Karin Schwesinger hat den Neustart gewagt. Nach 16 Jahren als selbstständige Geschäftsfrau und Chefin einer Modeboutique begann die 49-Jährige im September 2013 eine Friseur-Ausbildung. "Das belebt und beflügelt mich, das ist fast ein bisschen wie verliebt sein", sagt sie.
Zugegeben: Dass jemand freiwillig in der Lebensmitte noch einmal eine Lehre beginnt, ist selten. Nicht einmal 1100 Menschen im Alter über 40 schlossen nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2012 neue Verträge für eine duale Berufsausbildung ab.
Mid-Career-Crisis kommt zwischen 35 und 45
Gegeben hat es diese Wechsler jedoch schon immer, sagt Werner Eichhorst, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit. "Es wird sich immer dann beruflich verändert, wenn es ein Ungleichgewicht zwischen Soll und Ist gibt."
Der ursprüngliche Traumberuf ist zum Albtraum geworden, die eigenen Ziele passen nicht mehr zum Job - bis 63, 67 oder 70 in dem Beruf zu bleiben, erscheint undenkbar. In den USA spricht man in so einem Fall von einer Mid-Career-Crisis. Zwischen 35 und 45 schlägt diese gerne zu.
Unzufriedenheit, Unterforderung und Langeweile sind die Symptome. Und die treten häufiger auf als man denkt. Laut des aktuellen Sozio-ökonomischen Panels, einer repräsentativen Wiederholungsbefragung bei mehr als 12.000 Privathaushalten in Deutschland, sind nur 8,1 Prozent der Deutschen ganz und gar zufrieden mit ihrer Arbeit. Handelt es sich nicht nur um eine momentane Unzufriedenheit, kann es sinnvoll sein, sich beruflich neu zu orientieren - auch mit 40 plus.
Worauf die Deutschen bei einem neuen Job Wert legen
97 Prozent der 2014 von forsa befragten 2.001 Bundesbürger sagten, dass sie bei einem neuen Job sehr viel Wert auf angenehme Kollegen legen.
Nur knapp dahinter folgt der sichere Arbeitsplatz, den 96 Prozent als sehr wichtig erachten.
95 Prozent wünschen sich Respekt und Anerkennung durch die Vorgesetzten.
Ein gutes Gehalt ist 93 Prozent wichtig beziehungsweise sehr wichtig.
90 Prozent wünschen sich von der neuen Stelle, dass sie abwechslungsreiche Tätigkeiten mit sich bringt.
Für 89 Prozent ist es wichtig bis sehr wichtig, dass der neue Job unbefristet ist.
88 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen die Moralvorstellungen und das Leitbild des Unternehmens wichtig sind. Ebenfalls 88 Prozent legen sehr großen Wert darauf, dass sie Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im neuen Unternehmen haben.
Flexible Arbeitszeiten wünschen sich 70 Prozent im neuen Job.
Wichtig beziehungsweise sehr wichtig finden 65 Prozent Mehrwertleistungen des Unternehmens wie beispielsweise eine Betriebsrente, Mitarbeiterrabatte oder einen Dienstwagen.
64 Prozent wünschen sich, im neuen Unternehmen für besonders gute Leistungen auch Bonuszahlungen zu bekommen.
59 Prozent wünschen sich im neuen Job Führungsverantwortung zu übernehmen, zumindest aber, Projektleiter zu werden.
"Es gibt zwei bekannte Hauptmotive für einen Neustart: Nach 15 Jahren Berufstätigkeit überlegen sich viele: Soll es das gewesen sein? Will ich diesen Job noch machen? Die andere Frage ist: Kann ich das gesundheitlich oder psychisch noch?", so Eichhorst. Typische Wechsler sind dementsprechend gestresste Akademiker, die ihre Lebensziele überdenken oder Menschen mit schwierigen Berufsbildern, also körperlich sehr anstrengenden Berufen oder Jobs, die im Aussterben begriffen sind.
Ohne Planung geht es nicht
Viele trauen sich den beruflichen Neustart jedoch nicht zu - auch wegen des finanziellen Rückschrittes, der zu Beginn damit verbunden sein kann. Auch Schwesinger muss sich finanziell einschränken.
Ein Auto oder größere Anschaffungen seien bei knapp 500 Euro Lehrlingsvergütung pro Monat nicht drin, aber das hat sie von Anfang an einkalkuliert. Das fällt manchem sicher nicht leicht. Deshalb ist es ratsam, sich ein entsprechendes Polster zuzulegen, bevor man den gut dotierten Job an den Nagel hängt, um Kaninchenzüchter auf Teneriffa zu werden. Gerade eine Existenzgründung sollte nicht überstürzt werden.
Warum die Deutschen gründen
43 Prozent der 5.508 Unternehmen, die in der Zeit von 2005 bis 2007 gegründet wurden, entstanden, weil die Gründer selbstbestimmt arbeiten wollten.
Eine konkrete Geschäftsidee umsetzen wollten 22,5 Prozent der von KfW und ZEW befragten Neugründer.
Die Gründung als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit liegt mit 12,8 Prozent auf Platz drei.
Für gut zehn Prozent gab es keine alternative Beschäftigung in einem Unternehmen.
8,5 Prozent sahen ihre Chance, eine Marktlücke auszunutzen.
Rund zwei Prozent sagten, ihr ehemaliger Arbeitgeber habe eine Gründung forciert.
Steuerliche Anreize waren für 1,5 Prozent ausschlaggebend.
Denn häufig lässt sich im ersten Jahr nach der Unternehmensgründung nicht vom neuen Traumjob leben. Statistiken des IfM zeigen, dass bei 35,2 Prozent der Erstgründer das Einkommen den Lebensunterhalt nicht deckt. Bei 38,8 Prozent reicht es zumindest für die Miete.
Außerdem sollte man sich zumindest die finanzielle Zukunft nicht allzu rosig ausmalen. Eine Studie von Barton Hamilton, einem Professor der Washington Universität zeigt, dass Selbstständige im Zehnjahresvergleich 35 Prozent weniger verdienen als Angestellte in der gleichen Branche. Außerdem kommt bei Selbstständigen immer noch das Risiko des Scheiterns hinzu. Wer als Angestellter nur Branche oder Arbeitgeber wechselt, bleibt zumindest davor gefeit.
Wer wirklich unglücklich in seinem Beruf - oder auch mit seiner aktuellen Stelle ist - sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen. Wer scheitert, kann schließlich von vorne anfangen.
Und gescheiterte Gründer sind in bester Gesellschaft, wie beispielsweise die Düsseldorfer Fuck up-Night beweist. Das Motto der Veranstaltung: Geh pleite und rede darüber. Die Botschaft: Gründer müssen scheitern dürfen - und es beim nächsten Mal besser machen.