Nie endender Termindruck, endlose To-Do-Listen im Job, Sorgen um die Familie und selten Zeit für sich selbst. Fast jeder arbeitende Mensch kennt das, zumindest phasenweise. Für viele fühlt er sich an wie ein Hamsterrad, in dem man immer schneller laufen muss - ohne voranzukommen. Manch einer läuft, bis der Körper die Notbremse zieht und mit massiver Erschöpfung, Depressionen oder Burnout reagiert. Andere lassen sich nicht umwerfen, obwohl berufliche Anspannung, Konflikte in der Familie oder unsichere Zukunftsaussichten an ihnen nagen und rütteln.
Diese psychische Widerstandskraft gegenüber Belastungen wird Resilienz genannt. Resiliente Menschen bewältigen Druck, Krisen oder Schicksalsschläge, ohne daran zu zerbrechen. Die Grundlagen für diese Bewältigungskompetenz werden oft schon im Kindesalter gelegt. Sie lässt sich jedoch auch im Erwachsenenalter wirksam trainieren, um sich vor Burnout oder Depressionen zu schützen.
Wer resilienter werden will, kommt nicht umhin sich mit sich selbst zu beschäftigen. „Wir werden so, wie wir leben“, sagt Manfred Nelting, Facharzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Jeder Alltag hinterlasse Spuren im Körper, die sich auch medizinisch nachweisen lassen: Bei dauerhaftem Stress wird zum Beispiel das Stresshormon Cortisol vermehrt ausgeschüttet, was zu Gefäßverengungen und Bluthochdruck sowie erhöhtem Blutzuckerspiegel führen kann. Das Immunsystem gerät durcheinander, die Anfälligkeit für Infektionen steigt. Auch psychische Abläufe beeinflussen das Immunsystem. Ängste, negative Gedanken und bedrückende Bilderwelten im Kopf senken etwa die Konzentration des Abwehrstoffes Immunglobuli A im Speichel, der als Barriere gegen Keime wirkt. Freudige Szenen lassen diesen dagegen innerhalb von Minuten ansteigen.
Wie sich Gesundheit und Lebensfreude im Alltag erhalten lassen, beschreibt Nelting in seinem Buch „Schutz vor Burnout“, das auf jahrzehntelanger Erfahrung in der Behandlung von Burnout-Patienten, unter anderem als ärztlicher Direktor der Gezeiten Haus Klinik in Bonn, basiert. Sein Rezept: Eine Lebensweise, die der menschlichen Natur angepasst ist, das heißt einem Wechsel von Anspannung und Pausen folgt. „Der gesamte Körper, etwa die Steuerung der Organe, wie Herzschlag oder Verdauung, funktioniert nach diesem Prinzip“, erklärt Nelting. „Durch unser pausenloses Leben gerät dieses System durcheinander.“ Wer rund um die Uhr in Aktion ist, durch Arbeit, ein oft minutiös getaktete Familienleben, oft unbewussten Druck durch Konsum, Lifestyle oder die ständige Kommunikation mit dem Smartphone, der lebt in einer ständigen Hab-Acht-Stellung, die kein Körper lange mitmacht. Wer sein Überlastungsrisiko minimieren will, der muss, ist Nelting überzeugt, die Anspannung durch Entspannungsphasen ausgleichen.
Mehrere Pausen über den Tag verteilt dienen der Erholung
Die wichtigste Technik dafür sind regelmäßige Pausen. „Wenn man es schafft mehrmals täglich kurze Pausen zu machen, kommt man mit den Hetzereien besser zurecht“, sagt Manfred Nelting. Denn schon Mini-Pausen mit dreißig Sekunden bewusstem Ein- und Ausatmen wirken stressmindernd. Dazu sollten über den Tag verteilt mehrere längere Pausen mit fünf bis fünfzehn Minuten Dauer kommen, die ausschließlich der Erholung dienen und nicht etwa geschäftlichen Besprechungen. Auch zum Essen sollten wir uns Zeit nehmen: Nelting empfiehlt mindestens 20 Minuten für eine Mahlzeit, auch weil man erst nach dieser Zeit den Sättigungsreflex wahrnehme.
Wer jedoch mitten in Stress und Hektik versucht, eine Pause zu machen und etwa bewusst ein- und auszuatmen, wird oft scheitern. Die Gedanken jagen im Kreis, der Brustkorb klebt scheinbar zusammen und es lässt sich kaum Luft hineinpressen. „Wir haben verlernt in die Entspannung zu kommen“, erklärt die Erlanger Entspannungspädagogin Antje Terfloth diese Erfahrung. Wer schwer zur Ruhe komme, könne Techniken wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Qi Gong, Yoga oder Meditation als Hilfsmittel nutzen. „Diese Übungen bringen uns aus dem Stress heraus, weil sie die Aufmerksamkeit auf das lenken, was wir gerade tun“, sagt Terfloth.
