Macht, Geld, Einfluss. Brigitte Witzer hatte alles, wovon ehrgeizige Frauen träumen - und verzichtete freiwillig darauf, weil sie sich zu sehr fremdbestimmt fühlte. Sie kennt die ungeschriebenen Gesetze der Führungselite - und verrät nun, was Frauen auf dem Weg an die Unternehmensspitze ausbremst.
Frau Witzer, "Ohne Fleiß kein Preis" lautet eine eherne Karriere-Regel. Sie dagegen sagen: „Alles gelogen! Im Gegenteil. Fleiß führt beruflich in die Sackgasse.“ Warum?
Weil Fleiß uns dazu bringt, jenseits unserer Talente, Wünsche und Träume alles Mögliche zu machen. Das hindert uns daran, unsere Gefühle und Bedürfnisse zu spüren.
Und warum ist das schlecht für den Aufstieg?
Beschäftigt wie wir sind, bemerken wir gar nicht, dass wir unser Potenzial nicht ausschöpfen, unsere Vision von einem erfüllenden Job ausblenden oder unsere Begabungen ignorieren.
Also gilt für eine erfolgreiche Karriere: alles, nur kein Fleiß?
Genau! In der Faulheit liegt die Kraft. Wobei „faul“ ja nicht gleich „träge“ ist. Viele erfolgreiche Erfinder beispielsweise wollten etwas verkürzen, reduzieren, vereinfachen. Die Antriebskraft im Faulsein wird allgemein schwer unterschätzt.
Offenbar stürzen sich vor allem Frauen in Fleißaufgaben, die sie mit einem Hang zur Perfektion abarbeiten.
Ja, statt - wie Männer das häufig tun - strategisch vorzugehen, kümmern sie sich lieber um alle nötigen Aufgaben im Hintergrund, sind Mädchen für alles und kennen sich auch noch hervorragend in ihrem Fachgebiet aus. Ihr Talent und ihr eigentliches Potenzial wird eine Frau allerdings so nicht ausleben können, weil Fleiß sie davon abhält, zu sehen, was sie wirklich kann.
Spielt Aussehen am Arbeitsplatz eine Rolle?
In Ihrem Buch "Die Fleiß-Lüge" setzen Sie sich mit dem entsprechenden weiblichen Sozialverhalten in großen Konzernen auseinander und wie es sich auf die Karriere auswirkt. Etliche der von ihnen beschriebenen Verhaltensmuster, wie die „Königin“ oder die „Superbiene“, erinnern an einen Bienenstock. Doch was kennzeichnet die sogenannte „Prinzessin“?
Die "Prinzessin" ist eine Rolle, die man aus dem privaten Zusammenhang kennt: Sie braucht einen Mann, der ihr ein bequemes Familienleben finanziert, und sie muss im Gegenzug für ihn attraktiv sein. Analog dazu strebt die „Prinzessin“ im Job ebenfalls nach Vereinzelung - neben ihr darf keine andere so sein wie sie selbst, damit sie vom männlichen Vorgesetzten erwählt und protegiert wird. Untereinander machen sich die Prinzessinnen damit das Leben schwer.
Hinterfragen Sie sich selbst: Stimmen diese Klischees über Frauen und Männer im Job?
Studien zeigen: Schon kleine Mädchen bevorzugen flache Hierarchien – keiner soll sein Gesicht verlieren. Chefinnen-Gehabe wird abgestraft. Jungs aber testen schon früh Hierarchien – und bleiben im Job dabei: Arbeit ist Wettkampf, Karriere heißt Konkurrenten killen.
Viele Frauen lehnen Machtgerangel ab, streiten lieber um der Sache willen. Männer kämpfen oft nicht um Inhalte, sondern um die Deutungshoheit.
Frauen landen oft entweder auf unwichtigen oder sehr wackeligen Stühlen, auf denen die Gefahr des Scheiterns besonders groß ist. Nicht, weil sie besonders gute Krisenmanager wären – sondern weil Männer Frauen eher ranlassen, wenn der Karren tief im Dreck steckt.
Auch unfähige Männer treten oft mit breiter Brust auf. Fähige Frauen machen sich oft klein, nehmen Dinge persönlich, haben Angst vor zu viel Verantwortung.
Bei der privaten Partnerwahl spielt ja das Aussehen eine große Rolle. Wie ist das am Arbeitsplatz?
Meiner Meinung nach werden Frauen auch hier nach ihrer Performance beurteilt, also erstens nach Schönheit und zweitens nach ihrem Fleiß. Beides lässt sich ja gut zeigen oder messen.
Und Männer? Welcher Maßstab gilt für sie?
Männer werden, das ist zumindest meine Erfahrung nach 25 Jahren als Führungskraft und Business-Coach, meistens nach ihrem Potenzial beurteilt - nach dem Motto: „Der wird das schon schaffen!“ Eine Frau muss sich immer erst beweisen, bevor man ihr eine neue Herausforderung zutraut.
Klingt unfair.
Ja, und das Tragische daran ist, dass diese Mechanismen den Verantwortlichen in den Unternehmen leider ganz und gar nicht bewusst sind ...
Kommt denn wenigstens die „Superbiene„ besser voran als die „Prinzessin“?
Nur unwesentlich. Auch sie hat darauf gewartet, vom Chef auserwählt zu werden, setzt aber jetzt ihren Fleiß auf einem inhaltlichen Gebiet ein, um das sich kein Mann reißen würde.
Warum Frauen im mittleren Management steckenbleiben
Und warum bringt sie das karrieremäßig nicht voran?
Die "Superbiene" geht in ihrer Arbeit auf, nicht selten bis zum Burnout. Sie fühlt sich unersetzbar - aber plötzlich, buff, entfällt ihr Aufgabenbereich, weil die Geschäftsleitung zum Beispiel das Unternehmen umstrukturiert.
Für die betroffene Frau eine Katastrophe.
Ja. Jetzt bräuchte sie ein tragfähiges Netzwerk. Und es wäre nötig, Visionen zu entwickeln - wo soll mein Unternehmen oder meine Abteilung, mein Produkt hin? Am besten wäre es, dafür schon eigene Strategien parat zu haben. Doch all das haben die emsigen Frauen meist leider nicht auf ihrem Radar.
Während sich also die endlich auserwählte „Prinzessin“ in Konflikten mit anderen Frauen verstrickt, statt ihre wahren Potenziale zu entfalten, schafft es die „Superbiene“ Ihrer Theorie zufolge auch nur bis ins mittlere Management. Was genau bremst sie aus?
Sie ist inhaltlich getrieben und handelt nicht strategisch. Sobald es zu Veränderungen im Unternehmen kommt, werden die für bestimmte Inhalte verantwortlichen Frauen überflüssig. Zum anderen empören sich diese weiblichen Führungskräfte gern über strategisch agierende Manager, gerade weil sie selbst austauschbar sind - eine Spirale gegenseitiger Abwertung, die dem beruflichen Vorankommen nicht dient.
Wirkt destruktiv!
Dazu kommt, dass die Frauen selbst die Spielregeln des Spiels „Familie und Haushalt“ benutzen, um damit in der Wirtschaft zu punkten, weil Spielregeln hier wie dort - und das gilt für beide Geschlechter - nicht offen thematisiert sind. Die Wirtschaft ist aber ein Spiel mit Regeln, das Männer in Jahrhunderten patriarchaler Herrschaft entwickelt haben. Haushalt ist ebenso ein Spiel, aber mit anderen Regeln. Nur: Was bei Mühle funktioniert, hilft bei Schach nicht weiter - und umgekehrt.