Wiedereinstieg Burnout - Wie der Weg zurück in den Job gelingt

Sich in Watte packen, die Stelle wechseln oder einfach weitermachen wie bisher? Wer nach einem Burnout im Job dauerhaft gesund bleiben möchte, braucht Unterstützung und eine alltagstaugliche Anti-Stress-Strategie.

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Der Weg zurück in den Job nach Erkrankungen wie Depression oder Burnout gleicht einem Drahtseilakt. Wie schützt man sich vor dem erneuten Ausbrennen? Wie findet man die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit? Quelle: Fotolia

Den Tag, an dem alles über ihr zusammenbrach, hat Gerlinde Albrecht noch genau vor Augen. "Ich hatte eine Veranstaltung mit 120 Kunden organisiert", erinnert sich die heute 59-Jährige, die damals eine Führungsposition im Vertrieb eines Softwarehauses innehatte. Schon Wochen vor der Veranstaltung litt Albrecht unter Kopf- und Rückenschmerzen. Ihr Magen streikte, sie war reizbar, konnte sich kaum noch konzentrieren. "Ich hatte einen totalen Tunnelblick, habe nur noch die Dinge gesehen, die direkt vor mir lagen", sagt Albrecht. Doch sie sei gut darin gewesen, sich selbst auszubeuten und die geforderte Leistung abzurufen. "Die Veranstaltung wurde ein großer Erfolg", sagt Albrecht. "Doch als der letzte Kunde aus der Tür war, bin ich zusammengebrochen. Ich konnte nicht mehr."

Ein Leben an den eigenen Grenzen

Diagnose: schwerer Erschöpfungszustand, Burnout. Acht Wochen war Gerlinde Albrecht krankgeschrieben, zusammen mit einigen Wochen Urlaub setzte sie ein Vierteljahr von der Arbeit aus. In der Zeit begann Albrecht ein Achtsamkeitstraining nach der Mindfulness-Based Stress Reduction-Methode (MBSR) des amerikanischen Mediziners Jon Kabat-Zinn. Durch diese Methode des achtsamen, vorurteilsfreien Umgangs mit sich selbst lernte Albrecht zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Gedanken, Gefühle und Reaktionen des Körpers zu verstehen. Sie erkannte, was sie in den Zusammenbruch getrieben hatte. Sie habe 20 Jahre permanent über ihre Grenzen gelebt, sagt Albrecht heute. "Als einzige weibliche Führungskraft habe ich immer versucht, besser zu sein als die Männer. Meine eigene Verletzlichkeit und Hilflosigkeit habe ich so lange ignoriert und weggedrückt, bis der Körper sich mit aller Kraft dagegen gewehrt hat."

Nach der Auszeit stieg Gerlinde Albrecht wieder in ihren alten Job ein. Ihr Team habe sie dabei unterstützt, sich mehr Pausen zu nehmen und sich nicht sofort wieder zu überlasten. Doch Albrecht wollte einen Neuanfang: Neben der Arbeit ließ sie sich zur Achtsamkeitstrainerin ausbilden. Zwei Jahre nach dem Burnout kündigte sie ihren Job und machte sich, mit Mitte fünfzig, selbständig. Heute hilft sie in Kursen und Coachings anderen, einen Weg zum Umgang mit Stress zu finden. "Die Selbständigkeit birgt natürlich auch das Risiko sich zu überlasten", sagt Albrecht. Doch wenn es zu viel werde, wisse sie heute Grenzen zu setzen. "Dann lehne ich auch mal etwas ab."

Hohe Rückfallquote

Bis zu neun Millionen Deutsche leiden nach Schätzung von Experten unter Überanstrengung und Erschöpfungszuständen, bei denen den Betroffenen die Kontrolle über ihr Leben entgleitet. Psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen bilden in vielen Unternehmen sogar schon die Hauptursache für Ausfalltage. Nach Angaben der Krankenkasse Barmer GEK lag der Anteil der psychischen Erkrankungen bei ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit 2012 bei 18,6 Prozent, mit steigender Tendenz. Besonders alarmierend ist neben der hohen Zahl der Fälle vor allem die Rückfallquote: Laut der Kasse erleidet ein Drittel der wegen einen psychischen Erkrankung stationär Behandelten innerhalb der ersten zwei Jahre nach Entlassung einen Rückfall. Für die Betroffenen, aber auch Entscheider in Unternehmen stellt sich deshalb die Frage: Wie schafft man es, nach einem Burnout wieder in den Job einzusteigen und dabei gesund zu bleiben?

