Bildung iPad & Co. erobern das Klassenzimmer

Digitale Medien sind dabei, auch die letzte Bastion von Stift und Radiergummi zu erobern: die Schule. Lehrer, Verlage und Wissenschaftler fangen gerade an zu realisieren, wie grundlegend sich die Bildung verändern wird.

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Schüler mit iPad Quelle: Matthias Jung für WirtschaftsWoche

James Pillans lehrt Erdkunde und ist begeistert von seiner jüngsten medialen Errungenschaft. „Als Erstes habe ich die Topografie Spaniens dargestellt“, berichtet er, „ich lud die Schüler ein, sich mit mir auf eine imaginäre Reise über die Berge zu begeben, mit mir eine Schifffahrt über die Flüsse zu machen.“ Mit großem Erfolg: „Das gleichzeitige Ansprechen von Ohr und Auge hat sie so beeindruckt, dass sie sich sofort daranmachen wollten, meine Darstellung zu kopieren.“

Das Medium, von dem Pillans schwärmt, wird Schulen rund um die Welt mit einer neuen Dimension versehen: die Schiefertafel. Es ist 1854, als der Schotte Pillans, inzwischen Professor in Edinburgh, über seine früheren Erfahrungen als Lehrer das Werk „Physical and Classical Geography“ schreibt und dabei als Erster eine Tafel erwähnt. Innerhalb weniger Jahre breiten sich die schwarzen Bretter rund um den Globus aus. Es ist eine Revolution, die den mündlichen Vortrag um eine visuelle Dimension ergänzt. Diese Zweidimensionalität hat 150 Jahre gehalten, doch jetzt steht die nächste Erneuerung bevor: der Einzug der digitalen Dimension.

Schweinezyklus bei Schulungstechnik

Über Jahrzehnte hielten sich Schulträger im Umgang mit neuen Medien streng an die der Institution eigenen Art des Schweinezyklus: Wenn es neue Technik gab, stand man ihr so lange skeptisch gegenüber, bis der Einfluss sich nicht mehr leugnen ließ. Wenn man sich dazu entschied, neue Geräte anzuschaffen, hatte der Markt längst die nächste Innovation hervorgebracht, die Geräte wurden kaum genutzt. So war es beim Videorekorder und DVD-Spieler, bei Computer und Laptop. Die meisten deutschen Schulen verfügen über die Geräte, doch zum Einsatz kommen sie kaum.

