Mobilität Der Wahnsinn des Pendelns

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Tag für Tag und Wochenende für Wochenende

Mal Schnecke, mal Windhund
Die Tabellen zeigen die schnellsten Verbindungen im Stundentakt (auf einzelnen Strecken verkehren dazwischen noch andere Fernzüge, die aber in der Regel langsamer sind).Quelle: Deutsche Bahn; Stand: 9.10.2013 Quelle: obs
Entfernung bis 100 km.
Entfernung bis 200 km. * Durchschnittswert
Entfernung bis 300 km. ** wegen Hochwasserschäden bis 4. November 2:09 Std.
Mehr als 300 km.

Ob Tag für Tag oder Wochenende für Wochenende, ob mit Auto, Flugzeug oder Zug: Andere Lebensformen, Billigflüge, neue ICE-Rennstrecken und ein dichtes Autobahnnetz ohne Maut und Tempolimit, die zunehmende Verdichtung der Arbeitswelt und die Hoffnung auf Karriere haben aus unserem Land eine Pendler-Republik gemacht.

Täglich quer durchs Ruhrgebiet: Autorin Jule Körber, 30, pendelt 130 Kilometer zwischen Essen und Gütersloh. Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Mit Milliarden subventioniert

Allein die Zahl der Bahncard-100-Nutzer, die gegen eine jährliche Pauschale für 4090 Euro in der zweiten und knapp 7000 Euro in der ersten Klasse unbegrenzt mit jedem beliebigen Zug durch die Republik fahren können, hat sich seit 2003 vervierfacht. Laut Bundesfinanzministerium macht rund eine halbe Million Arbeitnehmer bei der Steuer mehr als 100 Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Und es könnten bald noch mehr werden: Fast 60 Prozent der deutschen Fach- und Führungskräfte würden für ihren Traumjob mehr als eine Stunde Fahrzeit in Kauf nehmen, ermittelte das Jobportal Stepstone.

Auch der Staat fördert die Reiserei, verzichtet über die Pendler-Pauschale jedes Jahr auf rund 4,5 Milliarden Euro Steuern.

Viel Geld – aber wofür? Pendeln ist riskant. Ein Stau auf der Autobahn, ein verpasster Anschlusszug, und schon gerät die ausgeklügelte Zeitrechnung ins Wanken. „Als Arbeitnehmer müssen Sie dafür sorgen, dass Sie pünktlich zum Job kommen. Verspätungen sind kein Kavaliersdelikt“, warnt der Hamburger Arbeitsrechtler Christian Oberwetter.

Steuertipps für Pendler

Unter dem Stellwerk-Chaos am Mainzer Hauptbahnhof, das im August wochenlang für Aufregung sorgte, litten vor allem Pendler. Als das Elbe-Hochwasser im Juni im halben Land den Verkehr lahmlegte, blieb vielen nur der Umzug ins Hotel – oder eine von der Stadt Wolfsburg bereitgestellte Kaserne. Wegen eines kaputten Bahndamms verliert man von Berlin nach Wolfsburg noch immer fast drei Stunden am Tag.

„Leben Sie so dicht wie möglich an Ihrem Arbeitsplatz“, empfiehlt deshalb Kienbaum-Personalberater Matthias Busold. Wenn der Headhunter mit Kandidaten über Führungspositionen spricht, zählt die Frage nach dem Wohnsitz zu den wichtigsten. Erst recht, seit die Bahn mit ihren Hochgeschwindigkeitstrassen lockt: Wenn alles glattgeht, schafft der ICE die 280 Kilometer von Berlin nach Hamburg in einer Stunde und 42 Minuten. Köln–Frankfurt (189 Kilometer) klappt im Schnitt in 75 Minuten, Hannover–Kassel mit Ausstieg ICE-Bahnhof Wilhelmshöhe (168 Kilometer) in 55 Minuten. Wer kommt da nicht in Versuchung, sich eine weite Anfahrt kurzzurechnen.

„Viele reden sich ein, sie könnten auch im Zug arbeiten. Aber wenn der Zug voll ist, wird das schwierig“, sagt Personalberater Busold. „Mit der Zeit geht Ihnen die Pendelei gewaltig auf den Keks. Und nach spätestens zwei Jahren belastet der Stress die Arbeitsleistung.“

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