Work-Life-Balance Ein Plädoyer für den Feierabend

Glücklich ist, wer sich im Beruf selbst verwirklichen kann. Alle anderen Menschen brauchen die Trennung von Arbeit und Leben. Und Arbeitgeber müssen das akzeptieren.

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Haben Sie Leidenschaft für Ihren Beruf?
1. Sie gehen morgens gerne zur Arbeit – und zwar sogar so gerne, dass Ihre Freunde Sie darum beneiden. Quelle: dpa
2. Sie sehen in Ihrer Arbeit einen Sinn. Deshalb ist Ihr Gehalt für Sie zweitrangig. Quelle: AP
3. Sie könnten sich derzeit keinen besseren Job vorstellen, weil Sie in Ihrer Arbeit einen Sinn sehen. Sie können dort Ihre Stärken einbringen und an Ihren Schwächen feilen. Quelle: dapd
4. Häufig entdecken Sie im Berufsalltag etwas Neues oder lernen dazu. Manchmal machen Sie dabei sogar unvergessliche Erlebnisse. Quelle: dpa
5. Sie finden Ihren Beruf abwechslungsreich, langweilig wird Ihnen nie. Und gelegentliche Ruhepausen nutzen Sie zur Inspiration. Quelle: dpa
6. Überstunden machen Ihnen nichts aus. Trotzdem sind Sie nicht völlig von Ihrem Beruf in Beschlag genommen und haben noch genug Zeit für Ihr Privatleben. Quelle: obs lastminute.de
7. Am Feierabend fällt es Ihnen nicht schwer abzuschalten. Und Ihre Laune hängt nicht davon ab, ob Sie arbeiten dürfen. Quelle: dpa

Thomas Vašek ist sicher ein glücklicher Mensch. Und er lässt die Welt an diesem Glück teilhaben: "Ich liebe meine Arbeit", lautet der erste Satz seines aktuellen Buches. Es heißt "Work-Life-Bullshit" und die These steht im Untertitel: "Warum die Trennung von Arbeit und Leben in die Irre führt."

In diesem Werk teilt uns Vašek, der als Chefredakteur eines Philosophiemagazins seinen Lebensunterhalt verdient, nicht ganz uneitel mit, dass er "gar nicht viel anderes tue" als zu arbeiten und "dennoch weder krank, noch erschöpft" sei und daher das "Gejammer über die Zumutungen der Arbeit" nicht mehr hören könne.

Sind die vielen arbeitsbedingt psychisch Kranken also nur Hypochonder und Jammerlappen? Führt das Bedürfnis nach Freizeit und nach der Trennung von Arbeit und Leben tatsächlich in die Irre? Ist das Geheimnis des Glücks, die Arbeit ganz einfach zum Lebensinhalt zu machen?



Sind Sie Buronout-gefährdet?

Zunächst einmal muss man fragen, was "Arbeit" ist. Der Philosoph Vašek gibt darauf keine befriedigende Antwort. Er scheint nicht zu merken, dass das, was er pausenlos tut, kaum mit demselben Arbeitsbegriff zu fassen ist wie das, was eine Kassiererin oder ein Bankkaufmann tut. Und daher ist sein Buch mit 275 Seiten trotz aller aufgehäuften Gelehrsamkeit selbst ziemlicher Bullshit.

Der amerikanische Soziologe Richard Florida hat sehr schön beschrieben, wie Künstler, Musiker, Wissenschaftler, Autoren - also Leute wie Vasek - sich nie zwingen lassen und dennoch fast immer mit Kunst, Musik oder Wissenschaft befasst sind, ohne das als Mühsal zu empfinden. Wie sich "Arbeit" und Spiel bei ihnen verwischen, weil sie viel Zeit für intensive Konzentration in Einsamkeit brauchen. Und dazwischen Phasen, in denen sie scheinbar nichts tun, während in ihren Köpfen neue Werke heranreifen. Ein Controller würde das, was Vašek oder Florida tun, nicht "Arbeit" nennen. Und er hätte damit Recht.

Wer seine leidenschaftlichen Interessen ausleben und davon leben kann, und das noch weitgehend selbstverantwortlich und ungebunden, der wird nie ausbrennen. Der hat selbstverständlich auch kein Bedürfnis nach Grenzen für seinen Beruf. Natürlich ist so ein Mensch immun gegen Burnout und andere arbeitsbedingte Krankheiten. Thomas Vašek und Richard Florida können auf die Work-Life-Balance pfeifen, weil für sie Lebensinhalt und Erwerbstätigkeit identisch sind. Happy few!

Arbeit ist etwas anderes. Etymologisch kommt das Wort vom lateinischen "arvum", dem Ackerland, und im Mittelhochdeutschen war es gleichbedeutend mit Mühsal. Der Philosoph Otfried Höffe definiert Arbeit als "Tätigkeit des Menschen in Abhängigkeit von Natur und natürlicher Bedürftigkeit zum Zweck der Lebensunterhaltung und -verbesserung." Oder wie es in der Bibel heißt: "Im Schweiße Deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen."