Das kann das neue iPad
„The new iPad“ - unter diesem schlichten Namen stellte Apple-Chef Tim Cook die dritte Generation seines erfolgreichen Tablets vor. Der Markt wächst schnell - und noch immer profitiert vor allem Apple mit einem Marktanteil von rund 60 Prozent. Mit dem neuen Tablet wird Apple diesen Vorsprung wohl mindestens halten können. Quelle: dapd
Wichtigste Neuerung: Endlich hat auch das iPad wie das iPhone eine „Retina-Auflösung“. Weil das Display des iPads deutlich größer ist, bedeutet das eine Vervierfachung im Vergleich zum Vorgängermodell auf erstaunliche 2048x1536 Pixel. Das ist deutlich mehr als ein Full-HD-Fernseher (1280x1080). Die Vervierfachung hat einen guten Grund: So können ältere iPads-Apps einfach die neue Größe skaliert werden, ohne dass sie verschwommen aussehen. Die Pixeldicht beträgt nun 264 Punkte pro Zoll (PPI) - bei den beiden Vorgängern waren es 132 PPI. Nur beim iPhone 4S mit dem kleineren Display sind es noch etwas mehr. Auch wer nah an das Display herangeht, kann keine einzelnen Pixel mehr erkennen. Daher der Name Retina, wie die Netzhaus des menschlichen Auges heißt. Quelle: REUTERS
Passend zum Retina-Display hat Apple dem neuen Gerät auch eine neue Fünf-Megapixel-Fotokamera spendiert, die hier von einem Apple-Mitarbeiter demonstriert wird. Die Kamera kann auch Videos in Full-HD-Qualität (1920x1080 ) aufnehmen. Die Foto-Kamera kommt mit ihren fünf Megapixel Auflösung nicht ganz an die des iPhone 4S heran, das eine Kamera mit acht Megapixel Auflösung besitzt. Quelle: dpa
Verkaufsstart ist der 16. März - auch in Deutschland. Dann auch werden Websites wie iSuppli das neue iPad auseinandernehmen und ihm die letzten Geheimnisse entlocken - zum Beispiel die Größe des eingebauten Arbeitsspeichers. Dazu machte Apple bei der Präsentation keine Angaben. Interessierte können ein iPad auf der Apple-Website vorbestellen. Quelle: dapd
Die teuerste Version des neuen iPads soll 829 US-Dollar kosten - die billigste 499 Dollar. Das ist dieselbe Preisspanne wie bislang. In Deutschland wird es die neuen iPads ab 479 Euro nur mit WLAN zu haben - also ohne den mobilen LTE-Funk. Geräte mit 4G-Funk gibt es ab 600 Euro. Das Spitzenmodell mit 4G-Funk und 64 Gigabyte Speicher für Daten und Apps kostet in Deutschland 800 Euro. Das Vorgängermodells iPad 2 gibt es ab sofort ab 400 Euro zu kaufen. Quelle: dapd
Um die Retina-Auflösung flüssig ansteuern zu können, hat Apple auch den Grafikchip kräftig aufgerüstet. Die Grafikeinheit des neuen Dual-Prozessors A5X soll um ein Vielfaches schneller sein als die seines Vorgängers. Während dem Hauptprozessor nur zwei Kerne zur Verfügung stehen, greift der Grafikchip auf vier zurück. Quelle: dapd
Damit die neue hohe Auflösung auch zur Geltung kommt, müssen die Entwickler ihre Apps anpassen. Apple selbst brachte natürlich zum Start des neuen iPads die eigenen Apps auf den neuesten Auflösungs-Standard des iPads - darunter die Office-Anwendungen Keynote, Numbers und Pages, die Podcaster- und Musik-App Garageband und das Videoprogramm iMovie. Andere Entwickler müssen nun noch nachziehen. Als weitere Neuerung kommt Apples Foto-Management-Software iPhoto vom Mac auch auf das iPad. Damit gibt Apple ein weiteres Signal, dass die Tablets den Personal Computer mit der Zeit immer unwichtiger machen. Auf dem neuen iPad kann man Fotos mit einer Auflösung von bis zu 19 Megapixeln bearbeiten - das reicht auch für anspruchsvolle Fotografen. Quelle: Reuters

Doch was jetzt passiert, wird durch Aussitzen wohl nicht aufzuhalten sein. Am Ende werden digitale Medien vom seltenen Highlight zusehends zum festen Bestandteil des Schulunterrichts geworden sein. Vielleicht ist die Plattform des Lernens statt des Papiers bald der Touchscreen. Noch ist es zu früh, um ein abschließendes Urteil darüber zu fällen, ob und wann es so kommt. Doch dass etwas Großes in Bewegung kommt, ist unübersehbar. Gerade hat Apple zur Bildungsoffensive geblasen, das iPad soll auch in Schulen zum Verkaufsschlager werden. Die Ende Januar lancierte Software iBookAuthor ist die erste offene Plattform für die Entwicklung von Schulbüchern. In den USA haben bereits die drei wichtigsten Verlage begonnen, ihre Produkte über den Apple-Marktplatz iTunes zu vertreiben. Schon heute werden in den USA mit digitalen Bildungsinhalten schätzungsweise 2,2 Milliarden Dollar pro Jahr umgesetzt. In Deutschland ziehen die Schulbuchverlage nach: Ab dem Sommer werden die großen Verlage ihre Produkte auf einer gemeinsamen Plattform digital vertreiben. Bildungsvorreiter wie Südkorea haben die Arbeit mit digitalen Büchern bereits für verpflichtend erklärt.

