Bologna-Reform Modernisierung der Modernisierung

Das Internet hat die Studentenproteste gestützt, die Kultusministerkonferenz wird zum letzten Höhepunkt. Doch was folgt danach? Ein Zurück zur Prä-Bologna-Ära darf es jedenfalls nicht geben, schreibt Christoph Bieber in einem Gastkommentar.

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Studentenprotest in Kassel Quelle: dpa

Die Hochschulproteste haben in Europa einen großen Teil der ersten Semesterhälfte überdauert – und auch wenn hierzulande viele Hörsäle und Seminarräume wieder freigegeben wurden, so rumort es noch im Elfenbeinturm. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Standorten – in Wien, dem Ursprungsort der Proteste, diskutiert man gerade gezielt über ein „aktives“, selbst bestimmtes Ende der Aktionen, um einem unrühmlichen Ausklang zuvor zu kommen. Mancherorts bieten sich aber unmittelbare Ansatzpunkte, die den Protest zusätzlich anheizen: zuletzt war dies die Konferenz der Hochschulrektoren in Leipzig, am Donnerstag ist es die Kultusministerkonferenz in Bonn.

Die Website www.kmk-nachsitzen.de dient als Online-Anlaufstelle für Studierende und Schüler aus ganz Deutschland, die mit einer Blockade die Ministerrunde zum „Nachsitzen“ zwingen wollen. Auch anderswo im Netz markieren Facebook-Profile, Twitter-Accounts oder Online-Videos das Treffen als lohnendes „Ausflugsziel“ – in einer Phase, in der es zunehmend schwieriger wird, die Proteste aufrecht zu erhalten, kommt ein solcher Leuchtturm-Event gerade rechtzeitig. Insofern haben die verschiedenen Aktionen auch schon vor ihrer Durchführung Wirkung gezeigt: nämlich als zusätzlicher Motivationsschub, der die auf viele Standorte verteilten Proteste verbindet und stabilisiert.

„Leistungsschau“ der studentischen Protestkultur

Das Internet kann dabei als „virtueller Stützpfeiler“ fungieren – nach einer Hörsaalräumung oder dem Ende einer Hausbesetzung werden die Streikplattformen bei Facebook oder Twitter natürlich weitergeführt, die Berichterstattung über die weiteren Entwicklungen wird auf diesem Weg fortgesetzt und eignet sich auch als „Kontrolleinrichtung“ über die Umsetzung während der Proteste getätigter Zusagen. Und natürlich bleibt via Internet der Kontakt zu anderen Proteststandorten bestehen, auf diese Weise können regional entstandene Arbeitszusammenhänge auch nach Streikende fortgeführt werden.

Spannend ist nun, inwiefern die Aktionen in Bonn als „Leistungsschau“ der studentischen Protestkultur genutzt werden. Durch die massive Darstellung und Vernetzung der Proteste im Internet gibt es viele „best practices“, die nun nocheinmal auf einer großen Bühne präsentiert werden können. Das gilt nicht nur für Aktionen vor Ort wie etwa die „Bolognaleichen“-Flashmobs, bei der sich Studierende vor dem Kölner Dom auf den Boden legten und so als Opfer einer verfehlten Bildungspolitik präsentierten, sondern auch für die mediale Begleitung mit Livestreams, Twitpics oder via Weblogs und schließlich die Archivierung des Materials etwa mit Web-Dokumentationen und Video-Reportagen.

Besonders hier wird – durchaus im Einklang mit den Bologna-Ideen – ein „Anwendungsbezug“ der Protestkommunikation deutlich: die unzähligen Online-Projekte in Gestalt von Web-Portalen, Profilseiten und Kampagnen in Sozialen Netzwerken, Realisierungen von Livestreams und Online-Dokumentationen, Umfragen oder Auswertungen haben den Beteiligten eine Menge an Praxiswissen eingebracht, das sie sonst wohl nur über mehrere Semester und Projekte verstreut hätten erwerben können. Doch genau diese Nischen bietet ein in vielen Fällen überreglementiertes Studium nicht mehr.

Doch was folgt nun, wenn spätestens mit den Weihnachtsferien die Proteste zum Erliegen kommen dürften? An einigen Hochschulstandorten sind mittlerweile studentische Erklärungen verabschiedet und gemeinsam mit den Hochschulleitungen neue Arbeitszusammenhänge eingerichtet worden, die sich künftig einvernehmlich um eine „Modernisierung der Modernisierung“ kümmern sollen.

Alles auf Anfang, aber bitte am Runden Tisch.

Keine Rückkehr zur Prä-Bologna-Ära

Gewiss, mit mehrwöchiger Protest-Erfahrung, Erklärungen, Solidaritätsadressen und öffentlicher Unterstützung im Gepäck gehen die Studierenden gestärkt und auch zusätzlich „legitimiert“ in die nun anstehende Gremienarbeit. Allerdings waren die Studierenden auch bislang schon in vielen solcher Gremien vertreten, doch nicht immer wurden sämtliche Möglichkeiten zur Mitwirkung auch ausgeschöpft. Ganz sicher ist nun auch auf Seiten der Lehrenden eine höhere Sensibilität für die Belange der Studierenden gegeben.

Vielleicht werden in der Folge der Proteste tatsächlich einige Stellschrauben in den Studienprogrammen gelockert, die man gerade in Deutschland etwas zu hart angezogen hat. Die mehrstufigen Evaluationsverfahren und die überbordende Akkreditierungsbürokratie werden einer Prüfung unterzogen werden. Doch eine Rückkehr zum freien, eigenverantwortlichen, selbst bestimmten Studium der Prä-Bologna-Ära dürfte es nicht geben – und das ist auch gut so.

Denn genau so überhöht wie viele Ansätze und Ideen bei der Errichtung eines Europäischen Hochschulraums waren – genau so verklärt sind auch die Erinnerungen an ein ideales, humboldthaftes Studium zwischen und in allen Disziplinen zugleich. Denn auch in der Informations- und Wissensgesellschaft braucht es Wegweiser und Routenplaner durch die akademischen Landschaften. Doch ein verlässliches Navigationssystem durch die Hochschule 2.0 ist auch nach den Protesten nicht in Sicht.

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