Glück ist nicht der Daseinszweck von Unternehmen

Welche Berufe glücklich machen
die glücklichsten Menschen arbeiten in Hamburg Quelle: dpa
Die Jobsuchmaschine Indeed hat sich der Zufriedenheit deutscher Arbeitnehmer angenommen und nachgefragt, wer mit seinem Job besonders zufrieden ist. Die glücklichsten Berufe in Deutschland sind demnach eine bunte Mischung aus allen Ausbildungswegen und Hierarchiestufen. So gehören zu den Top 20 der zufriedensten Berufe viele traditionelle Handwerksberufe wie Maurer, Tischler oder Elektriker. Zufrieden sind allerdings auch - entgegen aller Klischees - Lehrer und Krankenschwestern. An der Spitze der Liste stehen Trainer, studentische Hilfskräfte und, wenig überraschend, Geschäftsführer. Laut dem Meinungsforschungsinstituts YouGov sind allgemein nur sieben Prozent der Deutschen wirklich unzufrieden mit ihrem Job, 75 Prozent der Arbeitnehmer macht ihre Arbeit mehrheitlich Spaß. Damit sie sich im Beruf wohl fühlen, brauchen 27 Prozent der Beschäftigten neue Herausforderungen, für 18 Prozent ist ein abwechslungsreicher Arbeitsalltag wichtig, für 15 Prozent bessere Gehaltsaussichten. Immerhin 14 Prozent wollen „etwas Sinnvolles“ für die Gesellschaft tun. Die folgenden Berufe erfüllen diese Kriterien - und machen glücklich. Quelle: Fotolia
Gärtner und Floristen sind zu 87 Prozent glücklich. "Ich arbeite in einer Umgebung, die ich mag, und tue etwas lohnendes und sinnvolles", gaben sogar 89 Prozent von ihnen an. Quelle: Fotolia
Jemand frisiert einen Puppenkopf Quelle: dpa
Männer arbeiten an Toiletten. Quelle: AP
Die ersten Nicht-Handwerker in der Glücksrangliste sind ausgerechnet Marketing- und PR-Leute (75 Prozent). Die Wahrheit steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Glück. Quelle: Fotolia
Jemand hält einen Glaskolben mit einer Flüssigkeit darin. Quelle: AP

Karriere-Berater und wichtigtuerische Sachbuchautoren wollen uns nun einreden, dass wir nicht schwitzen müssen. Dass für jeden Menschen irgendwo der Traumjob wartet, eine Karriere, die die totale Erfüllung bedeutet. Sie stellen uns dann gerne Menschen vor, die sich erfolgreich selbständig gemacht haben. "Hört auf zu arbeiten" von Anja Förster und Peter Kreutz ist so ein Buch.

Natürlich sollte jeder Mensch mit kreativen Ambitionen versuchen, sie auszuleben. Und jedem Menschen ist zu wünschen, dass er mit seinen Interessen und Leidenschaften seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Aber die Selbstverwirklichungsapostel blenden aus, dass sehr viele Menschen mit diesem Ziel scheitern, oder von vornherein gar keine Chance haben, es zu erreichen. Wenn Förster und Kreutz den Leser auffordern, dass zu tun, "was Ihnen viel mehr entspricht, nämlich das, was Sie tun würden, wenn Sie die Haltung eines Künstlers einnehmen würden!", dann unterstellen sie, dass es für dieses Tun auch eine ökonomische Umsetzung gibt. Schön wär's. Aber nicht jeder hat das Glück des Thomas Vašek.

Auch viele Angehörige der von Richard Florida besungenen "kreativen Klasse" können nicht von ihrer Kreativität leben. Ich kenne eine Schriftstellerin, sogar eine recht erfolgreiche. Sie hat zwölf Romane bei angesehenen Verlagen veröffentlicht, mehrere Preise gewonnen. Und doch musste sie lange Jahre als Lehrerin arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Schriftstellerei war und ist für sie keine Arbeit, es ist ihr Leben. Die Arbeit als Lehrerin war nicht ihr Leben. Und gerade darum hat sie immer dafür gesorgt, dass diese begrenzt blieb, um Zeit fürs Schreiben frei zu halten.

Der Daseinszweck von Wirtschaftsunternehmen ist nicht das vollkommene Glück ihrer Angestellten, sondern finanzieller Gewinn durch die Produktion von rentablen Waren oder Dienstleistungen. Auch wenn uns mancher Buchautor das Gegenteil einredet. Will man wirklich dem Produktmanager, dem Monteur am Fließband, der Sachbearbeiterin empfehlen, sie sollen entweder ihre Arbeit zum Lebensinhalt erklären oder damit aufhören und "die Haltung eines Künstlers einnehmen"?