Auch Pillans Tafel steht zur Disposition. In den USA ist das berührungsempfindliche Whiteboard in manchen Bundesstaaten bereits flächendeckend an seine Stelle getreten. Der Marktführer Smart hat 2011 mehr als 400 000 Geräte verkauft. Mit deren Hilfe können Lehrer Videos einspielen, Internet-Seiten öffnen und zugleich Notizen an die Wand werfen. Auch hierzulande verfügen laut einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr mehr als 60 Prozent der Schulen zumindest über ein solches Gerät, fünf bis zehn Prozent haben ihre Schulen bereits komplett auf die neue Darstellungsform umgestellt. In Rheinland-Pfalz und Berlin laufen Programme, die alle Schulen mit Whiteboards ausstatten sollen.

Ein dutzend Vorreiter

Ralf Loskill Quelle: Matthias Jung für WirtschaftsWoche

Wer all das für hoffnungslose Utopie hält, der sollte nach Prüm fahren. Das Städtchen liegt inmitten der Eifel und ist von jeder Großstadt so weit entfernt, dass es kein Hype bis hierhin schafft. Dem Gebäude der örtlichen Berufsschule sieht man an, dass es beim letzten Konjunkturpaket leer ausgegangen ist. Doch drinnen steht Michaela Widowsky und sagt: „Jana, schau während des Vortrags doch nicht so oft auf dein iPad.“ Widowsky, 34, mit viel Schlagfertigkeit und dem Dialekt der Region gesegnet, unterrichtet gerade Pädagogik in der zwölften Klasse des beruflichen Gymnasiums. Jana Brosche ist 17, und in ihrer Hand hält sie wie alle ihre Mitschüler einen Tablet-Computer. Gerade spricht sie über „Direkte und indirekte Erziehungsmaßnahmen“ und muss jetzt erfahren, wie eine ebensolche auf sie niederprasselt. „Klammer dich nicht so an das Gerät, die andern wollen dein Gesicht sehen, nicht deinen Computer“, schimpft Widowsky.

Hier ist Alltag, wovon selbst Produktmanager im fernen Cupertino, dem Sitz von Apple, noch träumen. Deutschlandweit ist es gerade einmal ein knappes Dutzend Schulen, die nach Angaben des Unternehmens mit iPads arbeiten. In Prüm ist man dennoch überzeugt, dass es bald reihenweise Nachahmer geben wird. „Die Geräte werden dann zum Erfolg, wenn man jeden Schüler mit einem persönlichen Exemplar ausstattet“, sagt Ralf Loskill, stellvertretender Schulleiter der Prümer Berufsschule und Initiator des iPad-Projekts.

Bisher in vielen Schulen gescheitert

Vor einem Jahr schaffte er zunächst zwei Dutzend Geräte an, die Schüler konnten sie in den Klassen benutzen. Nach positiven Rückmeldungen entschied sich die Schule dann, einen ganzen Jahrgang damit auszustatten. Ein Drittel der Kosten übernahm die Schule, ein weiteres Drittel örtliche Sponsoren, den Rest zahlten die Eltern. „Die Tablets müssen seitdem nicht mehr in der Schule bleiben, sondern sind persönlicher Besitz der Schüler“, sagt Loskill. Darin liegt aus seiner Sicht der entscheidende Vorteil: Die Schüler nutzen die Geräte auch privat, zum Kommunizieren, Spielen und Arbeiten. Und sie hüten und pflegen die Apparate entsprechend. In Widowskys Pädagogik-Klasse kramt Jana Brosche erst mal Desinfektionsspray und Brillenputztuch aus der Schultasche, nachdem sie die Belehrung über sich hat ergehen lassen. Der Bildschirm wird kräftig poliert und wieder auf Hochglanz gebracht, dann verschwindet das Tablet in der eleganten Schutzhülle.

