Berufe der Zukunft Für digitale Bildung fehlt das Geld

Die Debatte um die Digitalisierung dreht sich um Akademiker. Dabei tut sich das meiste in Industrie und Handwerk. Auch Bäckerlehrlinge brauchen technisches Verständnis. Doch um das zu vermitteln, fehlt Geld.

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Quelle: Initiative Digitale Bildung neu denken, Samsung

Auf der Bildungsmesse didacta in Köln zeigt der Stuckateur David Reingen Kindern und Lehrern, wie er arbeitet. Die Kinder können Formen abgießen und die blumigen Gebilde aus Mörtel, die man aus Altbauwohnungen kennt, anschließend mitnehmen. Auch der Maurer Sebastian Wichern zeigt mit Klinker und Mörtel, was er so kann.

Stuckateure? Maurer? Auf einer Bildungsmesse? Das scheint erstmal widersprüchlich, geht es doch in so gut wie jeder Bildungsdiskussion um Akademisierung als Vorbereitung auf die Berufswelt von Morgen. Und die ist laut Mehrheitsmeinung voller Mathematiker, Physiker, Programmierer und Ingenieure – aber sicher nicht voller Stuckateure.

Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sieht das anders. „Die Jobs werden ja nicht einfach verschwinden“, sagt der Leiter des Center for Learning Technology. Was man bei der ganzen Debatte um die Digitalisierung immer vergesse, sei, dass sie aus der Industrie komme, so Igel. Er befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema.

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Nicht ohne Grund heißt es Industrie 4.0 – nicht Büromensch 4.0. Auch der Bankschalter verschwindet nicht ganz durch FinTechs und veränderte Geschäftsmodelle. Trotzdem gibt es Visionen einer menschenleeren Fabrik, in der der Roboter den Werkzeugmacher ersetzt. Das könne er sich in naher Zukunft hierzulande nicht vorstellen, sagt Igel. „Wir führen die Diskussion in Deutschland gerne sehr hysterisch, hängen aber mit der Umsetzung im Vergleich zu anderen Ländern noch hinterher“, kritisiert er.


Mittelstand digitalisiert sich heimlich

Damit das mit dem Hinterherhinken kein Dauerzustand bleibt, dürften nicht nur die 30 großen Konzerne sogenannte Change-Prozesse ins Rollen bringen. Auch kleine Handwerksbetriebe müssen etwas tun – schließlich stellt der Mittelstand die Mehrheit der Unternehmen: Rund 3,62 Millionen Unternehmen - das sind 99,6 Prozent - zählen laut dem Institut für Mittelstandsforschung zum deutschen Mittelstand. Wenn die alle in der analogen Zeit stehen bleiben, dann heißt es für die deutsche Wirtschaft gute Nacht, Marie.

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Die gute Nachricht: Sie tun es nicht. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) digitalisieren sich sehr wohl. Nur eben meist ohne Tamtam und hochbezahlten Chief Digitalisation Officer, sondern zur Not dank Einsatz des Schwagers vom Chef, der sich mit E-Commerce auskennt.

Digitalisierungsdebatte geht am Handwerk vorbei

Und schließlich hat sich die Arbeitswelt des Handwerks nicht erst gestern verändert: Maler und Lackierer nutzen heute digitale Anwendungen, um Farben zu mischen, statt wie früher so lange Rot und Gelb zusammenzukippen, bis das gewünschte Orange rauskommt. Wer Metalle, Holz oder Kunststoffe bearbeitet, muss wissen, wie man eine CNC-Fräse für den gewünschten Zuschnitt neu programmiert und lässt dafür nicht erst einen Informatiker einfliegen. Und Stuckateur Reingen kreiert seine Formen mit dem 3D-Drucker.

Auch Maurer Wichern kommt ohne Software nicht aus, wenn er komplexe Muster mauern will. Lageristen und Kommissionierer laufen schon seit Jahren mit Tablet-Computern statt mit einem Klemmbrett durch die Hallen und auch Industriemechaniker und Werkzeugmacher haben neben dem Schraubenschlüssel ein Tablet dabei. Währenddessen sitzen in den Büros dieser Welt immer noch ausreichend studierte Köpfe, die nicht wissen, was eigentlich ein Browser ist.

