Kein Bock auf Ausbildung? 2015 sind mehr als 40.000 Lehrstellen in Deutschland unbesetzt geblieben. Das zeigte jüngst der Berufsbildungsbericht. Wer kann, studiert. Die Berufsausbildung wird zur Resterampe.
Wie aber sehen das die 522.000 jungen Menschen, die im vergangenen Jahr eine Lehre begonnen haben? Sehen sie sich als Verlierer oder sind sie glücklich mit ihrer Wahl? Diesen und ähnlichen Fragen geht der Azubi-Report 2016 der Plattform Ausbildung.de nach. Mehr als 2000 Auszubildende wurden nach ihren Erwartungen, ihrem Verdienst und ihrer Zufriedenheit befragt.
Friede, Freude, Eierkuchen bei den Lehrlingen?
So viel vorweg: Die Lehrlinge haben nicht das Gefühl, nur zweite Wahl zu sein. Laut dem Report sind Azubis so zufrieden wie lange nicht mehr. Mehr als 90 Prozent der Auszubildenden sind mit der Wahl ihrer Ausbildung vollauf zufrieden. Zwei von drei Azubis sehen in ihrem Ausbildungsberuf sogar den Traumjob.
Besonders die Lehrlinge in der Finanzbranche sind sehr zufrieden. Hier geben 86 Prozent der Befragten an, mit ihrem Ausbildungsberuf auch ihren Traumberuf gefunden zu haben. Der durchschnittliche Lehrling erlernt allerdings einen Handwerksberuf und wird nicht Steuerberater.
Der Durchschnittsazubi...
Der Durchschnittsazubi ist mit dem eigenen Ausbildungsberuf zufrieden, leidet aber unter dem wachsenden Druck im Ausbildungsalltag. Er erlernt einen Beruf im Handwerk und verdient während der Ausbildung 665 Euro brutto im Monat, weshalb er auf die finanzielle Unterstützung der Familie angewiesen ist. Der Durchschnittslehrling geht lieber arbeiten als in die Berufsschule. Er oder sie ist 20 Jahre alt und hat einen Realschulabschluss. Um den Ausbildungsplatz zu ergattern, musste Otto-Normal-Lehrling 18 Bewerbungen verschicken.
Quelle: Azubi-Report 2016
Die Wahl des Ausbildungsberufes hängt auch mit dem Schulabschluss zusammen: So sind 78 Prozent der Azubis in der Medienbranche Abiturienten. Fachabiturienten bilden mit 59,5 Prozent den größten Teil der Lehrlinge in den Naturwissenschaften und der
Pharmaindustrie. Im Handwerk machen Auszubildende mit Realschulabschluss den höchsten Anteil (50 Prozent) aus. Die Branche Transport und Logistik beheimatet mit 62,7 Prozent die meisten Azubis mit Hauptschulabschluss.
Außerdem bekamen junge Menschen, die neu eine Ausbildung begonnen haben, mehr Geld als die Jahrgänge vor ihnen. Mit durchschnittlich 665 Euro brutto im Monat lässt sich zwar noch keine eigene Wohnung finanzieren, aber trotzdem sind das zwölf Prozent mehr, als Azubis 2014 im Schnitt verdienten.
So viel verdienen Auszubildende in den einzelnen Branchen pro Monat
Laut dem aktuellen Azubi-Report 2016 von Ausbildung.de ist der Durchschnittsverdienst eines Azubis während der gesamten Ausbildung von 574 Euro auf 665 Euro brutto pro Monat gestiegen. Befragt wurden über 2000 Neu-Azubis.
Quelle: Azubi-Report
Die durchschnittlichen Monatsgehälter variieren natürlich auch abhängig vom Schulabschluss des Lehrlings. So bekommen Azubis mit Fachabitur im Schnitt 706 Euro brutto im Monat, Realschüler- und -schülerinnen verdienen in der Lehre im Mittel 662 Euro und ehemalige Hauptschüler bekommen durchschnittlich 585 Euro brutto.
