Stereotype Vorurteile machen Manager und Recruiter blind

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Körperlich messbarer Klischee-Stress

Selbst gut gemeinte Initiativen können verstören: Sozialpsychologe Zacher konnte in einer aktuellen Studie nachweisen, dass Managerinnen mit Kindern die familienfreundlichen Angebote ihres Arbeitgebers besonders kritisch bewerten – obwohl sie die Erleichterungen gerne in Anspruch nehmen. „Sie fürchten aber, damit ihren Status als Leistungsträgerinnen zu verlieren und stattdessen in eine Schublade mit anderen arbeitenden Müttern gesteckt zu werden – und die gelten in vielen Unternehmen immer noch als nicht sonderlich belastbar.“ Gerade leistungsbereite Menschen reagieren stark auf befürchtete Vorurteile von andern.

Tatsächlich ist der Stress, den Klischees auslösen, sogar körperlich messbar: So zeigte der amerikanische Sozialpsychologe Claude Steele Studentinnen zwei Videos von wissenschaftlichen Tagungen. Die eine Hälfte der Studentinnen sah Bilder einer Konferenz, an der etwa gleich viele Frauen und Männer teilnahmen. Der anderen Gruppe aber spielte Steele Aufnahmen eines Treffens vor, bei dem nur ein Viertel aller Wissenschaftler weiblich war. Diese Studentinnen entwickelten während der Betrachtung höheren Blutdruck, und sie schwitzten stärker. Wenig verwunderlich sank anschließend ihre Bereitschaft, in Zukunft wissenschaftliche Tagungen zu besuchen.

Ungewöhnliche Vorbilder schaffen

Auch das Interesse an Führungsaufgaben leidet, genauso wie die Fähigkeit dazu: Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die unter Stereotype threat leiden, schlechter verhandeln, ungern in Konkurrenz treten und Risiken meiden. Keine idealen Voraussetzungen für Leitungspositionen.

Wie aber kann es gelingen, derartige Effekte aufzuheben und mit klarem Blick über uns selbst und andere zu urteilen? Aufklärung allein reicht nicht, warnen Forscher, denn viele Klischeevorstellungen sind zu tief in unserem Bewusstsein verwurzelt, als dass wir sie durch den Verstand ausschalten könnten. Stattdessen müssen wir ihnen andere Bilder gegenüberstellen, argumentieren die Psychologen. Wir sollten deutlich sichtbare Vorbilder schaffen, um unsere traditionellen Denkmuster zu durchbrechen. Also: ethnische Vielfalt bei Recruiting-Events zeigen, Männer auf Broschüren abbilden, die für Teilzeit werben, oder Frauen in den Vorstand berufen.

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Derartige Beförderungen wirken allerdings nicht, solange nur Alibistellen geschaffen werden, belegen Studien: Eine einzige Frau im Vorstand zum Beispiel reicht nicht, um Rollenklischees infrage zu stellen, denn sie wird nur als Ausnahme wahrgenommen. Nur wenn in der Leitung tatsächlich Diversity herrscht, brechen unsere Denkmuster auf. Forscher errechneten, dass erst ein Anteil von 30 Prozent positiv auf die Mitarbeiter wirkt.

Bewerbungen vollständig anonymisieren, Vorstellungsgespräche standardisieren

Für eine objektivere Personalauswahl könnten künftig IT-gestützte Verfahren sorgen, hofft Harvard-Ökonomin Bohnet: Derartige Programme urteilen allein anhand von Qualifikationen und können nicht in Schubladen denken. Die Forscherin empfiehlt Unternehmen außerdem Blindbewerbungen, die nicht nur das Geschlecht verheimlichen, sondern auch Alter und Wohnort. Das erste Bewerbungsgespräch sollte außerdem standardisiert ablaufen: Erst wenn alle Bewerber identische Aufgaben und Fragen erhalten, können vergleichbare Informationen über sie vorliegen. Und das erhöht die Chance, dass Personalentscheider beim anschließenden, persönlichen Vorstellungsgespräch stärker auf die tatsächlichen Talente potenzieller Mitarbeiter achten – und nicht zum Beispiel auf die Tatsache, dass sie ausländische Wurzeln haben oder bereits etwas älter sind.

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Auch auf individueller Ebene können Psychologen einige hilfreiche Methoden benennen, die das Aufkommen von Ängsten unterbinden: So scheint die Besinnung auf eigene Stärken zu schützen. Dazu genügt es, sich für eine Viertelstunde auf die eigenen Werte und Talente zu konzentrieren und sie niederzuschreiben. Mit diesem Vorgehen konnten Sozialpsychologen der Universität von Stanford zum Beispiel die Schulleistungen einer Gruppe von schwarzen Kindern in den USA langfristig steigern und auf das Niveau ihrer weißen Mitschüler heben.

Und mitunter hilft wohl auch eine Portion Humor: Wissenschaftler der Western-Carolina-Universität konnten nachweisen, dass Frauen, die das Leben generell mit mehr Humor nehmen, in Mathetests besser abschneiden, selbst wenn sie während der Prüfung von Vorurteilen gestresst waren. Der Effekt lässt sich sogar kurzfristig hervorrufen: Wer vor einem Test Cartoons liest und nicht etwa Gedichte, schneidet besser ab, so die Forscher um den Psychologen Thomas Ford.

So albern manch ein Vorurteil also auch sein mag, so leicht lässt es sich mitunter weglachen.

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