40

Vom Automanager zum Ökohändler, vom Versicherungsfachmann zum Schreiner, von der Finanzexpertin zur Kunsthändlerin: Wie ein beruflicher Neuanfang zwischen Anfang 40 und Mitte 50 gelingen kann.

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Jan Bredack Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Gedämpfte Möhrchen mit Schnittlauch, Brokkoli in der Soja-Pfanne oder Rucola mit Kräuterdressing und Cashewnüssen aus Indonesien, zum Nachtisch eine Portion Sternanis-Apfel-Eis: Rund ein Dutzend Salate und Gemüsevarianten, zehn Nussarten und bis zu 40 Eissorten locken zum Mittagessen bei Veganz im Phoenixhof in Hamburg-Altona. Hauptgrund für den Andrang: Bei Veganz sind alle Produkte nicht nur garantiert biologisch, sondern vegan. Das Eis wird also nicht aus Kuhmilch, sondern auf Reismilchbasis hergestellt, die Waffel enthält weder Ei noch Milchpulver. Und die Nüsse werden nicht erhitzt, um sie leichter schälen zu können.

Von Algensnacks über Pepperoni-Tofu-Pizza und Energieriegel mit Ananas-Inkabeere-Geschmack bis zu indischen Waschnüssen und Leckerlis für Hunde finden sich auf 400 Quadratmeter Ladenfläche 4000 garantiert vegane Produkte in den Regalen der Ende Juni 2013 eröffneten Hamburger Filiale von Veganz, Deutschlands einziger Supermarktkette, die ausschließlich Veganes anbietet. „Einkaufen, ohne die Zutatenliste studieren zu müssen, und sich etwas (veganes) zu essen holen, wenn man Appetit hat“, schreibt etwa Kundin Simone Vary an die Veganz-Pinnwand bei Facebook. „Das war mal echt eine Erleichterung.“

Erster Supermarkt für vegane Produkte

Jan Bredack liebt Äußerungen wie diese. Im Juli 2011 hat der 41-Jährige am Prenzlauer Berg in Berlin Deutschlands ersten Supermarkt für ausschließlich vegane Produkte eröffnet, Mitte Dezember soll im hippen Münchner Glockenbachviertel Veganz-Filiale Nummer 5 folgen. „Es läuft fantastisch“, sagt Bredack, der sich selbst als „überzeugten, aber gemäßigten Veganer ohne Missionszwang“ beschreibt. Und auf der Suche nach Investoren ist. 20 Millionen Euro will er für den Aufbau von insgesamt 21 europäischen Märkten bis Ende 2015 auftreiben, mittelfristig 60 Millionen Euro investieren. „Geldsuche ist Knochenarbeit“, sagt Bredack, „früher kamen solche Beträge wie Strom aus der Steckdose.“

Früher, damit meint Bredack die gut 20 Jahre nach dem Mauerfall, in denen er eine Turbokarriere beim Autobauer Daimler hinlegt: Vom Mechanikermeister übers BWL-Studium in die Nachwuchsförderung des Konzerns steigt Bredack alle zwei Jahre auf, ist mit Anfang 30 als Mitglied der Geschäftsleitung im Vertrieb Service Deutschland verantwortlich für drei Milliarden Euro Umsatz, 100 Mitarbeiter in der Zentrale und 20.000 Servicemitarbeiter in ganz Deutschland. Neben seiner 80-Stunden-Woche im Konzern baut Bredack privat einen Online-Service für Grußkarten, Geschenkgutscheine und Musicaltickets auf. Großes Haus, regelmäßig neue Autos, teure Urlaubsreisen: Luxus ist Standard für Bredack. Doch statt seine knappe Freizeit zu genießen, trainiert er 20 Stunden pro Woche Triathlon. „Ich trieb mich von einer Höchstleistung zur nächsten, wie ein gehetztes Tier“, erinnert sich Bredack, der 2007 ein Burn-out erleidet. „Ich fühlte mich wie in einer Sackgasse, musste mein Leben radikal ändern.“

Worauf Sie beim Neustart in der Lebensmitte achten sollten

Sehnsucht nach dem Neustart

Er trennt sich von der Familie und beginnt Ende 2008, vegan zu leben. Weil er im Supermarkt kaum entsprechende Produkte findet, entwickelt er einen Geschäftsplan für Veganz – während er gleichzeitig für Daimler eine Lkw-Fabrik in Russland aufbaut. Aber schließlich die Trennung von seinem Arbeitgeber provoziert. „Mein unternehmerisches Denken ist sehr ausgeprägt“, sagt Bredack. „Ich bin kein Freund von halbherzigen Sachen.“

Sie haben jahrelang hart an ihrer Karriere gearbeitet, verdienen gut, sitzen meist fest im Sattel – und haben zwischen Anfang 40 und Mitte 50 doch noch einmal das Bedürfnis nach einem radikalen Neuanfang: Ob vom Banker zum Bergführer, vom Manager einer Elektronikmarktkette zum Betreiber eines Pferdehofs oder vom Automanager zum Ökohändler – immer mehr Menschen empfinden in der Lebensmitte das, was der Mystiker Johannes Tauler schon im 14. Jahrhundert als „Radikalität des Nullpunkts“ beschrieb – die Sehnsucht nach dem Neustart.

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