Die meisten Menschen müssen sich wohl oder übel damit zufrieden geben, einen Beruf auszuüben, der möglichst angemessene Bezahlung und soziales Ansehen einbringt. Einen Beruf, in dem sie sich einigermaßen wohlfühlen, weil sie ihn für einigermaßen sinnvoll halten und ihre Begabungen einigermaßen anwenden können.

"Dead Man Working"

Deutsche leiden am meisten unter Arbeitslast
Fast jeder fünfte Deutsche (19 Prozent) empfindet seine Arbeitsbelastung als zu hoch, weitere 47 Prozent als „hoch“. Das ergab eine Studie der HR Partners Von Rundstedt in Düsseldorf. Quelle: dpa
Demnach sind in puncto Arbeitslast besonders Brasilianer und Spanier am wenigstens belastet. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Brasilianer empfinden die Arbeitsbelastung als normal oder niedrig, bei den Spaniern sind es immerhin 60 Prozent. Quelle: dpa
Am meisten unter der Arbeitsbelastung leiden nach den Deutschen laut der Studie die Schweizer (63 Prozent gaben an, einer zu hohen oder hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt zu sein) und die Franzosen (61 Prozent). Quelle: dpa
Im Mittelfeld der 16-Länder-Umfrage liegen Staaten wie China und Italien: Dort empfindet jeweils fast jeder Zweite (49 Prozent) die Arbeitsbelastung als hoch oder zu hoch, in Italien und Finnland sind es jeweils 48 Prozent. Quelle: dpa
Die meiste Arbeit nach Hause nehmen sich die Marokkaner und Chinesen mit. 57 Prozent (beziehungsweise 45 Prozent) der Befragten gaben an, oft Arbeit zu Hause zu erledigten, um Deadlines einzuhalten. In Deutschland sind liegt die Quote bei immerhin noch 28 Prozent. Quelle: dpa
Für die meisten Russen allerdings bleibt Arbeit Arbeit und Freizeit Freizeit. Nur 16 Prozent erledigen Arbeit zu Hause, um Fristen einzuhalten. In den meisten anderen Ländern trifft das auf etwa jeden Vierten zu (etwa Frankreich: 25 Prozent, USA: 27 Prozent, Schweiz sogar: 35 Prozent). Quelle: dpa
In den Interviews haben die Forscher auch die Zustimmung zu Statements im Bezug auf die Loyalität des Arbeitsnehmers zu seinem Unternehmen abgefragt. Der Aussage „Ich sage nie etwas Schlechtes über meine Firma zu anderen“, stimmen 68 Prozent der Deutschen zu und liegen damit im oberen Bereich. Quelle: obs

Ihr Lebensglück aber finden die meisten Menschen nicht in der Tätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen (müssen). Sonst wären die Fußballstadien nicht so voll. Sport und andere Hobbies sind mentale Fluchten für Menschen, die das Glück außerhalb der Arbeit suchen (müssen). Diese Menschen haben ein verständliches Bedürfnis nach einem vor ökonomischen Zwängen geschützten Rückzugsraum, nach einem Leben jenseits der Arbeit, das sie selbstbestimmt ihren Interessen und Leidenschaften widmen können, ohne dauernd mit einem Anruf der Chefin rechnen zu müssen.

Nur die wenigen Glücklichen, die vollkommen in ihrem Beruf aufgehen, werden dazu neigen, die Grenzen zwischen Arbeit und Leben aufzulösen. Wenn aber diese Entgrenzung von außen aufgezwungen wird, dann ist das Ergebnis der "Dead Man Working", den Carl Cederström und Peter Fleming in ihrem gleichnamigen Buch beschreiben: Ein Mensch, der das "Gefühl des Nicht-Lebens" bekommt. Ein Mensch, der seinen Job nicht mehr nur ausübt, sondern wider seine Natur gezwungen ist, dieser Job zu sein. Ein unglücklicher, erschöpfter, vielleicht sogar kranker Mensch. Und kein produktiver Arbeitnehmer.

Bei der Rheinbahn in Düsseldorf hat man das begriffen. Auf Werbeplakaten präsentiert die städtische Verkehrsgesellschaft ihre Mitarbeiter nicht bei der Arbeit, sondern bei ihren Hobbies. Ein Handballtorwart ist da zu sehen, eine Trommlerin, ein Langstreckenläufer im Neandertal und ein Mann, der seine Freizeit am liebsten im Indianerkostüm verbringt. Die Botschaft der Kampagne: Wir wissen, dass die Firma einen Anspruch auf die Arbeitskraft ihrer Beschäftigten hat, aber nicht auf den ganzen Menschen. Das dürfte bei Arbeitnehmern sehr viel besser ankommen als Teambuilding-Events oder ein Betriebsfest in der schönsten Feierabendzeit.

Die "Wertschätzung", von der Personalmanager neuerdings so viel reden, zeigt sich nicht durch den Kickertisch im Pausenraum, sondern im Respekt für das Bedürfnis nach einem Leben jenseits der Erwerbsarbeit.

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