"Man sollte sich schon vor der Rückkehr darüber Gedanken gemacht haben, wie man in Zukunft mit Belastungen umgehen will", sagt Julia Scharnhorst. Die Diplom-Psychologin und Beraterin für psychische Gesundheit empfiehlt während der Krankschreibung eine Therapie in einer Klinik zu machen. "Es ist hilfreich aus dem eigenen persönlichen Bereich für eine Zeit auszusteigen und mit Ärzten und anderen Patienten über Probleme zu sprechen und Lösungen zu erarbeiten."

Der Weg zu mehr Gelassenheit

Diese Berufsgruppen arbeiten am meisten
Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer arbeiteten 2015 durchschnittlich 1.657 Stunden Quelle: ZB
ArbeitstageWas sich dagegen viel stärker geändert hat, sind die Tage, an denen gearbeitet wird. Von "Samstags gehört Vati mir" ist in vielen Branchen nichts mehr zu spüren: Im Jahr 2015 arbeitete gut jeder Vierte (26,5 Prozent) ständig oder regelmäßig an Samstagen oder Sonntagen. 20 Jahre zuvor, im Jahr 1996, waren es noch 23,5 Prozent. Bis zum Jahr 2007 war der Anteil auf den bisherigen Höchststand von 27,8 Prozent angestiegen und bis 2015 wieder etwas zurückgegangen. Quelle: dpa
Wohnungsanzeige Quelle: dpa
Ein junger Mann liest kleinen Kindern etwas vor Quelle: dpa
Zwei Männer putzen Fenster Quelle: dpa/dpaweb
Zwei Frauen richten ein Bett in einem Hotel Quelle: dpa/dpaweb
Ein Mann arbeitet an einer Maschine Quelle: dpa

Auch Sabine Mrazek, Business-Coach von sabeconsult aus Kelkheim, rät, sich während der krankheitsbedingten Auszeit unbedingt begleiten zu lassen, sei es durch einen Therapeuten oder einen Coach. Es gelte herauszufinden, wodurch für jeden persönlich Stress entstehe, und wie man mit diesen Auslösern umgehe. "Tut man dies nicht, rennt man womöglich gleich wieder in den Burnout", sagt Mrazek. Es helfe sich in typische Stress-Situationen hineinzuversetzen und aufzuschreiben, wie man hier künftig reagieren wolle.

Zum Beispiel in Sachen Konfliktverhalten: Wie reagiert man bei Konfrontationen, mit Zurückschrecken und Aufgabe des eigenen Standpunkts oder mit Aggression? Und wie wolle man in einer solchen Situation künftig stattdessen reagieren?

Diese neu erlernten Verhaltensweisen müsse der Betroffene dann in sich verankern. Etwa mit Hilfe eines Coachings, bei dem beispielsweise alte Glaubensätze aufgelöst und durch neue ersetzt würden. Zum Beispiel den Satz aus der Kindheit, dass „ein Junge stark sein müsse“ durch die Erkenntnis, dass es den Teamgeist stärke, wenn etwa ein Chef in turbulenten Situationen auch Gefühle wie Angst oder Überforderung offen eingestehen könne. Im Gehirn bildeten sich durch einen solchen Prozess neue Synapsen. „Das funktioniert wie beim Radfahren“, sagt Mrazek. „Wenn man es einmal hat, verlernt man es nicht mehr.“

Gegen Störungen von außen stark machen

Ein gutes persönliches Stressmanagement macht weniger anfällig für einen Burnout. Die eigene Widerstandskraft gegen Störungen von außen zu stärken, gilt daher bei Experten als wichtigstes Element der persönlichen Rückfallprophylaxe. Doch ob jemand erfolgreich in den Job zurückfindet, hängt auch vom Umgang von Vorgesetzten und Kollegen mit der Krankheit ab. "Wenn ein gutes Betriebsklima herrscht, sollten Burnout-Rückkehrer das Thema offen ansprechen", sagt Psychologin Julia Scharnhorst. Oft habe sich die Diagnose schon durch Gerüchte verbreitet. Indem man selbst die Krankheit thematisiere, nehme man Kollegen die Scheu beim Betroffenen unangenehme Gefühle auszulösen. "Schon vor dem ersten Arbeitstag sollte ein Gespräch mit dem Vorgesetzen stattfinden, in dem man bespricht was zum Burnout geführt hat und was man konkret am Arbeitsplatz ändern kann."

