Vielleicht steckt in der Redensart von der Ehrlichkeit, die am längsten währt, doch mehr Weisheit als Ökonomen üblicherweise vermuten. Das legt jedenfalls ein einfaches Experiment nahe, das Forscher der Universitäten Bonn und Oxford um Armin Falk jetzt in der „Discussion Paper Series“ des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) vorstellen.
Das Sozial- und Marktforschungsinstitut infas rief in Falks Auftrag 700 zufällig ausgewählte Personen in Deutschland an, um ihre Ehrlichkeit auf die Probe zu stellen. Die Probanden sollten eine Münze werfen. Wer angab, „Zahl“ geworfen zu haben, bekam 15 Euro. Wer „Kopf“ warf, bekam nichts. „Damit war die Verführung schon sehr groß, in der Umfrage einfach `Zahl´ anzugeben, da niemand am Telefon nachprüfen konnte, ob dies tatsächlich zutraf“, berichtet Erstautor Johannes Abeler von der Universität Oxford.
Das Ergebnis verblüffte die Forscher. Anscheinend hat so gut wie keiner der Probanden geschummelt. Die Forscher konnten das allerdings nur indirekt schließen: „Die Chance, Kopf oder Zahl zu werfen, ist genau gleich groß – 50 : 50“, erläutert Mitautorin Anke Becker. Aber nur 44,4 Prozent der Befragten gaben an, „Zahl“ geworfen und damit Anrecht auf die 15 Euro zu haben. 55,6 Prozent sagten „Kopf“ und gingen damit leer aus. Die Wissenschaftler boten in einer weiteren Untersuchung die Möglichkeit, nur ein bisschen zu schummeln: Die Probanden sollten insgesamt vier Mal eine Münze werfen, wodurch nur „teilweise“ gelogen werden konnte. Doch auch diesmal gaben weniger als 50 Prozent der Befragten an, eine Zahl geworfen zu haben und damit einen Gewinn von diesmal fünf Euro zu bekommen.
Beim Lügen kommt es offenbar auf die Situation an
Damit beriefen sich sogar deutlich weniger Probanden darauf, Zahl geworfen zu haben als statistisch vorgegeben. Das heißt, vermutlich haben sogar manche Probanden zu ihrem Nachteil gelogen. Vorangegangene Studien in Laborumgebungen hatten hingegen gezeigt, dass etwa 75 Prozent der Befragten angaben, „Zahl“ geworfen zu haben. „Offenbar ist Lügen situationsbedingt“, schließt Falk aus den Ergebnissen. Die Probanden wurden zuhause in ihrer privaten Umgebung befragt. „In diesem geschützten Raum soll wahrscheinlich das Selbstbild der `ehrlichen Haut´ nicht unnütz zerstört werden.“
Die Hitliste der Chef-Lügen
Die Absicht: Sie sollen selbstlos schuften und Erfolge teilen, Konflikte schlichten und andere motivieren, kurz: einen Teil der Chefarbeit unentgeltlich übernehmen.
Die Wahrheit: Befördert wird immer der Einzelne, der aus der Masse herausragt und kein ganzes Team. Wer Ellenbogen zeigt und Erfolge für sich verbucht, hat beste Chancen auf den Aufstieg.
Gegenstrategie: Zwingen Sie den Chef, konkret zu werden. Was müssen Sie für den nächsten Karriereschritt erreichen? Schnell wird er dann wieder bei Einzelleistungen landen.
Die Absicht: Sie sollen den Chef als Ihren Förderer ansehen, dem leider die Hände gebunden sind. So legen Sie sich doppelt für ihn ins Zeug. Nach dem Wirtschaftsaufschwung bekommen sie jedoch eine neue Phrase zu hören.
Die Wahrheit: Die Firma hat Geld, mit dem sie wirtschaften kann - sonst wäre sie pleite. Sie will diese Mittel vielleicht nur nicht in Gehalt investieren.
Gegenstrategie: Machen Sie deutlich, dass die Firma unterm Strich ein Geschäft macht: Sie haben Ihre Leistung ausgebaut und bringen der Firma mehr Geld. Davon wollen Sie lediglich einen fairen Anteil.
Die Absicht: Der Chef signalisiert seine Bereitschaft, Sie auf der Karriereleiter voranzubringen. Leider fehlt die dafür nötige Sprosse. Er ermutigt Sie, unter Volldampf weiterzuarbeiten.
Die Wahrheit: In der modernen Personalpolitik werden nicht Menschen für Stellen gesucht, sondern Stellen für Menschen geschaffen. Deshalb hat der Chef womöglich kein Interesse an einer Beförderung. Vielleicht will er seinen besten Spieler nicht an eine höhere Liga verlieren?
Gegenstrategie: Machen Sie deutlich, dass Sie unbedingt aufsteigen wollen. Signalisieren Sie, dass sie dafür auch zu einer anderen Firma wechseln würden. Die Aussicht, Sie komplett zu verlieren, könnte seine Meinung ändern.
Die Absicht: Im Vorstellungsgespräch sollen Bedenken zerstreut werden. Die Formulierung ist mit Absicht schwammig: Auch wenn Sie an zwei von fünf Wochentagen Überstunden leisten müssen, liegt eine „Ausnahme“ vor.
Die Wahrheit: Im Einstellungsgespräch kommt alles an die große Glocke, was für die Firma spricht. Nachteile werden verschwiegen. Sobald die Probezeit begonnen hat, schnappt die Falle zu - eine Kündigung wäre ein Schandfleck im Lebenslauf.
