Überleben im Büro Der erste Tag im neuen Job

"Die Hölle, das sind die anderen." Für diese Erkenntnis genügt der Gang ins Büro. "Unter Kollegen - 44 Überlebensstrategien fürs Büro" gibt einen Einblick in den täglichen Wahnsinn. Das geht schon am ersten Tag los.

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Mann vor Computerbildschirm Quelle: contrastwerkstatt - Fotolia

Wir alle waren und sind ja öfters mal im Leben der Neue, ob im Kindergarten, in der Schulklasse, im Sportverein, an der Uni oder eben irgendwann einmal im Berufsleben. Es gibt Menschen, die diesbezüglich mit Begeisterung wechseln, Fußballtrainer etwa, emotionsbefreite Pressesprecher oder dem Heuschreckentum zugeneigte Bahn- und Flughafenmanager. Diesen Vertretern des gehobenen Nomadentums scheint das Kommen und Gehen keine Probleme zu bereiten, denn ihnen ist es nur dauerhaft wichtig, nie ihr wahres Gesicht zeigen zu müssen.

In der Regel aber sind wir alle nicht scharf darauf, alleine und gottverlassen am Tag 1 auf ein Team eingespielter Kollegen zu treffen, für die jener Tag 1 ein ganz normaler Tag X ist – mit dem einzigen Unterschied, dass da jemand Unbekanntes eingetroffen ist und von nichts eine Ahnung hat. Der lästige Spagat auf dem roten Teppich stellt den Neuen vor die Herausforderung, in wenigen Minuten die Firmenführung und möglichst viele Mitarbeiter auf seine Seite zu bekommen – mit Witz, Bescheidenheit, Charme, Charisma, Chuzpe.

Cover Unter Kollegen Quelle: Presse

Die Auswahl ist groß, und jede Option kann positiv wie negativ ausgelegt werden. Hier steh ich nun, ich armer Tor – und wildfremde Leute, eingelullt von ihrem Trott, mustern mich, schätzen mich ein, wenden sich ab, hören zu oder tun zumindest so. Manche lächeln sogar. Oder lachen sie mich aus? Irgendwie ist diese Ouvertüre wie eine Mischung aus kleinstädtischer Miss-Wahl und surrealer Kafka-Verfilmung. Ob Dresscode, Stimmlage, Größe, Aussehen, Körpersprache – nach ein paar Sekunden sind die Würfel gefallen und die Daumen in Stellung gebracht.

Wie um Himmels willen soll der lampenfiebrige Neue die etablierte Hauskultur, die althergebrachte Betriebsstruktur, die Mini-Hierarchien, abgesteckten Reviere und dieses ganze mysteriöse Labyrinth blitzschnell decodieren und sich gleichzeitig einschmeicheln und clever anbiedern? Es spielt dabei auch keine Rolle, ob sie oder er zu Siemens, zur CDU-Wuppertal oder zu einer Berliner Samwer-Brüder-Rocket-Eventagentur wechselt. Fakt ist: Im normalen Büroalltag 2015 wird man eher abschätzig und im besten Falle abwartend wahrgenommen, als eine vage Gefahr, als potenzieller Konkurrent oder Störenfried.

Zur Person

Von wegen "jedem Anfang wohnt ein Zauber inne". Gibt man sich bei dem Spießrutenauftritt höflich und bescheiden, dann wird sicher etwas ganz und gar falsch im Charakter sein. Haut man dagegen in Rapper-Manier auf den Putz, hat man garantiert frühkindliche Defekte zu verbergen. Sagt man kaum etwas, ist man als hundertprozentig giftige Schlange entlarvt, die zunächst in Ruhe abwartet und dann ihren Vernichtungsbiss landet.

Angesichts all dieser Fallen und Tücken geht es letztlich nur darum, in jenen Minuten so wenig wie möglich falsch zu machen. Denn nur so systematisch durchgespülte Charmebolzen wie der Wahlkämpfer Obama können bei solchen Gelegenheiten mit einem breit angelegten Mississippi-Grinsen allen Anwesenden alle Winde aus allen Segeln nehmen. Um dieses Dilemma anzugehen, betreten unzählige Job-Ratgeber die Bühne, um die bedauernswerten Neuen, die ja wir alle sind, zu schulen, ihnen zu raten, authentisch zu sein oder zu bleiben, ungekünstelt eben, offen, demütig – als ob man einem Schmetterling beibringen könnte, sich wie ein Wildschwein zu benehmen.

Warum übernehmen eigentlich nicht die Kollegen den Einstand?

Doch leider kann man da nicht groß eingreifen, denn es gibt für diese Situation weder eine goldene Mitte noch eine Schwarz-Weiß-Lösung. Der Neue steht mit einem Viertelbein im Haifischbecken, und in dieser Lage verfehlen Tipps für Solotänzer den konkreten Adressaten. Als Höhepunkt ihrer sinnfernen Coaching-Sessions wenden sich die Jobconsulter gerne profanen Aspekten zu und skizzieren, wie man richtig Einstand feiert, Sekt oder Selters auffährt oder gleich alle zum Tabledance einlädt.