Doch nicht immer treffen Rückkehrer auf ein verständnisvolles Umfeld. "In Teams mit angespanntem Klima empfiehlt es sich, die Krankheit nur vertrauten Personen gegenüber zu thematisieren", rät Coach Sabine Mrazek. Oft seien die Widerstände gegen das Zeigen von Gefühlen im Arbeitsalltag noch zu groß, weshalb sich Burnout-Rückkehrer besonders schützen müssten. "Auch wenn keine offene Atmosphäre herrscht, sollte man das in der Zwischenzeit Gelernte für sich selbst umsetzen." Es sei wichtig, sich schrittweise wieder Herausforderungen zu stellen, sich selbst aber nicht zu sehr in Watte zu packen. "Man will sich ja nicht im Krankheitszustand halten, sondern wieder voll zurückkehren", sagt Mrazek.

Der Betroffene entscheidet, was ihm hilft

Wer wegen eines Burnouts arbeitsunfähig wird, ist meist über mehrere Wochen krankgeschrieben. Ab einer Ausfallzeit von 42 Kalendertagen sind Unternehmen jeglicher Größe verpflichtet, dem Rückkehrer ein Betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Das heißt: Betriebe müssen ab einer Krankheitsdauer von sechs Wochen Burnout-Erkrankten und Rückkehrern Gespräche anbieten, in denen man gemeinsam Lösungen zur Überwindung der Krankheit sucht. Außerdem kann der behandelnde Arzt einen schrittweisen Wiedereinstieg mit stufenweiser Anpassung der Wochenarbeitszeit verordnen. Dabei bezahlt die Krankenkasse das Krankengeld in der bisherigen Höhe weiter.

Wie eine erfolgreiche Wiedereingliederung funktionieren kann, zeigt das Beispiel von Unilever Deutschland. "Im Idealfall hält die Führungskraft während der Krankheit den Kontakt mit dem Mitarbeiter", sagt Olaf Tscharnezki, leitender Betriebsarzt am Standort Hamburg. Manchmal sei das für die Gesundheit jedoch nicht förderlich. "Ob jemand erfolgreich zurückkehrt, hängt stark davon ab, wer ihn im Unternehmen begleitet", sagt Tscharnezki. Der Betriebsarzt setzt sich deshalb dafür ein, dass Burnout-Rückkehrer vom Unternehmen die Hilfe bekommen, die ihnen am meisten bringt. Das kann die Vermittlung von Gesprächen mit einer Vertrauensperson sein, etwa einem Vertreter des Betriebsrats, oder die Empfehlung an einen Therapeuten. "Man muss Schritt für Schritt Lösungen erarbeiten", sagt Tscharnezki.

Je länger der Ausfall, desto schwerer die Rückkehr

10 Fragen zur Ermittlung des Handlungsbedarfs
1. Haben einige Ihrer Mitarbeiter mehrere Vorgesetzte? Arbeiten sie z. B. gleichzeitig in Projekten und im Tagesgeschäft? Quelle: dpa
2. Gibt es Abteilungen/Bereiche, in denen Mitarbeiter häufig krank sind? Quelle: dpa
3. Kommt es zu schwerwiegenden Fehlern, wenn Mitarbeiter im Urlaub sind? Quelle: dpa
4. Haben einige Ihrer Mitarbeiter mehrere Vorgesetzte? Arbeiten sie z.B. gleichzeitig in Projekten und im Tagesgeschäft? Quelle: dpa
5. Sind Sie häufig nach stundenlangen Besprechungen soweit wie am Anfang? Quelle: Fotolia
6. Arbeiten Ihre Mitarbeiter oft und/oder über einen längeren Zeitraum unter starkem Zeit- bzw. Leistungsdruck? Quelle: dpa
7. Gibt es Abteilungen, in denen „Feuerlösch-Aktivitäten“ überhand nehmen, z. B. durch ungeplante Aufgaben? Quelle: dpa

