Hochmotiviert – so bin ich nach einem Master in Kunstpädagogik und Deutsch in mein Referendariat eingestiegen. Ich wollte Kindern aus sozialen Brennpunkten Kreativität beibringen. Schule neu denken. Das System von innen heraus verbessern.
Selbst aufgewachsen in einem Problemviertel in Bremen, hatte ich lauter romantische Rettungsideen im Kopf.
Ich dachte, ich sei den Schülern näher, weil ich ihre Probleme selbst kenne. Ich weiß, wie es ist, wenn in einer Familie die Energie fehlt, ein Familiennest basierend auf Liebe und freundlicher Kommunikation zu schaffen. Aber ich kenne auch aus eigener Erfahrung und eben nicht nur aus der Fachliteratur die Erfahrung, wie künstlerisches Handeln wie das Malen von Bildern, Verkleiden und in andere Rollen schlüpfen oder das intuitive Spielen von Instrumenten eine Kinderseele retten kann.
Zur Autorin
Marlou Hundertmark hat Performance Studies, Kunstpädagogik und Deutsch auf Lehramt studiert. Sie absolviert gerade ihr Referendariat an einer Brennpunktschule in Bremen. Nebenberuflich ist sie als Musikerin Busy Stou bekannt.
Und darum wollte ich Lehrerin werden. Ich wollte den Kindern vermitteln: Ihr müsst euch nicht schämen, eure Familien ticken nach anderen Regeln als das elitär geleitete Schulsystem. Darum herrscht an Brennpunktschulen auch Klassenkampf in den Klassenräumen.
Die Lehrer mit ihren kleinbürgerlichen, geordneten Leben sind dort in der Unterzahl. Ihre Regeln sind für viele Kinder eine Provokation, die nach Reibung schreit. Der Alltag der Kinder sieht so aus: Die Eltern haben keine Zeit oder kein Interesse. Oder gehen unter in eigenen Problemen.
Und wenn ein Sechsjähriger sich den Wecker nicht alleine stellen kann oder keinen Sinn darin sieht, morgens pflichtbewusst pünktlich aus den Federn zu kommen, bleibt er liegen und die Lehrerschaft schaut von oben herab auf die arme unterprivilegierte Familie.
Ich wollte Kultur in meine Grundschulklasse bringen – den Kindern die Möglichkeit geben, Erfahrung wie diese kreativ zu verarbeiten. Das Landesinstitut für Schule unterstützt Berufsanfänger wie mich darin, innovative Sozial-, Lern- und Arbeitsformen in den Klassen zu etablieren.
Meine Schule stellt mir für meine Ideen die nötigen Materialien und Klassenräume zur Verfügung. Die Rahmenbedingungen sind insofern gut. Nur die Realität ist es nicht. Denn da sind demotivierte Schülerinnen und Schüler, die nichts anderes von klein auf kennen, als sich möglichst viel zu reiben. Die gelernt haben, dass Ärger zu stiften das einzige Mittel ist, um wirklich gesehen und wahrgenommen zu werden. Diese Kinder haben eines genau verinnerlicht: Auf jeden Fall bin ich gut darin, schlecht zu sein.
Ihren Lehrern knallen diese Kinder die ganze Asozialität an den Kopf. Da gibt es Magenkuhlenschläge in schutzlose Mädchenbäuche, während in der Pause heimlich die Streichholzschachtel aufgespürt, geklaut und hinter dem Lehrerpult zum Kokeln verwendet wird, unmittelbar neben umherfliegenden Stühlen, die als neue Wurfgeschosse ausprobiert werden. Kennt man alles von Straßendemonstrationen am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg. Die Kinder haben dasselbe Potenzial und – da liegt ja gerade der Witz drin – eine ähnliche Motivation.
Und ich, die motivierte Referendarin, stehe da und sage: "Man, ich SEHE euch! Ich erahne eure beschissene Familiensituation. Ich zeige euch Anerkennung. Denn ich bin hier, liebe Kinder, weil ich eure Ressourcen liebe, weil mich eure Meinung interessiert und weil ich viele kreative Möglichkeiten für euch bereit stellen kann, damit ihr euch ausdrücken könnt."