Die Wirkung der Entspannungstechniken ist dabei ähnlich: Die Wahrnehmung des eigenen Körpers steigt, die Muskeln entspannen sich, die Atmung wird tiefer, das Herz schlägt ruhiger, bei regelmäßiger Übung senkt sich der Blutdruck nachweisbar. Welches Entspannungsverfahren man am besten für den Einstieg wählt, ist typabhängig: Wer aufgedreht und unruhig ist, kommt meist besser mit Übungen wie Qi Gong zurecht, die über die Bewegung zur Ruhe führen. Wichtiger als die Art der Technik ist allerdings das regelmäßige Üben, am besten täglich. Ein Termin pro Woche reiche definitiv nicht aus, sagt Antje Terfloth. „Man muss klar auf sein Leben schauen und Freiräume reservieren. Zehn Minuten Zeit am Tag hat jeder.“
Dieses regelmäßige Innehalten, zusammen mit ausreichend Schlaf, Bewegung und bewusster Ernährung helfen den Körper im Gleichgewicht aus Aktion und Erholung zu halten und das Burnout-Risiko zu minimieren. Einen gesünderen Lebensstil kann man sich aber nicht einfach verordnen, man muss ihn bewusst organisieren. Zu Beginn sollte man auf mehreren Gebieten gleichzeitig etwas ändern, rät Manfred Nelting. „Wenn man morgens eine Viertelstunde Qi Gong übt und dafür abends die Spätnachrichten weglässt, die Treppe statt des Fahrstuhls nimmt und zweimal die Woche gesünder isst, sind das drei Sachen die insgesamt ein Potpourri von Sinn ergeben.“ Wer mehrere kleine Dinge gleichzeitig verändere, bewirke einen Gewohnheitsbruch, der dabei helfe am Ball zu bleiben.
Selbstwahrnehmung stärken
Neben dem körperlichen Gleichgewicht von Aktion und Ruhe beeinflussen auch Psyche, soziale Beziehungen sowie Werte und Einstellungen die Resilienz. Wolfgang Roth, Diplom-Psychologe und Burnout-Berater in Fürth, beschreibt diesen Zusammenhang wie einen Wagen mit vier Rädern, von denen allerdings oft einer platt sei. „Das passiert, wenn eines oder mehrere dieser vier Felder uns keine Energie geben, sondern rauben.“ Wenn etwa soziale Beziehungen, wie das Verhältnis zu den Eltern oder zum Partner, belastet sind. Oder negative Bilder und Glaubenssätze unser Denken bestimmen. „Es hilft, wenn man sich diese Felder strukturiert anschaut und Stärken und Schwächen bestimmt“, sagt Roth. Diese Selbstwahrnehmung sei der erste Schritt individuelle Bedürfnisse wahrzunehmen und sich von nicht mehr ins Leben passenden Einstellungen zu befreien. Etwa indem man Glaubenssätze kritisch überprüft und gegebenenfalls ändert: Aus einem seit der Kindheit verankerten „Sei stark!“, kann zum Beispiel ein „Ich darf andere auch um Hilfe bitten!“ entstehen, was im Alltag viel Druck wegnimmt.
Die Analyse der vier Felder führt zu konkreten Handlungsoptionen, die man möglichst nicht auf die lange Bank schieben sollte. „Man kann zum Beispiel in einer Partnerschaft trainieren Konflikte anders zu lösen, wenn man weiß, warum man auf bestimmte Auslöser in einer gewissen Weise reagiert“, sagt Wolfgang Roth. Das Selbstvertrauen, die Grundlage des inneren Gleichgewichts, wachse, wenn wir uns zutrauten Veränderungen zu gestalten. Was jedoch Zeit brauche und Durchhaltevermögen. „Das ist genauso anstrengend wie das Training für einen Waschbrettbauch“, sagt Roth. „Von heute auf morgen geht es nicht.“
Gerade im Berufsleben stößt diese individuelle Burnout-Prophylaxe jedoch schnell an Grenzen. „Wenn Betriebe die Bedürfnisse des Menschen aus dem Blick verlieren, wird das schnell ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Wolfgang Roth. Wer Burnout, psychische Erkrankungen und innere Kündigungen vermeiden wolle, müsse deshalb in der Führungskultur ansetzen. „Eine neue Unternehmenskultur kann etwa so aussehen, dass man ein Recht auf Pausen festlegt und diese schriftlich vereinbart“, sagt Manfred Nelting. „Wo das offiziell vielleicht noch nicht möglich ist, hilft eine inoffizielle Regelung.“ Chefs sollten zudem unterbrechungsfreies Arbeiten ermöglichen. Zum Beispiel durch eine E-Mail-Kultur, die es erlaubt Nachrichten nur zu bestimmten Zeiten abzurufen. Oder indem man für jeden im Team handyfreie Zeiten vereinbart, in denen im Notfall ein Kollege erreichbar ist.
Unternehmen können so die Kreativität ihrer Mitarbeiter langfristig erhalten, was die Produktivität unmittelbar steigert. Bei Dauerstress sinkt dagegen die Hirnleistung merklich, weil das Gehirn auf bewährte Denkschablonen zurückgreift und keine Kapazität für neue Lösungen hat. „Diesen Zugewinn an Kreativität darf das Management natürlich nicht dafür nutzen, dem Einzelnen noch mehr Arbeit aufzulasten“, sagt Manfred Nelting. Wer die Gesundheit seiner Mitarbeiter dauerhaft erhalten wolle, müsse sich von dieser Art des Effizienzdenkens befreien. Wozu auch gehöre, nicht die Grenzen zwischen Privatem und Arbeitswelt aufheben. „Von der Idee, dass ein Mitarbeiter der Firma mit Haut und Haaren gehört, sollten wir uns verabschieden.“