So trivial das klingt, es sind zumeist diese kleinen Dinge, an denen der Einsatz digitaler Medien bisher in vielen Schulen scheitert. Denn über einen Computerraum verfügt inzwischen fast jede Einrichtung, auch Notebookwagen mit der Ausstattung für eine ganze Klasse und Beamer sind meist vorhanden. Doch welcher Lehrer weiß im Zweifel schon, wo der Notebookwagen gerade ist? Und ob irgendein Witzbold nicht wieder die Akkus aus den Laptops versteckt hat? Wer die Geräte einsetzt, muss oft die erste Viertelstunde allein für die technische Ausrüstung einplanen. Wenn davor schon der gemeinsame Gang in den Computerraum lag und am Ende auch noch der Beamer hängt, ist die Stunde fast gelaufen. Zuständig für Wartung und Instandhaltung ist meist ein Lehrer, der das neben seiner üblichen Lehrverpflichtung freiwillig übernimmt. Auch wenn das Engagement dieser Technikliebhaber oft jeden Lehrplan sprengt, genügt es meist vorne und hinten nicht. Wen wundert, dass viele Lehrer da lieber gleich verzichten.

Netz als Gefahr

Beamerprojektion in das Gesicht eines Schülers Quelle: dpa

Immer wieder wird deshalb die Forderung laut, die Schulen müssten mit speziellem IT-Personal ausgestattet werden. Stefan Aufenanger hält davon nichts. „Wir dürfen nicht versuchen, die Medien in die Abläufe der Administration zu pressen, sondern müssen sie als selbstverständlichen Teil des Alltags akzeptieren“, sagt der Medienpädagoge von der Universität Mainz, der vor allem darauf verweist, dass die Didaktik in der Schule sich an der Lebenswirklichkeit der Schüler orientieren müsse. In seinen Vorlesungen ist es inzwischen ganz selbstverständlich, dass die Studenten mit Laptop am Tisch sitzen und ihren Vortrag am Whiteboard halten. „Wenn ich sie aber frage, ob sie diese Medien in ihrem eigenen Unterricht einsetzen wollen“, berichtet Aufenanger, „dann ist die Mehrheit stets dagegen.“

In Aufenangers Eindruck steckt ein grundsätzlicher Vorwurf, der den Pädagogen in Deutschland gerne gemacht wird: Anstatt die Schüler auf ihre eigene Zukunft vorzubereiten, bekommen sie die Vergangenheit ihrer Lehrer vermittelt. Technik im Allgemeinen und das Internet im Besonderen werden dabei als Gefahr betrachtet, vor der die Schüler gewarnt werden müssen.

eBücher ohne Blättern
Kindle Fire Quelle: Presse
Amazon Kindle Quelle: Presse
Oyo Reader Quelle: Presse
Apple iPad 2 Quelle: Presse
Story iRiver Quelle: Presse
Sony Reader WiFi Quelle: Presse

Weg von Heften und Schulbüchern

Zumindest darin funktioniert das System dann auch ausgezeichnet, sagt Reinhold Haußmann: „Wenn Lehrer Unterrichtsmaterialien über Datensicherheit im Netz suchen oder zu den psychologischen Folgen des Konsums von Killerspielen, dann kann ich ihnen jede Menge Unterlagen geben.“ Haußmann leitet das Kreismedienzentrum im schwäbischen Reutlingen, und er bedauert, dass er den Lehrern in der Region nur die Belehrungen bieten kann, die das Ministerium in Stuttgart ihm schickt. Er hat deshalb im vergangenen Herbst mit einigen Kollegen selbstständig begonnen, ein Blog zu schreiben, in dem er die Einsatzmöglichkeiten von Tablets im Schulunterricht beschreibt. „Ich hoffe wirklich, dass sich das Tablet in der Schule durchsetzt“, sagt Haußmann, „es ist das erste Medium, das nicht nur einen Aha-Effekt hat, sondern den Unterricht tatsächlich didaktisch besser machen kann.“ Wie viele seiner Kollegen rechnet er damit, dass dieser Effekt spätestens dann einsetzt, wenn die Geräte billiger werden und die Schüler anfangen, selbst ihre Tablets in die Schule mitzubringen. Ralph Haupter, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland und damit einer von denen, die an der Digitalisierung noch viel Geld verdienen können, lässt sich gar zu der Aussage hinreißen: „Ich bin überzeugt, dass es in zehn Jahren keine Hefte oder Schulbücher mehr geben wird.“

