„Ich schaffe das nicht, die Zeit reicht nicht, das kann ich mir nicht leisten, ich werde nicht genug gefördert / einbezogen / wertgeschätzt / gelobt / bestätigt." Kommen Ihnen solche Empfindungen bekannt vor? Und wenn ja, was machen sie mit Ihnen? Ich beobachte immer häufiger, dass der Gedanke, nicht genug von etwas zu haben, zu heftigem negativen Stress führt. Und dieser wiederum dazu, dass wir das Mangelgefühl noch stärker erleben. Ein sich selbst verstärkender Prozess.
Die Automatismen des Gehirns
Zunächst muss man wissen: Das Gehirn fokussiert sich auf Probleme, nicht auf Genuss. Das macht es deshalb, weil wir Teil der Natur sind. Und in der Natur geht es immer um das Überleben. Gefahren muss sich das Gehirn daher besser merken und darauf schneller reagieren als auf Freude. Das Grundprinzip unseres Gehirnes lautet daher, gefährliche - negative - Gefühle zu vermeiden und positive – sichere - Gefühle anzustreben.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Unsere Emotionen sind Hinweise, wie wir eine Situation bewerten, sie lösen Handlungsimpulse aus. Zum Beispiel löst Furcht den Impuls zur Flucht aus, Zorn dagegen verleitet zum Angriff. Solche negativen Emotionen schränken die Perspektive ein, positive erweitern sie (engl. broaden), öffnen das Herz und machen kreativ. Aus dieser Beobachtung hat die Psychologin Barbara Fredrickson ihre „broaden and build“ Theorie entwickelt: Der Umgang mit Emotionen und unser Verhältnis dazu sind entscheidend, denn beide, positive und negative Gefühle, haben ihre Berechtigung. Negative Gefühle sind in konkreten Situationen überlebenswichtig, positive für langfristiges Lernen.
Leider haben die negativen Emotionen nicht nur einen schlechten Einfluss auf unseren Körper, indem sie zum Beispiel die Arbeit des Immunsystems behindern und Entzündungen fördern, Heilungsprozesse verlangsamen oder dem Herzen schaden. Sie haben auch mentale Konsequenzen. Wir wiederholen das Problem innerlich immer wieder und es wird in unserer Erinnerung größer, als es in der Realität je war. Diese negativen Gedanken führen zum sogenannten „Tunnelblick“.
Der Tunnelblick raubt Freiheit
Unsere Wahrnehmung fokussiert sich auf all das, was zu unseren Annahmen passt, alles andere filtern wir gnadenlos heraus. Das, was wir sehen, ist ein Mini-Ausschnitt, und wir nennen ihn „Realität“. Eigentlich müssten wir „meine Realität“ sagen. Haben wir uns einmal darauf eingeschossen, dass unsere Arbeit stresst und nervt, dann wird das auch so sein, weil wir nur diese Aspekte wahrnehmen. Dieses Phänomen geht so weit, dass wir uns mit Menschen umgeben und solche als Ratgeber suchen, die uns in unserer Meinung bestärken.
Auch unsere Verhaltensentscheidungen passen zu unseren Gedanken. Ein Gedanke ist wie ein Verhaltensprogramm. Das Gehirn unterscheidet nicht, ob er gut oder schlecht für uns ist, also ob wir etwas befürchten oder „herbeisehen“. Es richtet sich kritiklos nach diesem Denken. Wenn wir zu einer Geburtstagsfeier mit dem Gedanken gehen, dass dort nur lauter Langweiler anzutreffen sind, dann werden wir uns genau zu diesen setzen und unsere Meinung bestätigt finden.
Der verengte Blick durch Mangelgefühle führt dazu, dass wir einen kleineren Entscheidungsspielraum nutzen, alte Muster wiederholen, auch wenn sich diese nicht bewährt haben. Wenn wir gut drauf sind, ist unser Gehirn dagegen kreativ und vielseitig, verschafft uns einen größeren Überblick. Wenn wir Stress haben, uns ärgern oder Sorgen machen, ist unsere Wahrnehmung eingeschränkt und nur Routinen werden genutzt. Wird der Stress größer, nimmt der Überblick immer mehr ab, das unlogische Verhalten immer mehr zu. Irgendwann verhalten wir uns wie Kinder, also weinen, schreien oder werden bockig. Ganz am Ende der Kette kommt die Erstarrung: Wir können uns dann gar nicht mehr angemessen verhalten.
