Dresscodes an Schulen "Junge Menschen haben Angst, anzuecken"

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Auf der Suche nach Regeln zum Festhalten

Bei den Schulen, an denen tatsächlich Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam Kleiderordnungen verabschieden, sei das entweder „eine Reaktion auf einen allgemeinen Bedarf oder der Versuch, ein Alleinstellungsmerkmal zu generieren.“

Also doch verkehrte Welt? In den USA starten junge Menschen Petitionen, damit sie sich kleiden dürfen, wie sie möchten und hierzulande schreiben sich Teenager gegenseitig vor, wie sie sich zu kleiden haben? Zugegeben, die Regeln, die die Schüler aufgestellt haben, sollte jeder berücksichtigen, ob in der Schule, im Büro oder beim Einkaufen.

So kleiden Sie sich richtig

Man müsse bei der Diskussion jedoch bedenken, dass die Schülerinnen nicht oben ohne zur Schule kommen, wie Ingo Barlovic, Jugendforscher und Geschäftsführender Gesellschafter des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth, sagt.
Trotzdem – an einigen deutschen Schulen muss offenbar ein Dresscode her. „Die Regelungen sollen die Schüler nicht in ihrer Persönlichkeitsentfaltung einschränken, sondern nur aufzeigen, was auch die Schülerinnen und Schüler selbst als unpassend empfinden“, heißt es von Seiten des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums.

Rein rechtlich wäre ein strikter Dresscode von Seiten der Schulleitung in Deutschland auch nicht ohne weiteres möglich. Schließlich könnten sich die Schüler auf ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit berufen, zu der die Kleidung gehört. Schlecht angezogen sein ist ein Grundrecht.

"Heute wird offen Druck ausgeübt"

Erst wenn die Kleidung den Schulfrieden stört, beispielsweise wegen rechter Symbole auf T-Shirts, können Lehrer und Schulleiter eingreifen. Woher kommt also der vorauseilende Gehorsam, den es nicht nur an besagtem Würzburger Gymnasium gibt? „Die Jugend ist sehr konservativ. In unserer Gesellschaft fehlen Werte, deshalb suchen sich die Jugendlichen etwas, woran sie sich festhalten können“, erklärt Barlovic.

Und Christian Schuldt vom Zukunftsinstitut in Frankfurt schreibt in seiner Studie „Youth Economy“: „Unsicherheit und Offenheit ist nach Ansicht des Jugendforschers Klaus Hurrelmanns prägend für die von 1985 bis 2000 geborenen jungen Leute.“ Die Folge sei eine „suchende, sondierende Haltung, aber auch eine gewisse Wurschtigkeit. Das Richtige gibt es nicht mehr.“

Hinzu komme die allgegenwärtige Mainstreamkultur, wie Barlovic sagt. „Ein Verhalten, das von dem abweicht, was ‚zum guten Ton gehört‘, wird immer weniger toleriert. Es muss alles korrekt sein, Anders ist nicht gewollt.“ Dabei sei es zunächst einmal egal, ob es um Hotpants, Fleischkonsum oder eine Sportallergie gehe. „Die jungen Menschen wollen nicht anecken und freuen sich über Regeln, die das verhindern“, sagt er. Schließlich drohe von allen Seiten der Shitstorm – sowohl in der Realität als auch im Netz. „Wo früher nur getuschelt wurde, wird heute offen Druck ausgeübt“, so Barlovic.

Reinders sieht bei den Jugendlichen dagegen eine gestiegene Kompromissbereitschaft. „Rebellion findet hauptsächlich zu Hause statt, die Jugendlichen sind aber deshalb nicht gleich von Sinnen“, sagt er. Insgesamt sei die Jugend sehr konservativ – jedenfalls im Vergleich zur Elterngeneration. „Ihnen sind Werte wie Pflichtgefühl oder Pünktlichkeit auch durchaus wichtig, auch wenn sie sie nicht immer leben“, so der Forscher.

Wer in Würzburg den Dresscode nicht lebt und in zu knapper oder transparenter Kleidung erscheint, muss sich übrigens umziehen. Wer kein Ersatz-T-Shirt dabei hat, wird ins Sekretariat geschickt. „Dort erhält er ein T-Shirt aus der alten Schulkleidungskollektion, das sie oder er nach einer Woche dort wieder gewaschen und gebügelt abgeben muss“, heißt es von Seiten der Schule. Widerstand der Schüler gab es bislang übrigens kaum. Dabei sei das Aufbegehren der Jugend gegen Regeln durchaus wünschenswert, wie Reinders sagt. „Das ist Demokratie.“

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