Trotzdem dreht sich die gesamte Debatte mehrheitlich um sie – obwohl die Nichtakademiker in Deutschland den Löwenanteil stellen. Laut OECD-Daten schreibt sich rund die Hälfte aller Schulabgänger in Deutschland an einer Universität oder Fachhochschule ein. Nicht alle verlassen die Hochschule auch mit einem Abschluss.

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Das heißt: Mindestens die Hälfte der jungen Deutschen macht – wenn auch über Umwege – eine Berufsausbildung. Nur bereiten die offenbar nicht so gut auf die digitalisierte Zukunft vor, wie es sich die Betriebe wünschen. Laut einer noch unveröffentlichten Studie von TNS Infratest im Auftrag von Samsung Electronics sind 69 Prozent der Entscheider in kleinen und mittelständischen Betrieben der Meinung, dass das Ausbildungssystem nicht mehr zeitgemäß ist und sich stärker der Digitalisierung anpassen muss.

Ausbildungsinhalte verändern sich

Wenn der Bäcker die Zutaten für sein Brot nicht mehr selber mischen und abwiegen muss, sondern ein Backprogramm mit den Befehlen für Schokocroissant und Roggenmischbrot schreibt, muss das in der Ausbildung vermittelt werden. Das bedeutet nicht, dass er nicht mehr lernen muss, was in beide Produkte hineingehört und wie viel Mehl es wofür braucht. Das Problem ist, dass viele Lehrlinge aus der Schule kommen und dafür nicht fit sind.

Sicher, es wird auch beklagt, dass es an Höflichkeit mangelt und allgemein mit der Bildung bergab geht. Aber dass die Jugend verwöhnt, dumm und faul ist, ist schon seit Sokrates‘ Zeiten eine gängige Beschwerde. Neu hinzugekommen ist das fehlende technische Verständnis: Nachdem die Kinder zu Hause lernen, wenigstens beim Essen das Smartphone wegzulegen, gibt es in vielen Schulen überhaupt keine Erziehung in Sachen Gadgets.

Entsprechend können die angehenden Fachkräfte zwar super mit Facebook und Youtube umgehen, aber bei Excel und anderer Arbeitssoftware hört es auf. 18 Jahre lang war das Tablet schlicht ein Spaßgerät und dann soll man auf einmal damit arbeiten? Das kann nicht gut gehen.

Betriebe sehen Schulen in der Pflicht

Das merken auch die Betriebe. Eines der Ergebnisse der Samsung-Umfrage: 90 Prozent der Unternehmen sehen die Schulen in der Pflicht, Grundlagen für die digitale Kompetenz zu schaffen. Zwar ist sich mehr als die Hälfte aller Befragten darin einig, dass die Stärkung digitaler Kompetenzen auch ihr eigener Job ist. Doch der Grundstein müsse in der Schule gelegt werden.

Die sind davon noch ziemlich weit entfernt – an sehr vielen Schulen sind Smartphones und Tablets sogar verboten. Dabei könnte man die durchaus sinnvoll einsetzen. „Die Kinder haben Übersetzungs-Apps und Google Earth auf dem Handy und schleppen dann Atlas und Wörterbuch im Ranzen zur Schule, der deshalb 18 Kilogramm wiegt“, bemängelt FDP-Fraktionschef Christian Lindner bei seinem Besuch auf der didacta. Das habe doch nichts mehr mit Inhalten zu tun. Um nicht zu sagen: Schön, dass Schüler lernen, Straßenkarten zu lesen, die es im Alltag nicht mehr gibt, man sich aber weigert, ihnen den Umgang mit Navigationssoftware beizubringen.

"Ausprobieren und Erfahrungen sammeln"

Dass und wie es anders gehen kann, zeigt etwa Benjamin Seelisch auf der didacta. Er ist Englisch- und Biologielehrer am Neuen Gymnasium Rüsselsheim. Die Schule wird seit 2013 über die Initiative „Digitale Bildung neu denken“ von Samsung unterstützt und gilt bundesweit als Vorreiterschule für den digitalen Unterricht. Besagte Initiative fördert seit 2013 die Digitalisierung des Unterrichts auf spielerische Weise: Schulen können sich mit digitalen Projekten bei dem Wettbewerb "Ideen Bewegen" bewerben. Ausgewählte Projekte bekommen für sechs Wochen ein komplett ausgestattetes digitales Klassenzimmer von Samsung, konkret Samsung School Solution, zur Verfügung gestellt und können damit „einfach mal ausprobieren und Erfahrungen sammeln“, wie Steffen Ganders, Head of Corporate Affairs bei Samsung, erklärt.

