Organisation Bloß nicht immer so ordentlich!

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Stress muss sein

Davon profitiert nicht nur der einzelne Angestellte, sondern das gesamte Unternehmen. Eric Abrahamson hat herausgefunden: Unternehmen, die sich strikt an eine Strategie halten, sind oft weniger erfolgreich als jene ohne Schlachtplan. Womöglich begrenzt ein starker Fokus auf Ordnung sogar die Flexibilität von Organisationen oder Individuen mit dem Ergebnis, dass sie Chancen verpassen und Lösungen übersehen. So ärgerlich gewisse Probleme und Herausforderungen scheinen, in Wahrheit verbessern sie die Leistung. Das fand der Psychologe Daniel Oppenheimer von der UCLA Anderson School of Management heraus. Für eine Studie arbeitete er vor einigen Jahren mit Lehrern zusammen. Er wollte erforschen, auf welche Weise die Schüler Informationen besser behalten können.

Die eine Hälfte einer Klasse erhielt Texte mit der Schriftart Helvetica oder Times New Roman – leicht lesbar, ordentlich, strukturiert. Die andere Hälfte bekam Texte mit der Schriftart Comic Sans oder Haettenschweiler, schwer lesbar und unordentlich. Das Ergebnis: Am Ende des Schuljahres schnitt die Versuchsgruppe, die die schwierigen Schriftarten lesen musste, deutlich besser in den Klausuren ab. „Milder Stress hilft dabei, effektiver zu arbeiten und genauer hinzuschauen“, sagt Autor Harford. „Genau wie bei Unordnung.“ Nun will er mitnichten zum grenzenlosen Chaos aufrufen. Jeder müsse individuell herausfinden, wie viel Unordnung gut für ihn ist. „Aber Unordnung hat durchaus ihre Berechtigung“, sagt Harford. „Oft setzen wir Prioritäten falsch. Vieles, was wir krampfhaft organisieren wollen, lässt sich nicht in enge Strukturen pressen.“

Eine vergessene Kaffeetasse hier, ein Aktenstapel da, ein schlecht geführter Terminplan dort – was auf Beobachter von außen negativ wirkt, hält den Geist in Wahrheit wach. Sogar messbar.

Chaos bietet dem Gehirn Ablenkungen und setzt gleichzeitig zahlreiche Impulse, aus denen sich neue Ideen entwickeln können. Dadurch bleiben unordentliche Menschen interessiert und offen für Neues. „Unser gesamtes Leben ist ein bisschen chaotisch – na und? So sind wir eben“, sagt der Autor Tim Harford, „und so sollten wir uns auch lassen.“

Es scheint also an der Zeit, umzudenken. Womöglich führt Ordnung zu allen Tugenden. Doch wer kreativ sein will, sollte Lichtenbergs Weisheit nicht stur befolgen.

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