Drehen wir den Spieß um: Wieso übernehmen diesen Einstand eigentlich nicht die Kollegen? Da könnte doch jeder mal einen Euro lockermachen, denn so ließe sich zusammen ein Blumenstrauß binden, der den Neuen auf seinem Schreibtisch begrüßt, versehen mit einer von allen unterschriebenen Karte. Man muss ja nicht gleich einen Firmenchor präsentieren, der mit dem Luthergospel "Bis hierher hat mich Gott gebracht" (1685) auftrumpft. Was bei jeder noch so öden Grillparty gang und gäbe ist, scheint im Arbeitsleben außer Kraft geraten zu sein; nämlich einem Dazugestoßenen zu zeigen, wo sich, symbolisch gesprochen, Garderobe, Kühlschrank und Toiletten befinden.

Wie Sie mit neuen Mitarbeitern umgehen

Es ist zudem recht befremdlich, dass sich nur ganz selten die Chefetage hergibt, entweder sich selbst oder einen Mentor abzubestellen, der sich den ersten Tag über – oder auch länger – ausschließlich um den neuen Mitarbeiter kümmert; ihm zum Beispiel das Computernetzwerk erklärt, die einzelnen Abteilungen in ihrer Bedeutung schildert oder einfach sagt, wie und wohin hier der Hase läuft.

Es weiß doch jeder Globetrotter, dass man am besten und klügsten mit einem einheimischen Führer durch ein fremdes Land reist. Wir alle nehmen diese touristischen Dienste doch gerne in Anspruch rund um den Dornbusch des Sinai oder im Dschungel von L.A. Warum lässt also ein Heimteam den neuen Mitarbeiter so oft im Trüben fischen oder auch schadenerfreut gegen die Wand fahren? Wo ist da der Lerneffekt? Wo ist da der Lustgewinn? Es ist doch das Merkmal einer erstklassigen Firma, dass sie den Neuen an die Hand nimmt und ihn sachlich wie emotional einführt.

Die größten Fehler in den ersten 100 Tagen
Mann Quelle: Hannes Eichinger
Mann Quelle: Janina Dierks - Fotolia
Frau an einem Laptop Quelle: Tatjana Balzer - Fotolia
Leute Quelle: Nyul/Fotolia.com
Mann mit Aktentasche macht einen Luftsprung Quelle: Tom Wang
Mann mit Megafon Quelle: Edyta Pawlowska - Fotolia
Mann Quelle: Warren Goldswain - Fotolia

Auch ist es wesentlich besser, wenn dies ein Kollege macht und nicht die Führung, denn als Neuer am Tag 1 im Blickfeld der Alteingesessenen mit dem Boss Händchen haltend durch die Hallen zu tänzeln, ist eine schlechte Botschaft. Eine Firma mit Format überlässt eine solche Einarbeitung allerdings nicht x-beliebigen Mitarbeitern, die eventuell aus ihrem Frust, ihrer Isolation oder ähnlichen Motiven heraus die Neuen unter ihre Fittiche nehmen und sie mit shakespearscher Intriganz verwirren.

Das sogenannte Onboarding sollte weitgehend emotionsfrei geschehen und sich durch neutrales Darstellen eines Betriebs auszeichnen. Menschenkenntnis, Durchsetzungskunst und Respekt muss der Neue allerdings selbst aufbringen. Wenn er zum Beispiel
während der Besichtigung neugierig fragt: "Sagen Sie mal, wie viele Leute arbeiten denn genau bei Ihnen?" und der Mentor darauf antwortet: "Ich denke mal knapp 40 Prozent", dann ist das Eis gebrochen und die erste Humorprüfung bestanden.

Die Chefetage sollte dagegen zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der neuen Kollegen am Ende des ersten Tages bereits fühlen oder wissen, ob sie hier bleiben werden. Wenn man sie also nicht nur zum Staubsaugen einstellen will, dann sollte man die Willkommenskultur hierzulande wesentlich optimieren.

Es ist schon verwunderlich, dass gerade unsere Topkonzerne immense Summen für Headhunter, Werbung, Personalabteilungen und Auswahlverfahren investieren, um dann, an eben jenem Tag 1, den Neuen wie bestellt und vergessen in den Fluren herumstehen lassen; Handschlag, Schulterklopfen, "Wird-schon" und rein ins kalte Wasser. Ein solcher Stil geht oft Hand in Hand mit ökonomischem Schwachsinn; nämlich genau dann, wenn man, was oft geschieht, die ersten Reaktionen, kritischen Fragen und ehrlich-naiven Einlassungen des Neuen als forsche arrogante Einmischung auslegt und ihm eine anfängliche Zurückhaltung nahelegt. Denn der Input eines Neuen, die Meinung eines frischen und von jeder Betriebsblindheit befreiten Kollegen ist viel mehr wert als all die teuren Dossiers tiefgekühlter McKinsey-Controller.

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