Christine Hauck steht dieser Aussicht mit gemischten Gefühlen gegenüber. Sie leitet den Produktbereich „New Business“ beim Schulbuchverlag Cornelsen, eigentlich sollte sie eine digitale Enthusiastin sein. Aber Hauck weiß auch: Auf die Frage nach dem Anteil der digitalen Produkte am Verlagsumsatz lautet die erlaubte Antwort: „Dazu kann ich leider keine Angaben machen.“ Allein Cornelsen erwirtschaftet 440 Millionen Euro im Jahr, vor einiger Zeit hat der Verband der Schulbuchverleger mal die Hoffnung geäußert, der Branchenumsatz mit Digitalem können bald auf zumindest sieben bis zehn Millionen Euro steigen, musste sich dann aber trotz dieser geringen Zielmarke in seiner Erwartung „enttäuscht“ sehen.

Vorbild Musikindustrie

Didacta Quelle: dpa

Darin zeigt sich, dass der Wandel zum Digitalen auch die Branchengrößen infrage stellen könnte. Denn bisher agieren die in einem der am besten geschützten Märkte. Schulbücher werden nicht auf dem freien Markt gehandelt, sondern müssen von den Landesministerien zugelassen werden. Das geschieht alle paar Jahre, immer wenn der Lehrplan geändert wird. Dabei vertrauen die Ministerien am liebsten auf die Produkte der großen Verlage, schließlich funktioniert die Zusammenarbeit mit denen seit Jahrzehnten, und auch das Personal wechselt gerne mal von hier nach dort.

Dieses Modell jedoch stellen die Tablet-Computer dadurch infrage, dass sie als Äquivalent zum Buch taugen und zugleich freien Inhalten zugänglich sind. Was spräche in Zukunft dagegen, die Lernsoftware innovativer Kleinverlage zu nutzen und die offiziellen Schulbücher nur noch den Lehrern zur Unterrichtsvorbereitung an die Hand zu geben? Zumindest Geld sparen ließe sich damit wohl eine Menge.

Verlage pochen auf das Urheberrecht

Die Verlage reagieren auf diese Aussicht bisher so, wie es schon Musik- und Filmindustrie mit durchschlagendem Misserfolg vorgemacht haben: Sie pochen immer heftiger auf die Einhaltung von Urheberrechten. „Wir müssen die Lehrer stärker dafür sensibilisieren, was urheberrechtlich geht und was nicht“, verpackte Tilo Knoche, Geschäftsführer des Ernst Klett Verlags die Drohung vor der versammelten deutschen Lehrerschaft auf der Bildungsmesse Didacta jüngst in kümmernde Worte: „Schließlich sind es die Lehrer selbst, die an der Entwicklung von Schulbüchern mitarbeiten und so um ihr geistiges Eigentum gebracht werden.“ In der Realität heißt das, dass die Verlage gegen jede Fotokopie rechtlich vorgehen, die sie in Unterrichtsmaterialien von Lehrern entdecken. Mit einer von den Gegnern als „Schultrojaner“ titulierten Software wollten sie die Überwachung in den Schulen Ende vergangenen Jahres auf die Spitze treiben, erst ein bundesweiter Aufschrei von Lehrern und schließlich ein Erlass der Kultusministerkonferenz konnte sie stoppen.