Gegenstrategie: Zeigen Sie sich als Wortspalter - freundlich im Ton und bestimmt in der Sache: „Was meinen Sie damit? Einmal im Monat? Einmal in der Woche? Wie viele im ungünstigen Fall?“
Die Absicht: Sie sollen das Gefühl bekommen, bei einem Wechsel verbrannte Erde zu hinterlassen. Gerade in engen Märkten ist diese Behauptung vorzüglich geeignet, um Sie zu halten.
Die Wahrheit: Exzellente Mitarbeiter sind Mangelware - Ihnen wird sich die Tür auch ein zweites Mal öffnen. Wichtig sind die Umstände: Geben Sie so früh wie möglich Bescheid oder erst in letzter Sekunde? Erledigen Sie Ihre Aufgaben nach der Kündigung mit alter Zuverlässigkeit oder sind Sie in Gedanken schon bei Ihrem neuen Arbeitgeber.
Gegenstrategie: Lassen Sie sich nicht einschüchtern, falls Sie einen Wechsel planen. Sollte Ihr Herz noch an der alten Firma hängen, warum geben Sie ihr nicht noch eine Chance? „Ich habe ein Angebot, das sehr interessant ist. Allerdings fühle ich mich ziemlich wohl hier - und würde am liebsten weiter zum Erfolg unserer Firma beitragen...“
Die Absicht: Ihr Chef will alles von Ihnen erfahren. Über ein gescheitertes Projekt oder über einen unfähigen Mitarbeiter. Sie wollen weder Schaden anrichten, noch der Aufforderung des Chefs nicht Folge leisten. Seine Schweigeversprechen scheint daher ideal.
Die Wahrheit: Der Chef wird dafür bezahlt, Schaden von der Firma abzuwenden. Erzählen Sie ihm pikante Details, wird er sicher nicht schweigen.
Gegenstrategie: Als Antwort ist „Ich kann Ihnen da nicht helfen“ genau richtig - sofern Sie Schaden von sich und anderen abhalten wollen.
Die Absicht: Ihr Chef will nicht nur als Aufpasser gelten. Schließlich sollen Sie für ihn durchs Feuer gehen, wenn es mal eng wird. Oft senkt ein solches Angebot auch die Quote der Privatgespräche und Frühabgänge.
Die Wahrheit: Kein Chef hat es gern, wenn seine Mitarbeiter private Schwätzchen am Telefon halten oder vor Feierabend aus der Firma spazieren. Er fürchtet Kettenreaktionen.
Gegenstrategie: Verlegen Sie private Gespräche auf Zeitpunkte, zu denen Ihr Chef nichts mitbekommt. Müssen Sie einmal früher gehen, nennen Sie ihm den (wichtigen) Grund und fragen noch einmal nach, ob es ok ist.
Die Absicht: Sie sollen das Gefühl bekommen, dass Ihr Chef Sie in der Hand hat. Wenn Sie nicht klein beigeben, können Sie jederzeit auf der Straße landen.
Die Wahrheit: Kündigungen sind leicht anzudrohen und schwer durchzusetzen. Ein Mitarbeiter kann sowohl gegen Abmahnungen als auch gegen Kündigungen juristisch vorgehen. Sollte die Firma aufgrund der Wirtschaftslage gezwungen sein, Personal abzubauen, wackeln vor allem die Stühle der Frischlinge.
Gegenstrategie: Wenn dieser Satz fällt, ist Feuer unterm Dach. Sagen Sie, dass sie für sachliche und konstruktive Kritik an Ihrer Arbeit offen sind, sich Drohungen aber verbitten.
Die Absicht: Offensichtlich will sich Ihr Chef nicht auf sachliche Argumente einlassen. Vielleicht hofft er auch, Sie mit Ihrem Alter an einem wunden Punkt zu erwischen.
Die Wahrheit: Nirgendwo steht geschrieben, wie jung oder alt man für eine bestimmte Aufgabe sein muss. Alter sagt nichts über Qualifikation oder Qualität aus.
Gegenstrategie: Lenken Sie das Gespräch zurück auf eine sachliche Ebene. Fragen Sie beispielsweise: „Welche Qualitäten hätte ich Ihrer Meinung nach, wenn ich fünf Jahre älter (oder jünger) wäre?“ Nun wird der Chef mit Stichworten reagieren - und Sie können aufzählen, was Sie auf diesem Gebiet bereits geleistet haben.
Im geschäftlichen Bereich könne dies jedoch ganz anders aussehen: Wer zum Beispiel im Beruf lügt, kann sich unter Umständen damit trösten, dass er das für seinen Arbeitgeber macht.
Konsequenzen für Wissenschaft und Geschäftsleben
„In allen Weltreligionen und Moralsystemen hat Ehrlichkeit einen sehr hohen Stellenwert“, sagt Falk, der die Abteilung für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Bonn leitet und Programmdirektor am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) ist. „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“, lautet das achte Gebot. Ökonomen gehen jedoch in der Regel davon aus, dass Menschen zur Lüge neigen, wenn es sich lohnt. „In Verhaltensexperimenten wurde bislang sehr stark darauf geachtet, Anreize für wahrheitsgemäße Auskünfte zu schaffen – das scheint in diesem Ausmaß nicht erforderlich zu sein“, sagt Abeler.
Die Ergebnisse haben aus Sicht der Forscher absehbar weit reichende Konsequenzen für Wissenschaft und Geschäftsleben. Und mit Blick auf die Staatsfinanzen: Ein nicht zu anonymes Umfeld und ein Appell an das Selbstwertgefühl könnten vielleicht sogar die Steuerehrlichkeit erhöhen.