Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich zunehmend gestresst: Bei 53 Prozent der Erwachsenen ist das Leben nach eigenem Empfinden in den vergangenen drei Jahren zunehmend stressiger geworden. Frauen fühlen sich dabei häufiger gestresst als Männer. Das geht aus einer Studie der Techniker Krankenkasse hervor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde und für die das Institut Forsa 1000 Menschen befragt hat. Zudem zeigte sich in der Befragung, dass der Belastungsgrad der Menschen mit steigendem Bildungsgrad und Einkommen zunimmt. Regelrechte Stress-Hochburgen sind die Städte: Hier ist der Stresslevel deutlich höher als auf dem Land.
Besonders belastet sind Menschen zwischen 36 und 45 Jahren. 80 Prozent dieser Generation fühlen sich unter Druck, jeder Dritte fühlt sich unter Dauerstress gestellt. Die Autoren der Studie machen dafür verantwortlich, dass sich Angehörige dieser Altersgruppe häufig gleichzeitig um Beruf, Kinder und die eigenen Eltern kümmern müssen - man spricht hier von der Sandwichgeneration, die sich zwischen den Ansprüchen, die von verschiedenen Seiten an sie herangetragen werden, regelrecht aufreibt.
Vor allem bei jüngeren Menschen fallen private Probleme als Stressfaktor ins Gewicht. Mit zunehmendem Alter verliert dieser Punkt an Bedeutung. Nichtsdestotrotz ist der private Stress ein wichtiger Faktor, denn er belastet die Seele besonders stark. Laut der Untersuchung finden sich besonders bei Menschen, die Konflikte mit Freunden und Familie haben, sich mit finanziellen Sorgen plagen, oder in der Pflege von Angehörigen eingespannt sind, besonders häufig schlechte Gesundheitsbilanzen. Besonders viele von ihnen hätten zudem Schlafprobleme und fühlten sich ausgebrannt.
Egal ob jung oder alt - insgesamt gesehen ist der Job der Stressfaktor Nummer eins. Von den Berufstätigen unter den Befragten nannten nahezu zwei Drittel ihren Beruf als größten Belastungsfaktor - hier fallen soziale Probleme stärker ins Gewicht, als die Arbeit an sich. Mangelnde Anerkennung, zu wenig Handlungsfreiraum und Ärger mit den Kollegen oder dem Chef führen bei jedem zweiten Betroffenen dazu, dass er sich ausgebrannt fühlt; jeder Fünfte leidet gar unter Depressionen.
Bei Frauen fällt auf, dass sie sich noch stärker selbst unter Druck setzen. Fast jede zweite Frau gab an, dass ihre hohen Ansprüche an sich selbst sie massiv in Stress versetzen. Dies liegt auch daran, dass die Familien- und Haushaltsarbeit noch immer überwiegend auf den Schultern der Frauen lastet. Sie geben deutlich häufiger als Männer an, dass sie sich durch Haushalt und Kindererziehung belastet fühlen.
Drei Stress-Typen
Wie man mit dem Stresspegel umgeht, und ob man davon krank wird, ist eine Sache der Persönlichkeit. Die Studienautoren arbeiteten drei verschiedene Stresstypen heraus: Den "Durchhalter", der nach dem Motto "Augen zu und durch" lebt. Die meisten Deutschen (59 Prozent) zählen zu dieser Gruppe; darauf folgen mit jeweils 17 Prozent Anteil die Typen "Vermeider" (Motto: Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass der Sturm vorüberzieht) und "Losleger" (Motto: Stress spornt diesen Typ zu Hochform an). Auch hier gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Während jeder vierte Mann zu den Loslegern zählt, gilt dies nur für jede zehnte Frau.
Sie stecken dafür häufiger den Kopf in den Sand (20 Prozent) als Männer (14 Prozent). Und das hat unschöne Folgen: Denn der Typ Vermeider wird von Stress deutlich häufiger krank. Zwar haben die Durchhalter ein insgesamt höheres Stresslevel, doch die Vermeider leiden seelisch stärker unter dem Druck. Von ihnen gibt jeder Vierte an, unter Dauerstress zu stehen - dadurch sind sie stärker Burn-out-gefährdet und haben oft psychische Probleme wie Angstattacken und Depressionen. Auch leiden überdurchschnittlich viele unter Kopfschmerzen, Tinnitus, Magenbeschwerden und häufigen Erkältungen.
Bei der Stressbewältigung neigen Männer eher zu ungesunden Formen: Vier von zehn Männern greifen demnach bei Stress zum vermeintlichen Seelentröster Alkohol. Das gilt besonders oft für junge Leute: 44 Prozent der unter-25-Jährigen greifen bei Stress zur Flasche.
Forsa-Chef Manfred Güllner bilanziert: "Je höher der Stresslevel, desto mehr Beschwerden haben die Menschen." Von den Menschen, die angeben, stark gestresst zu sein, geht es nur sieben Prozent "sehr gut". Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Gereiztheit sind die Folge. "Gestresste Menschen haben gegenüber Entspannten ein fast viermal so hohes Risiko für seelische Beschwerden" so Güllner. Das hat auch wirtschaftliche Auswirkungen, wie schon der im Juni vorgestellte Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse zeigte: Insgesamt haben psychisch bedingte Fehlzeiten seit 2006 um mehr als 75 Prozent zugenommen. Auch die Anzahl stationärer Behandlungen aufgrund psychischer Erkrankungen ist innerhalb der letzten fünf Jahre um 25 Prozent angestiegen. Die Kosten hierfür legten um 33 Prozent zu. Das bedeutet, dass nicht nur mehr Menschen betroffen sind, sie sind auch immer länger in Behandlung.