Am schlechtesten bezahlt werden Lehrlinge im Handwerk - in der Regel übrigens überwiegend Hauptschüler. Im Schnitt bekommen sie in ihrer Ausbildungszeit monatlich nur 370 Euro brutto.
Deutlich besser gestellt sind Auszubildende aus der Gestaltungs- und Medienbranche. Sie bekommen durchschnittlich 597 Euro brutto im Monat.
609 Euro brutto im Monat gibt es durchschnittlich für Lehrlinge in der Logistikbranche.
Lehrlinge im Einzelhandel bekommen durchschnittlich 610 Euro.
Angehende Krankenschwestern, Pfleger, Altenpfleger und Fitness-Kaufleute bekommen durchschnittlich 619 Euro brutto im Monat.
Das monatliche Durchschnittsbruttogehalt eines Lehrlings aus dem naturwissenschaftlichen Bereich liegt bei rund 675 Euro.
686 Euro brutto im Monat gibt es für angehende Köche, Restaurant- oder Hotelfachleute.
Auszubildende in technischen Berufen verdienen pro Monat 690 Euro brutto.
Wer im Bereich Büro und Personal eine Lehre macht, bekommt im Schnitt 732 Euro brutto pro Monat.
Wer sein Geld mit Geld verdienen möchte, bekommt während seiner Ausbildung durchschnittlich 750 Euro brutto im Monat.
Wer eine IT-Ausbildung macht, bekommt während seiner gesamten Lehre pro Monat durchschnittlich 775 Euro brutto.
Spitzenreiter sind laut dem Azubi-Report jedoch die angehenden Tierpfleger. Sie sind nicht nur die zufriedensten Lehrlinge, mit 777 Euro brutto im Monat bekommen sie auch das meiste Geld.
Unabhängig von Branche und Schulabschluss reicht das Ausbildungsgehalt aber alleine nicht aus, um ein unabhängiges Leben zu führen. Aus diesem Grund sind 62,5 Prozent der Auszubildenden darauf angewiesen, von den Eltern oder anderen Familienmitgliedern finanziell unterstützt zu werden. Oft reduzieren Auszubildende ihre Ausgaben, indem sie während der Ausbildung bei den Eltern wohnen. Ein Viertel der Befragten muss auf Ersparnisse zurückgreifen, um sich während der Zeit der Ausbildung zu finanzieren.
Also alles rosig bei den immer seltener werdenden Azubis? Leider nicht. Mehr als 80 Prozent der Auszubildenden beklagen sich über fehlende klare Strukturen im Arbeitsalltag, 43,5 Prozent leiden unter dem wachsenden Druck während der Ausbildung. Besonders beklagen Auszubildende - und Berufsschullehrer - die fehlende Vorbereitung auf die Zeit nach der Schule. So mancher hat sich die Ausbildung nämlich ganz anders vorgestellt.
Zu theoretisch, zu wenig Praxisbezug
So zeigt der Report zwar, dass die Mehrheit der Befragten grundsätzlich mit der Ausbildung und dem ausbildenden Unternehmen zufrieden ist. Schaut man sich aber einzelne Gruppen genauer an, fällt auf, dass Hauptschüler am unzufriedensten sind, wenn es um den Lehrbetrieb geht. Der Grund: Mehr als der Hälfte von ihnen gefallen die Aufgaben im Arbeitsalltag nicht. Nun könnte man sagen: Wer keine Haare schneiden möchte, sollte nicht Frisör lernen. Und für einen chronischen Langschläfer ist das Bäckerhandwerk ungeeignet.
Aber: Vielen Azubis ist vor Beginn der Ausbildung schlichtweg nicht bewusst, was im Unternehmen verlangt wird und welche Aufgaben erledigt werden müssen.
