Umsteiger Ausstieg aus der Karriere

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"Frankfurter Worscht Börse"

Thomas Brauße Quelle: dpa

Allerdings traf es den Abteilungsleiter der Wertpapierabwicklung eines Brokers nicht unvorbereitet. Schon häufig hatte er zur Mittagszeit am Fenster seines Büros im Frankfurter Messeturm gestanden, die Geschäftsleute unten auf der Straße beobachtet und an seinen Plan B gedacht: eine eigene Imbissbude. Die ist inzwischen kein Tagtraum mehr, sondern Wirklichkeit.

Im Sommer 2009, ein halbes Jahr nach seiner Freistellung, eröffnete der 46-Jährige die „Frankfurter Worscht Börse“ – in einem ausgedienten Linienbus. Mehr als 850.000 Kilometer hatte der Bus bereits hinter sich, als er sein zweites Leben begann – ohne funktionierenden Rückwärtsgang. Ganz wie Brauße, der auch nicht mehr in sein altes Leben als Banker zurück will. Und jetzt vier Mal die Woche hinter dem Grill steht, „Pommes nackig“, rot oder weiß über die Theke reicht, während der Geruch von Currypulver und Bratwurst durch die Luft wabert. Schon um 6.30 Uhr geht’s los. Selbstständigkeit komme eben von selbst und ständig, sagt Brauße.

Die Hälfte vom alten Gehalt - wenn es gut läuft

Statt zwölf Mitarbeiter wie damals als Abteilungsleiter hat er heute nur noch drei. Und auch das üppige Gehalt vermisst er manchmal. Früher habe er alles gekauft, was ihm gefallen habe, er sei zwei Mal im Jahr in den Urlaub gefahren und habe alle drei Jahre ein neues Auto angeschafft. Und freinehmen kann er sich maximal zwei Wochen im Jahr, statt 34 Tage. Wie viel einem Imbissbudenbesitzer vom Umsatz bleibt, mag er zwar nicht verraten. „Aber wenn es gut läuft, verdiene ich dieses Jahr etwa die Hälfte von dem, was ich zuletzt bekommen habe“, sagt Brauße.

Doch um Geld geht es ihm nicht. Viel wichtiger sei etwas anderes: Freiheit. Banker, das war ohnehin nie sein Traumberuf. Es war die Idee seiner Mutter, die ihn in die Lehre zum Bankkaufmann schickte. Seine berufliche Vergangenheit bereut er dennoch nicht. Von seinen wirtschaftlichen Kenntnissen profitiert er auch als Imbissbudenbesitzer. „Und jetzt“, sagt Brauße, „bin ich schon sehr nah dran an meinem Traumjob.“

Immer mehr wollen aus der Knochenmühle raus

Solche Sätze hört Werner Fürstenberg in letzter Zeit häufiger. Der Hamburger Führungskräftecoach hilft Managern dabei, sich beruflich umzuorientieren. Bei ihm haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr Betroffene gemeldet, die aus der Knochenmühle der Finanzbranche aussteigen wollen. Viele seien früher stolz auf ihre Tätigkeit und ihren Arbeitgeber gewesen, doch nun litten sie unter dem Imageverlust ihrer Branche: „Sie verschweigen mittlerweile lieber, was sie beruflich machen“, sagt Fürstenberg.

Außerdem stellen sie ihre Prioritäten auf den Prüfstand. Fragen sich mit Anfang 40, was ihnen im Leben wirklich wichtig sei. Wie viel Zeit sie für Familie und Freizeit haben, statt im Auftrag ihrer Arbeitgeber und Kunden nach der höchsten Rendite zu suchen – oder diese selbst so zu konstruieren, dass am Ende immer nur einer gewinnen kann: die Bank.

Flammender Appell von Steve Jobs

Alexander Hartmann will nicht ausschließen, dass er sich eines Tages ebenfalls unethisch verhalten hätte. Angesichts des steigenden Drucks aus der Führungsetage seien die Mitarbeiter zu „seelenlosen Automaten“ verkommen, die den Profit maximieren sollten, erinnert sich der Schweizer – ganz im Sinne Ivan Boeskys.

Doch Hartmann hielt er sich lieber an einen anderen Ratschlag: Knapp 20 Jahre nach Boeskys Rede fand in Kalifornien eine Feier statt, die ebenfalls zum Symbol für eine Ära werden kann.

Am 12. Juni 2005 wandte sich der inzwischen verstorbene Apple-Chef Steve Jobs mit einem flammenden Appell an die Absolventen der Universität Stanford: „Eure Zeit auf der Welt ist begrenzt“, predigte Jobs, „verschwendet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu führen.“ Das Wort Liebe verwendete Jobs in seiner Rede zehn Mal – das Wort Gier kein einziges Mal.

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