Ein Schritt ist zum Beispiel sich erst einmal außerhalb des Unternehmensgebäudes zu treffen. "Als nächstes gehen wir zusammen am Wochenende rein. Wenn das klappt, kann man vielleicht schon mit einer stufenweisen Eingliederung bei sich langsam erhöhender Wochenarbeitszeit beginnen." Es empfehle sich sobald wie vernünftigerweise sinnvoll in den Beruf zurückzukehren, sagt Tscharnezki. "Je länger man wegbleibt, desto niedriger ist die Chance wieder ins Berufsleben einzusteigen". Denn statistisch gesehen kehren nach einer Ausfallzeit von sechs Monaten nur noch 50 Prozent der Betroffenen erfolgreich zurück. Nach einer Abwesenheit von einem Jahr sind es sogar nur noch zehn Prozent – unabhängig von der Diagnose.

Langsam herantasten

Einsteigen sollten Rückkehrer vor allem mit Aufgaben, die sie nicht überfordern, rät Unilever-Betriebsarzt Tscharnezki. Genauso wichtig sei es jedoch, ein stabiles privates Umfeld zu schaffen. "Wenn sowohl Job als auch das Privatleben wegbrechen, ist das für die meisten Menschen nicht auszuhalten." Für Lösungen in beiden Bereichen empfehle es sich,  mit den kleinsten Problemen zu beginnen, sagt Tscharnezki. "Dadurch entstehen Erfolgserlebnisse, die für größere Herausforderungen Kraft geben."

Psychische Probleme sind keine reine Privatsache

Um Rückfälle oder psychische Neuerkrankungen zu vermeiden, muss sich meist auch die Unternehmenskultur ändern. Unilever hat dies erkannt: Führungskräfte und Mitarbeiter werden geschult, um die eigene Gesundheit und die des Teams zu erhalten. Es gibt Entspannungskurse und Ruheinseln, in denen Beschäftigte – ohne auszustempeln – sich ausruhen können. Jeder Mitarbeiter kann ein externes Beratungsangebot für psychische Gesundheit nutzen. In Zusammenarbeit mit der Leuphana-Universität wird gerade ein jobbegleitendes Präventionsprogramm erprobt. "Wichtig war auch die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen", sagt Olaf Tscharnezki. "Wir haben in den Abteilungen das Bewusstsein geschaffen, dass es ganz normal ist darüber zu sprechen."

Dass dieser Wertewandel in längst noch nicht allen Unternehmen begonnen hat, weiß Volker Stüer, Berater für betriebliches Gesundheitsmanagement bei der Barmer GEK. Stüer erinnert sich an eine Bank mit 2000 Mitarbeitern und von Zahlendenken geprägten Vorständen. Es sei nicht einfach gewesen hier zu vermitteln, dass man sich um die Probleme der Mitarbeiter kümmern müsse. "Manch einer war dort der Ansicht, dass die Mitarbeiter ihre Sorgen morgens an der Garderobe abgeben müssten", sagt Stüer. "Doch über die Kosten für Krankheitstage kann man auch diese Chefs packen."

Gerlinde Albrecht, die nach zwanzig Jahren als Führungskraft einen Burnout erlitt und heute als Achtsamkeitstrainerin arbeitet, findet es gut, dass viele Unternehmen psychische Probleme nicht mehr als reine Privatsache der Angestellten sehen. Die Angebote zur Prävention und Wiedereinstieg dürften allerdings nicht als Methode dienen, noch mehr Leistung zu fordern. "Es geht um die Haltung gegenüber dem Leben und nicht um noch mehr Effizienz", sagt Albrecht.

Um Stress und Druck abzubauen, könne jeder im Alltag kleine  Ruhepausen integrieren. Es reiche manchmal schon fünf Minuten lang den eigenen Atem bewusst zu spüren, die Tür zuzumachen, das Telefon abzustellen. Außerdem müsse man lernen zu akzeptieren, dass es gute und schlechte Tage gebe. "Das hilft sich selbst nicht unter Druck zu setzen und gelassener auf Herausforderungen zu reagieren."

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