So sagen 91 Prozent der befragten Berufsschullehrer: "Die Schüler wissen nicht, worauf sie sich eingelassen haben." Das liege zum einen daran, dass sie von der Schule nicht auf die Zeit nach der zehnten Klasse vorbereitet werden, aber auch daran, dass die Schüler selbst nicht wissen, wo sie sich über einzelne Berufe informieren können.
Mehr als 65 Prozent der Berufsschullehrer finden, dass die Lehrpläne in den Schulen zu wenig auf die Bedürfnisse der zukünftigen Bewerber eingehen. Wer die Schule verlässt, um eine Ausbildung zu machen, könne keine Bewerbung schreiben, habe keine Ahnung vom existierenden Berufsangebot und den Anforderungen in einzelnen Berufen. Mehr als die Hälfte der Lehrer wünscht sich daher mehrere Schnupperpraktika in der Sekundarstufe I. Das sehen auch die Schüler so: Egal ob Gymnasiast, Real- oder Hauptschüler, knapp die Hälfte aller befragten Berufsschüler gibt an, nicht richtig im Bilde zu sein.
Das betrifft sowohl das Schreiben einer Bewerbung als auch grundlegende Schritte wie die Suche nach dem passenden Ausbildungsberuf. Lediglich Fachabiturienten sind mit ihren Unterrichtsinhalten in Bezug auf die spätere Berufswelt zufrieden. Bei den Hauptschülern sagten mehr als zehn Prozent, dass man sie überhaupt nicht auf das Arbeitsleben vorbereitet habe. Aber auch mit der Berufsschule sind nicht alle happy: Zu theoretisch, zu wenig Praxisbezug, zu wenig Betreuung durch die Lehrer.
Das viele auch bezüglich ihres eigenen Lehrberufs bis zum ersten Arbeitstag im Dunkeln tappen, ist aber auch die Schuld der Unternehmen, wie der Report zeigt. In den Stellenanzeigen stehe nur selten, um was es in einem Job überhaupt geht.
Teamfähig sollen alle sein. Spaß an der Arbeit muss man auch haben - und Flexibilität mitbringen. Von Nachtschichten, körperlicher Arbeit, Lärm oder sonstigen Anforderungen, die ein Job tatsächlich mit sich bringen kann, ist selten die Rede. Entsprechend sagt ein Drittel der befragten Lehrlinge, dass die Angaben in den Stellenausschreibungen nur teilweise mit den täglichen Aufgaben im Beruf übereinstimmen.
Was Azubis von ihrer Ausbildung erwarten
Laut der Studie „Azubi-Recruiting Trends 2015“ wollen sich 21 Prozent der Auszubildenden mit ihrer Lehre beziehungsweise ihrem späteren Job selbst verwirklichen.
22 Prozent gehören zu den zweckorientierten Karrieristen, die den Beruf lernen, mit dem sich am schnellsten das meiste Geld verdienen lässt und wo es am schnellsten die Karriereleiter hinauf geht.
Die Mehrheit sucht Spaß sowie Erfüllung im Beruf und möchten bei der Arbeit ihre Wertvorstellungen umsetzen.
So kann es passieren, dass sie während der Ausbildung mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie so nicht erwartet hätten. Das kann im schlimmsten Fall zu einem Abbruch der Ausbildung führen. 40 Prozent derer, die die Lehre hinschmeißen, tun dies, weil sie andere Vorstellung vom Job gehabt haben. Und fast alle Auszubildenden, die finden, dass die Aufgaben im Unternehmen überhaupt nicht mit der Ausschreibung übereinstimmen, wollen nach Beendigung der Ausbildung den Beruf wechseln.
Wenn schon die Schulen nicht auf das Berufsleben vorbereiten, müssen Arbeitgeber unbedingt transparent machen, welche Anforderungen sie an die zukünftigen Azubis haben. Nur so können Auszubildende und Unternehmen miteinander glücklich werden.