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Man wolle junge Menschen fit machen für den sinnvollen Umgang mit Technologie und technischen Geräten und fördere deshalb sowohl Schulen und Hochschulen als auch Projekte der beruflichen Bildung und im außerschulischen Bereich. Und das ist nötig, wie Lehrer Seelisch sagt. Er verweist auf die ICILS-Studie aus dem Jahr 2014, wonach Achtklässler in Deutschland in punkto kompetente Internetnutzung nur im Mittelfeld liegen. Zumindest ein Drittel hat nur rudimentäre Kenntnisse im Umgang mit neuen Technologien. Eine vernünftige E-Mail schreiben, etwas suchen? Fehlanzeige.

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An seiner Schule werden deshalb klassische Inhalte mit modernen Geräten gelehrt. Selbst die Tafeln sind digital – Kreide und Schwamm gibt es nicht. „Unsere Schulleiterin sagt immer ‚Pech gehabt, die Tafel war zuerst da‘, wenn sich jemand beschwert." Auch Ganders ist überzeugt, dass sich digitale Technik und klassische Lehrinhalte vereinbaren lassen. Ob das zu analysierende Gedicht oder Goethes Meisterwerk Faust nun in einem Reclam-Heftchen stehen oder auf einem Display, das auch im Mathe- oder Sportunterricht verwendet werden kann, mache für den Lernerfolg keinen Unterschied. Lesen und verstehen passiere schließlich im Kopf, ist sich Ganders sicher.

Selbst die Gefahr, dass die Jugendlichen statt zu lernen mit ihrem Tablet Quatsch machen, besteht laut Seelisch nicht. Die Geräte sind vernetzt und der Lehrer sieht, wenn einer seiner Schützlinge statt bei Wikipedia bei Facebook surft. Davon abgesehen lernen junge Menschen das Autofahren ja auch im modernen Golf und nicht in einem Ford Modell A, damit der Fahrschüler nicht vom Radio abgelenkt wird.

800 Millionen Euro Anschaffungskosten

Selbst Eltern fordern mittlerweile, dass Schulen in Deutschland die digitale Bildung vorantreiben. Bleibt nur ein Problem: Die Digitalisierung der Bildung kostet Geld. Zwar sind Tablets wesentlich billiger als Laptops, sodass heute schon die flächendeckende Versorgung aller Schulen mit entsprechenden Geräten nur noch halb so teuer wäre, wie noch vor zehn Jahren. Aber nach Igels Erfahrung ist trotz ausgeglichenem Haushalt auch die geringste Summe noch zu hoch. „Mit Bildung lassen sich keine Wahlen gewinnen“, sagt er. Und erzählt, wie binnen drei Jahren aus einem Landesprojekt, dem er beratend zur Seite stand, aus „flächendeckender Versorgung aller Schulklassen mit Tablets“ die „Pilotierung in ausgewählten Schulen“ wurde.

Der Verband BITKOM geht im Übrigen davon aus, dass es 600 bis 800 Millionen Euro kostet, alle acht Millionen Schüler in ganz Deutschland mit Tablet-Computern auszustatten. Zum Vergleich: Bundespräsident Joachim Gauck ist im aktuellen Bundeshaushalt mit 0,03 Milliarden Euro eingeplant – würde Herr Gauck also drei Jahre ehrenamtlich arbeiten, wären die Anschaffungskosten locker drin. Da vermutlich weder er noch seine Amtsnachfolger zugunsten von digitalen Geräten auf ihre Bezüge verzichten werden, bleibt es also wie gehabt: Politik, Lehrer und Ministerien sind bei digitalem Unterricht so lange mit Verve dabei, wie die Fördertöpfe voll sind.

Danach geht das Tablet zurück an den Förderer und die Schüler schreiben wieder von der Kreidetafel ab.

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