Vorbilder und Werte für Frauen in Führungspositionen „Ohne Macht lässt sich nicht führen“

Brauchen Frauen andere Vorbilder und Werte als Männer? Mit dieser Frage hat sich die Werte-Expertin Barbara Strohschein beschäftigt. In einem Gastbeitrag erklärt sie, wie Chefinnen nicht in die Werte-Falle tappen.

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Die Autorin ist promovierte Philosophin. Sie arbeitete als Lektorin und Redakteurin für Verlage und Zeitschriften und ist heute als Expertin für Werte-Philosophie in eigener Praxis als Coach, Beraterin und Autorin tätig. (Foto: Webseite www.barbarastrohschein.de)

Berlin Die Berliner Philosophin Barbara Strohschein arbeitet als Coach und Autorin. Ihr Buch „Die gekränkte Gesellschaft - Das Leiden an Entwertung und das Glück durch Anerkennung“ ist gerade im Riemann Verlag erschienen. In ihrem Gastbeitrag, den Sie exklusiv für unsere Initiative Leader.In, ein Businessnetzwerk zur Vernetzung erfolgreicher Frauen und Männer aus der Wirtschaft, geschrieben hat, zeigt Strohschein, was überhaupt Werte sind und was sie bedeuten. Die Werte-Expertin zeigt auch, über welche Optionen Chefinnen verfügen, ohne in die Werte-Falle zu tappen, wenn sie Macht ausüben und ihre Mitarbeiter führen.

Was bedeuten Vorbilder? Was sind Werte? Ich will es Ihnen kurz erklären. Wer ein Vorbild hat, orientiert sich an Qualitäten: „So möchte ich auch sein!“ Man kann diese Qualitäten auch als „Werte“ bezeichnen. Und Werte sind Tugenden und Ideale, nach denen wir uns ausrichten. Werte, die emotional besetzt sind. Die wirken, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Sie sind in „Fleisch und Blut“ übergegangen.

Tugenden wie beispielsweise Fleiss, Mut, Fairness, Verläßlichkeit und Höflichkeit sind überprüfbare Handlungsqualitäten. Ideale sind das nicht. Ideale sind Vorstellungen von bestmöglichsten Zielen wie Freiheit, Verantwortlichkeit, Gleichberechtigung oder Loyalität. Diese Ideale sind sehr verschieden lebbar und interpretierbar.

Wozu Vorbilder und Werte? Nun, meine Erfahrung als philosophische Beraterin für Führungskräfte zeigt, dass Werte für den Erfolg eine große Rolle spielen, auch wenn nicht direkt davon die Rede ist. Wer führt, muss überzeugen können. Denn wer nicht überzeugt, dem folgt man nicht. Aber wie überzeugt man?

Das gelingt, indem man vorbildlich handelt und entscheidet. Das hieße, sich so zu verhalten, wie man es von anderen erwartet und Ziele vertritt, die über die persönlichen Ego-Interessen und die Profitmaximierung hinausgehen. Auch in meinen Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Führungskräfte, die werteorientiert handelt, weit mehr von ihren Mitarbeitern geachtet werden.


Tradierte Werte, denen Frauen entsprechen sollen?

Das sind die Chefinnen und Chefs, die fair sind, auf die man sich auch in Konflikten verlassen kann, die Verantwortung zeigen, die gerecht handeln und nicht kompromittierbar sind. Eine Führungspersönlichkeit, die diese „Qualitäten“ nicht hat, kann zwar trotzdem ökonomisch erfolgreich sein, aber zum Vorbild, dem man gerne folgt, eignet sie sich wohl nicht.
Es hat eine lange Tradition, dass Frauen nicht führen, sondern dienen sollen. Dienen ist mit Tugenden wie Duldsamkeit, Nachgeben, Schweigen und Hinnehmen verbunden. Aber lässt sich mit solchen Tugenden Macht ausüben? Auch wenn dies für manche Ohren provokativ klingt: Ohne Macht lässt sich nicht führen. Macht bedeutet, zielgerichtet und steuernd zu handeln, anderen zu sagen, was zu tun ist und nicht abzuwarten, bis man „behandelt“ wird.

