Nach der Argumentation von Schleicher müssten wir davon ausgehen, dass die Arbeitsagenturen dann dicht machen und die Finanzämter von einem gewaltigen Steuersegen erfasst werden, der alle unsere Sorgen beseitigt. Da behaupte noch mal jemand, Ökonomen seien nüchterne Analysten! Was die OECD, Bertelsmann und andere Brutstätten der Bildungsökonomie verbreiten, ist eine bildungspolitische Heilslehre, die umso absurder wird, je stärker sich die praktische Bildungspolitik an ihr orientiert und auf diesem Weg fortgeschritten ist.
In einem völlig unterentwickelten Land ohne flächendeckende Bildungsinfrastruktur, wo also nur eine dünne Oberschicht ihren Kindern den Zugang zu höherer Bildung ermöglichen kann, ist es naheliegend, unter anderem das Ziel höherer Bildung für einen größeren Teil der Bevölkerung zu verfolgen und die Zahl der Studenten zu steigern.
Doch in einem Land, wo seit Jahrzehnten auch so genannten Arbeiterkindern die Pforten der höheren Schulen und Universitäten längst nicht mehr verschlossen sind, liegen die Dinge anders. Längst klagen in Deutschland Handwerksbetriebe und andere Anbieter nicht-universitärer Ausbildungen über einen Mangel an Bewerbern. Während gleichzeitig für kaufmännische Aufgaben, die noch vor ein oder zwei Generationen jedem Realschulabsolventen offenstanden heute ein BWL-Studium erwartet wird. Bedeutet das, dass die unstudierten Kaufleute in den 1950er oder 1960er Jahren weniger fähig waren? Wohl kaum. Vermutlich wussten und konnten sie mit einem guten Realschulabschluss oder Abitur und kaufmännischer Lehre genauso viel, wie heute ein BWL-Uni-Absolvent.
Inflation der Bildungsabschlüsse
Die Aufforderung von Ökonomen an die Bildungspolitik, die Zahl der höheren Abschlüsse zu erhöhen, ist in etwa so wie die Aufforderung an Zentralbanken, mehr Geld beizuschaffen. Dafür ist leicht gesorgt, solange sein Wert nicht stabil zu bleiben hat. Wenn alleine die Steigerung des Studentenanteils zum Erfolgskriterium erklärt wird - wie es OECD und Co seit Jahren tun - dann ist die Versuchung für Bildungspolitiker unwiderstehlich. Denn mehr Abiturienten und Uni-Absolventen erzeugt man recht einfach. Schulen können Abiturzeugnisse drucken wie Zentralbanken Papiergeld. Indem sie die Vorgaben für Lehrer zur Benotung entsprechend aufweichen können sie eine Inflation der Abschlüsse ankurbeln. Dann wird Schülern eben die Benutzung zweisprachiger Wörterbücher gestattet oder der Fehlerquotient bei Klassenarbeiten abgeschafft, oder gleich das Sitzenbleiben. Wenn aber weniger reale Kenntnisse hinter den Zeugnissen stehen, verlieren sie genauso an Wert wie ungedecktes Papiergeld.
Der Anteil der Menschen mit akademischem Abschluss sagt fast nichts über die Bildungsstandards und die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes aus. Beim stichprobenartigen Vergleich von nationaler Akademikerquote und BIP pro Kopf oder Lebenszufriedenheit (laut Happy Planet Index) lässt sich jedenfalls kein eindeutiger Zusammenhang feststellen. Es genügt aber auch die einfache Betrachtung der guten wirtschaftlichen Position Deutschlands und der katastrophalen volkswirtschaftlichen und Arbeitsmarktsituation in den Südländern der Europäischen Union, die laut OECD teilweise (zum Beispiel Frankreich, Spanien und Griechenland) viel höhere Akademikerquoten aufweisen als Deutschland.