Bildungsforscher Volker Ladenthin "PISA gefährdet unser Bildungssystem"

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"Blaming and naming"

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Und wie setzt PISA diese eigenen Kriterien für das, was Bildung ausmachen soll, durch?

Um das zu realisieren, was man will, überzeugt PISA nicht Erzieher und Lehrer vor Ort und klärt Eltern auf, wie dies demokratisch üblich wäre. Stattdessen verordnen die nationalen Verwaltungen im Auftrag der EU den Kitas, Schulen und Unis immer mehr und immer häufiger internationale Tests, durch welche die nicht gefügigen Teilbereiche blamiert und somit zur Anpassung gedrängt werden. „Blaming and naming“ heißt das in der Verwaltungssprache.

Und um derlei Bloßstellungen etwa mittels der PISA-Rankings zu vermeiden, passen sich die Kitas und Schulen den fremdgesetzten Kriterien an – auch gegen eigene Überzeugungen. So werden heute politisch Ziele top-down durchgesetzt, ohne dass die Beteiligten – Lehrer, Erzieher, Eltern - auch nur den Hauch von Mitbestimmung hätten hierbei. Und die Tests selber, also die sollen auch gar nicht „Qualität“ messen, dazu sind sie auch weder geeignet noch gedacht, sondern internationale Normen durchsetzen.

Was haben Sie denn gegen Normsetzungen?

Ganz einfach: Dass diese unser Bildungssystem zunehmend darauf reduzieren, Menschen nur noch für kurzfristige und begrenzte Zwecke auszubilden, und nicht mehr als Menschen und ganze Personen zu bilden. Wenn sich dies aber durchsetzt, verlieren unsere Kinder genau jene Eigenschaften, die uns zu einer starken Nation gemacht haben: Kreativität, Individualität, Innovationslust, Selbstbewusstsein und Verantwortung.

Konkret: Schüler sollen nach PISA eben nicht lernen, nach dem Sinn des Lernens zu fragen, sondern sie sollen Aufgaben lösen, gleichgültig welche. Der von PISA als kompetent Geprüfte soll später einmal ebenso Babynahrung produzieren können wie Landminen. Angesichts der Kriterien von PISA und einer auf PISA ausgerichteten Schule sind beide Aufgaben gleich gültig. Und sie bedürfen der gleichen Kompetenzen. Das aber darf nicht Bildung und das darf auch nicht unsere Zukunft sein, finde ich.

Länder mit gutem PISA-Ergebnis haben auch ein sozial gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem, heißt es in vielen Kommentaren.

Ja, das wird behauptet. Richtig ist jedoch viel eher: Wer gut Antworten aus Texten heraussuchen kann, ist gut bei PISA. Mündigkeit aber lässt sich auf diese Art sicher nicht messen. Und Bildung ebenso wenig, also die Fähigkeit, verantwortungsvoll zu handeln. Diese Bildung muss jedoch in demokratischen Gesellschaften Ziel von Schule sein.

PISA aber hat, nach eigener Aussage übrigens, von Beginn an absichtsvoll eben das gemessen, was bis dato nicht an deutschen Schulen unterrichtet worden war. Kein Lehrer wusste damals, dass es vor allem auf diese PISA-Maßstäbe ankam, als man die Tester in die Klassen ließ. Nach dem ersten wohlinszenierten PISA-Schock haben sich Schulverwaltungen und Schulen dann jedoch angestrengt, schnell das als Lehrstoff verbindlich zu machen, was PISA testet.

Aus den Messverfahren sind so schließlich Lehrpläne abgeleitet worden. Und inzwischen wird in den Schulen das unterrichtet, was PISA misst. Also werden die Messergebisse besser, weil man nun misst, was auch gelehrt worden ist. Dass das, was jetzt gemessen wird, etwas mit Bildung zu tun hat, ist jedoch deutlich mehr Weltanschauung denn Wissenschaft.

PISA hat also auch mit Wissenschaft wenig zu tun?

Mit Bildungswissenschaft jedenfalls nicht. Viel eher ist PISA quantitative Psychologie im affirmativen Sinne: Sie überprüft Fremdvorgaben und hilft dabei, sie durchzusetzen.

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