Doch es spricht wenig dafür, dass sie mit dieser Haltung weit kommen werden. André Spang, der an einem Kölner Gymnasium Religion und Musik unterrichtet, beginnt bereits, sein eigenes Schulbuch zu entwickeln. Seit einiger Zeit hat er Teile des Unterrichts in ein schuleigenes Wiki verlagert, das von den Schülern regelmäßig gepflegt wird. Schon kurz nachdem Apple im Januar seine Software iBookAuthor veröffentlichte, begann Spang, aus den Inhalten ein Lehrwerk zu gestalten. „Wenn das fertig ist, werden wir es auch zum Download anbieten“, sagt er.

Bis das auch die Verlage in Bedrängnis bringt, ist es wohl nur eine Frage der Zeit – und des Geldes. Im Moment wird zwar noch in keinem Kultusministerium das bewährte System der Vorzensur von Schulbüchern auf den Prüfstand gestellt. Aber sobald es billige Apps mit vergleichbaren Inhalten geben wird, muss nur noch ein Ministerialrat auf die Idee kommen, den Taschenrechner aus dem Schubfach zu holen, und das faktische Monopol der etablierten Verlage würde wackeln.

Stimmung dreht sich

McAllen Memorial High School Quelle: dapd

Im Gegensatz zum absehbaren Siegeszug der neuen Medien sind deren Folgen für die Schüler keineswegs schon ausgemacht. Lernen die Schüler auch besser, nur weil ihr neuer Block im Dunkeln leuchtet? „Der Unterricht wird deutlich kollaborativer“, sagt Tablet-Pionier Ralf Loskill. Er berichtet, dass die Schüler zum Beispiel selbst Apps vorschlagen, die dann im Unterricht eingesetzt würden. Ein Mathelehrer sagt gar, dass er dank der Geräte gut 20 Prozent mehr Stoff vermitteln könne als in den Vergleichsklassen ohne Tablets. Kerstin Mayrberger ist sich da nicht so sicher: „Wir konnten keine eindeutig positiven Effekte auf den Lernerfolg feststellen.“ Die Medienpädagogin von der Universität Augsburg hat das Prümer Projekt in den ersten drei Monaten wissenschaftlich begleitet. Sie ist jedoch davon überzeugt, dass die individuelle Verfügbarkeit hier den entscheidenden Schritt bedeutet: „Dadurch wird das Gerät vom technischen Werkzeug zum individuellen Lernbegleiter.“ Gerade die Individualisierung von Lerngeschwindigkeiten lasse sich so viel leichter erreichen.

Digitalisierung statt Lehrer

Beim Tafelersatz Whiteboard fällt das Urteil noch deutlich zurückhaltender aus. „Wer es gut einsetzt, kann damit guten Unterricht ein Stück besser machen“, sagt Medienpädagoge Aufenanger, „schlechter Unterricht wird schlecht bleiben.“ Oder vielleicht sogar noch ein bisschen schlechter werden: Denn die vielfältigen Möglichkeiten von Whiteboards verführen viele Lehrer dazu, den Unterricht frontaler zu gestalten.

Geradezu verheerend fällt das Urteil dort aus, wo man hoffte, mit neuer Technik Defizite in anderen Bereichen wettzumachen. So wurden in einigen US-Bundesstaaten die Budgets für neue Technik erhöht, während man zugleich Lehrerstellen kürzte. Das Kalkül: Mit individualisierter Technik werde es möglich, mit geringerem Aufwand mehr Schüler gleichzeitig zu unterrichten. Das Ergebnis: Die technisch aufgerüsteten Schulen schnitten in Vergleichsuntersuchungen sogar schlechter ab als vorher. Das liegt auch daran, dass digitale Bildung in den USA bereits ein Milliarden-Dollar-Markt ist, der entsprechend umkämpft ist und von Lobbyinteressen überlagert wird. Und so beginnt sich jenseits des Atlantiks die öffentliche Stimmung sogar zu drehen. Lehrer protestieren gegen weitere Investitionen in Technik, neulich hat die „New York Times“ eine Waldorf-Schule im Silicon Valley aufgetan, die besonders bei Kindern von IT-Angestellten beliebt ist. Der Grund: Es herrscht absolutes Bildschirmverbot.

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