Knappheit ist ein Irrtum unserer Wahrnehmung
Sendhil Mullainathan, ein Ökonom aus Harvard, und Eldar Shafir, ein Psychologe aus Princeton, haben Knappheit beschrieben als Gefühl, weniger von etwas zu haben, als wir zu brauchen meinen. Hier liegen Problem und Lösung also genau beieinander. Denn es geht - jenseits von Kriegen und Katastrophen - in der Regel nicht um einen objektiven Mangel, sondern um subjektiv erlebten. Das heißt, wir haben eine Situation subjektiv entsprechend negativ bewertet.
Wenn sich unsere Bedürfnisse mit unseren Lebensumständen immer weiter nach oben schrauben, werden wir also immer Mangel erleben - solange uns diese Mechanismen nicht bewusst sind. In gewisser Weise schaffen wir uns unseren Mangel also selbst, weil es keine objektiven Maßstäbe für subjektive Bedürfnisse gibt.
Wenn wir uns auf Diät setzen, denken und reden wir nur noch über Essen. Vermissen wir einen Partner, sehen wir überall Verliebte und können an nichts anderes denken, als dass wir allein sind. Die Gefahr dieses Unbehagens ist also immer da: einen Mangel zu empfinden und das Denken automatisch auf die unerfüllten Bedürfnisse auszurichten. Ein besonderes Phänomen ist der erlebte Zeitmangel.
Zeitmangel ist selbst gemacht
Wir haben heute genau so viel Zeit wie früher. 24 Stunden, jeden Tag. Doch immer wieder glauben wir, dass wir nicht genug Zeit hätten, um all das zu tun, was wir tun wollen. Wir packen immer mehr in unseren Tag, und zwar nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Privatleben. Wir wollen überall dabei sein, nichts verpassen, stets dazugehören. Deshalb ist es so schwer, Nein zu sagen und sich zu beschränken. Hinzu kommt, dass wir viele Dinge unaufmerksam und routiniert tun. Dadurch konzentrieren wir uns nicht darauf und deshalb sind wir ungenau, machen Fehler. Die müssen wir später ausbügeln, was wiederum Zeit kostet. Genau dort können wir ansetzen.
Wenn wir den Tag bereits mit dem Gefühl beginnen, dass nicht genug Zeit vorhanden ist, werden wir viel Zeit verlieren, eben weil wir uns mit diesem Gedanken befassen. Bereits der Gedanke an die Zeitknappheit führt zu unangenehmen Gefühlen und dieser negative Stress schränkt unsere Leistungsfähigkeit ein. Wir schaffen dann tatsächlich nicht, was wir uns vorgenommen haben, springen von einer Aufgabe zur anderen, bringen nichts zu Ende und am nächsten Tag geht der gleiche Kreislauf weiter.
Der Ausweg
Denken Sie in Möglichkeiten!
Positive Gefühle stärken Gesundheit und Leistungsfähigkeit und erweitern die Perspektive. Ihre Bewertung einer Situation können Sie sofort ändern.
Sorgen Sie gut für sich!
Wenn es Ihnen gut geht, können Sie die Kapazitäten Ihres Denkhirns voll nutzen, Sie sind konzentriert, aufmerksam, kreativ und produktiv. Für Ihr Wohlbefinden sind Sie selbst zuständig und können viel dafür tun. Fokussieren Sie auf die guten und schönen Dinge im Leben, sie gleichen im Verhältnis drei zu eins die negativen aus. Auf ein Mal Ärgern brauchen Sie also drei Mal Freude.
Halten Sie Maß!
Wie viel wir uns auch anstrengen, wir können es nicht mehr schaffen, allen Anforderungen gerecht zu werden, weil es zu viele und zu hohe in allen Bereichen sind. Geben Sie sich die Erlaubnis zu dieser Erkenntnis, damit Sie Ihre Maßstäbe relativieren können.
Entmüllen Sie!
… Ihren Kopf von falschen Erwartungen und Bewertungen – wenn Joggen Ihnen keinen Spaß macht, dann geben Sie es endlich auf und tun Sie etwas anderes.
… Ihr Leben von Zeitfressern und schlechten Beispielen – wenn Sie Freunde haben, deren Maßstäbe Ihnen ständig Druck machen, wird es Zeit für neue Freunde.
Entwickeln Sie geistige Disziplin!
Sie bestimmen, was Sie wie oft und wie lange denken. Manchmal scheinen uns die Gedanken im Griff zu haben, aber nur, wenn wir es ihnen erlauben. Also halten Sie sich fern von schlechten Nachrichten, Klatsch und Tratsch. Stoppen Sie Grübeln und Ärgern, indem Sie sich dafür zum Beispiel ein Zeitlimit setzen.