Wenn Frauen in Führungspositionen sind, müssen sie per se Macht ausüben. Aber ist das gern gesehen? Widerspricht Machtausübung nicht den Werten, denen Frauen zu entsprechen haben? Bis heute - trotz Emanzipation - ist es keineswegs selbstverständlich, dass mächtige Frauen das sind, was „man“ will. Macht ist das, was Männern zusteht.

Bis heute werden tradierte männliche Werte gegen tradierte weibliche Werte ausgespielt: Männer setzen sich durch, statt nachzugeben, sind unnahbar und unerbittlich. Frauen sind kommunikativ, verbindlich und lassen Nähe zu. Männer entscheiden und handeln schnell, Frauen warten ab und lassen etwas „wachsen“.

Für viele Menschen ist es bis heute unvorstellbar, in scheinbar gegensätzlichen Werte-Zuordnungen einen Ausdruck von verschiedenen Handlungs- und Entscheidungsoptionen zu sehen. Und so wirken diese verinnerlichten Zuordnungen wie „Werte-Fallen“.

Es wird dabei nicht unterschieden zwischen sozialen Rollenmustern und Werte-Leitbildern. Die verinnerlichten Rollenmuster verursachen diese Zuordnungen und Werte-Leitbilder stellen diese Muster in gesellschaftliche Zusammenhänge. Doch sind diese Werte-Zuordnungen auch überwindbar, wie der Philosoph Ernst Bloch es in seinem Hauptwerk „Prinzip Hoffnung“ beschrieben hat. Werte-Leitbilder seien seit jeher gegeneinander ausgespielt worden. Und es käme heute darauf an, sie bewusst miteinander zu verbinden. Um ein Unternehmen führen zu können, gehören unterschiedliche Qualitäten. Was heißt das aber?


Das Aufheben von Widersprüchen?

Männer wie Frauen - also Menschen - sind widersprüchliche Wesen. Niemand kann nur hart und schnell sein. Keiner gibt gern immer nur nach. Jede Situation erfordert unterschiedliche Handlungsweisen, um ein Problem zu lösen. Chefinnen können heute über eine ganze Palette von werte-orientierten und situationsangemessenen Handlungs-Optionen verfügen, ohne in die Werte-Falle zu geraten. Sie können:

  • sich bewusst machen, welche individuellen Fähigkeiten sie haben. Zum Beispiel empathisch, entscheidungsfreudig, realistisch, geduldig und optimistisch sein.
  • sich fragen, welche Tugenden sind akut notwendig, um einen Konflikt zu lösen? Beispielsweise durch Zuhören, kritische Analyse, schnelles Handeln, durch Position beziehen.
  • sich fragen, an welchen Wertmaßstäben das eigene Handeln sich ausrichtet? Beispielsweise fair, konsequent und gerecht sein.
  • darüber nachdenken, welchen Idealen sie folgen wollen. Indem sie etwa Verantwortung für die Mitarbeiter übernehmen, ökologische Verantwortung tragen, auf Gleichberechtigkeit achten, trotz vorhandener Hierarchien.
  • reflektieren, wie sie die Werte, die ihnen wichtig sind, verbal und nonverbal kommunizieren. Z.B. durch faire Entscheidungen, durch Formulieren von werteorientierten Leitlinien, die nicht nur aufgestellt, sondern gelebt werden.

Brauchen Frauen andere Vorbilder und Werte als Männer? Nein. Es geht vielmehr darum, dass sie sich in ihrer Persönlichkeit entwickeln, um die positiven Aspekte von Werte-Gegensätzen und eigenen Widersprüchen zu erkennen. Das heißt, sich selbst und andere zu achten, selbstreflektiert zu sein und in Beziehung zu anderen zu gehen. Dazu gehört, überkommene Werturteile, wer wie zu sein hat, aufzugeben, nach den eigenen Qualitäten zu forschen und entsprechend der eigenen Werte zu leben und zu handeln. Das sind gute Voraussetzungen dafür, ein Vorbild zu werden. Was im übrigen auch für Männer gilt.

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