Werner knallhart

Erkältungszeit: gekonnt niesen unterwegs und im Job

Wie wir niesen, ist Ausdruck unserer Kultur. Und da hat sich einiges verändert in den letzten Jahren. Aber die Nies-Revolution muss erst noch kommen.

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Niestechnisch leben wir noch in der Steinzeit. Quelle: dpa

Letztens in einem Business-Hotel in Bangkok unter Europäern, Indern, Chinesen, Russen und so. Gerade greife ich am Frühstücksbüffet zum Birchermüsli, da bellen hinter meinem Rücken drei sehr saftig rasselnde Nieser. Ich fahre herum. Da steht ein Chinese ganz amüsiert von sich selbst, greift zu seiner bretthart gestärkten Stoffserviette und zieht sie sich erst von unten nach oben unter der Nase entlang, blickt hinein, um dann in kreisenden Bewegungen seine Handflächen zu reinigen. Dann sagt er etwas zu seinem Tischnachbarn und der andere lacht anerkennend.

Der Erkältungs-Knigge fürs Büro
Körpergeräusche ignorieren Quelle: dpa
Hustenanfälle Quelle: obs
Das richtige Taschentuch Quelle: dpa-dpaweb
Auf den Handschlag verzichten Quelle: dpa
Desinfizieren Quelle: dpa
Arbeitsplatz reinigen Quelle: dpa
Essen gehen Quelle: Reuters

Ich blickte auf meinen Haferschleim. Stimmt, da war was. Hat die chinesische Regierung ihre Bevölkerung zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking nicht dazu aufgerufen, internationaler zu rotzen? Nun ja, nicht jeder einzelne dieses Milliardenvolkes hat es bis heute verinnerlicht. Das darf uns Westler zwar ekeln, aber erheben dürfen wir uns nicht. Noch haben wir unsere Nies-Hausaufgaben selbst noch nicht gemacht. Niestechnisch leben wir selber noch in der Steinzeit.

Aber es tut sich was:

1. Niesen ist kein Auftakt für Büro-Smalltalk mehr

Dieses dämliche "Gesundheit" lässt nach. Aber es könnte besser laufen. Vor einigen Monaten musste ich als Hörer eines Vortrages innerhalb von zwei Minuten rund achtmal niesen. Immer wenn ich dachte, das war der letzte, kribbelte plötzlich noch einer hervor. Ab Nieser Nummer 3 fingen die Leute im Publikum langsam an, sich hier und da vorzubeugen und freundlich lächelnd  "Gesundheit" zu wispern. Da wusste ich: Ab jetzt zählen sie mit. "Gesundheit" ist in der Öffentlichkeit ein Synonym für "Halt's Maul!"

Und selbst, wenn es nett gemeint ist:

"Gesundheit!" - "Danke." Was für ein Smalltalk, aufgesetzt auf einen kaum zu unterdrückenden Reflex! Nicht mehr machen.

Es ist gut, dass in diesem Punkt ein Ruck durch Deutschland gegangen ist. Mittlerweile schweigen immer mehr, die sich das Geniese anhören müssen. Und wenn der Niesende ausreichend devot veranlagt ist, sagt er "Entschuldigung". Wobei auch das natürlich unsinnig ist. Wer lädt schon Schuld auf sich, wenn ein Reflex ihn überkommt? Ein "Entschuldigung" nach dem Niesen kommt direkt nach "Tut mir leid, dass ich geboren bin."

Knigge für das Großraumbüro

Niesen ist keiner Rede wert. Weder im Büro, noch in der Kantine, noch im ICE. Der Gruß "Gesundheit" hat einzig noch eine anerkennenswerte Berechtigung: als Ersatz für "Bless you" in den USA. In der Tat verwenden viele Menschen dort das deutsche "Gesundheit". Vielleicht um den edel gemeinten Wunsch nicht zur leeren Floskel verkommen zu lassen, vielleicht auch, um den ungefragt Gesegneten hinter seinem Taschentuch nicht noch zu seinem eigenen - womöglich abweichenden - Glaubensbekenntnis zu provozieren.

2. "Hand vor den Mund" ist Anstiftung zur Körperverletzung

Der Großraumbüro-Klassiker: In beide muschelförmig vor Mund und Nase gehaltenen Hände niesen und zwanzig Sekunden später die Türklinke drücken. So widerlich es klingt: Sie könnten genauso gut in die Runde rufen: "Wer will an meinen Handflächen lecken?"

Clever niesen rettet Leben

Es ist doch nun wirklich hinlänglich bekannt: Bakterien und Virennest Nummer 1 ist nicht das Klo, sondern die Computertastatur und der Telefonhörer an geteilten Arbeitsplätzen. Wer heute noch in die Hände niest, niest zwar keinen anderen direkt an. Aber dafür verteilt er seine Schleimspur anschließend auf Kaffeemaschine, Kopierer-Tasten, Lichtschalter.

Erkältungsmythen im Faktencheck
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Aber immer mehr Menschen stellen ihre Gewohnheiten um und niesen in die Armbeuge. Bleibt das Risiko, seinen feinen neuen Wollpulli zu verschmutzen. Wenn Sie jemanden sehen, der in seine Armbeuge niest und den Arm danach freundlich nickend vor dem Mund belässt und eiligen Schrittes den Raum verlässt, dann wissen Sie, was los ist. Was also tun, um diese Demütigung zu umgehen?

Neulich sah ich eine dm-Kassiererin ganz souverän ihren Niesreiz bewältigen: Sie nieste von oben in ihren leicht gelüpften T-Shirt-Kragen Richtung Bauch runter. Grandios. Unschönes bleibt so verborgen, Niesnebel wird textilgefiltert, die Hände bleiben frisch. So niest man richtig im Job! Wir sollten es alle so tun wie diese Heldin bei dm. Und Computertastaturen, Türklinken und Fernbedienungen verlören ihren Schrecken.

Die Besserwisser-Faustformel "Hand vor den Mund" hingegen muss heute heißen: "Hand vor den Mund und danach mit viel Seife mindestens dreißig Sekunden die Hände waschen - Handflächen, zwischen den Fingern, Fingerkuppen und Nagelränder. Daumen nicht vergessen!"

3. Nach Hause gehen bei Erkältung?

Viele Arbeitnehmer denken ja pflichtbesessen: Bei Erkältung darf ich erst nach Hause, wenn ich vor lauter Schüttelfrost die richtigen Tasten am Computer nicgt kehr trefde. Aber ich habe das Gefühl: Langsam gilt es nicht mehr als faul, sondern als kollegial, wenn Triefnasen und Rumhuster sagen: "Ich gehe nach Hause, ich will euch nicht anstecken."

Hegen Sie hierbei wirklich altruistische Ziele, der Chef oder die Chefin verlangt aber umständlich ein ärztliches Attest, dann machen Sie einen auf 2016: "Lass mich Homeoffice machen oder lass mich als röchelnde Virenschleuder im Büro antanzen." So führt man seine Vorgesetzten in der Erkältungswelle.

Wann Sie lieber zum Arzt statt zur Arbeit gehen sollten
Die wenigsten Menschen bleiben wegen jedem kleinen Wehwechen zuhause und lassen sich krank schreiben. Auch aus ärztlicher Sicht spricht nichts dagegen, mit einer kleinen Erkältung zur Arbeit zu gehen. Man sollte in jedem Fall in sich hinein horchen und sich fragen, ob man sich fit genug fühlt. Quelle: dpa
Wer mit einem leichten Infekt zur Arbeit geht, sollte seinen Körper mit Hausmittelchen unterstützen und darauf achten, sich im Büro regelmäßig die Hände zu waschen, um nicht unnötig Keime zu verbreiten. Kollegen anzuniesen oder anzuhusten, sollte schon der Anstand verbieten. Quelle: Fotolia
Es kommt natürlich auch auf den jeweiligen Beruf an. Wer eine Bürotätigkeit ausübt und vielleicht auch noch in einem Einzelbüro sitzt, von dem geht eine viel geringere Gefahr aus, als von einem unkonzentrierten, schlappen Piloten oder einem Erzieher, der seine Bakterien im Kindergarten verteilt. Quelle: Fotolia
Grundsätzlich gilt: Wer Fieber hat, sollte zum Arzt und nicht zur Arbeit. Denn Fieber ist ein deutliches Warnzeichen des Körpers, das etwas im Argen liegt. Auch Husten mit Auswurf ist ein deutliches Zeichen, dass ein Arztbesuch mit anschließender Bett- oder zumindest Sofaruhe angezeigt ist. Quelle: dpa
Und auch wer sich ohne Fieber richtig mies fühlt, sollte im Bett bleiben und sich nicht aus Pflichtgefühl zur Arbeit schleppen. Auch wenn andere Kollegen schon "mit viel schlimmeren Krankheiten" zur Arbeit gekommen sind. Quelle: Fotolia
Auch Betroffene, die bei Wind und Wetter draußen arbeiten oder beruflich mit Lebensmitteln zu tun haben, sollten lieber mit ihrem Arzt besprechen, ob sie arbeitstauglich sind oder besser zu Hause bleiben sollten. Quelle: dpa
Je ansteckender eine Krankheit ist, desto länger sollte man - mit Krankenschein - zuhause bleiben. Bei Erkrankungen wie dem Noro-Virus beispielsweise, fühlt sich der Patient vielleicht schon nach ein paar Tagen wieder gut, ist aber noch die reinste Virenschleuder. Da heißt es das Haus hüten, bis der Arzt etwas anderes anordnet. Quelle: dpa

Vergessen wir nicht: Chinesen halten es für das größte Kompliment, Ideen anderer zu übernehmen. Das gibt uns Westlern die Macht, eine weltweite Niesrevolution anzuzetteln. Wenn wir es durchziehen, werden Millionen Türklinken keimfrei bleiben. Hausärzte können sich endlich um Anspruchsvolleres kümmern, statt runter zu beten: "Viel Ruhe, viel Wasser trinken, wenn das Fieber bis Ende der Woche nicht weg ist, einfach nochmal reinkommen."

Ganz ohne Witz zu Ende gedacht: clever niesen kann tatsächlich Leben retten. Groß gedacht jetzt mal.

Ich wünsche mir eine Welt, in der die Toilette endlich tatsächlich der größte Keimumschlagplatz ist.

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