Dresscodes an Schulen "Junge Menschen haben Angst, anzuecken"

In den USA formiert sich Schülerprotest gegen allzu strenge Dresscodes. Hierzulande führen Schüler selbst Kleiderordnungen ein. Ist das der neue Konservatismus? Oder doch eine Folge der Shitstorm-Kultur?

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Fünf Mädchen in kurzen Hosen schlendern am 02.04.2014 bei milden Temperaturen durch Berlin. Quelle: dpa

Spätestens wenn die Temperaturen steigen und die Kleidung knapper wird, rückt der Dresscode an Schulen in das Allgemeine Interesse. Was früher lediglich eine Diskussion zwischen Jugendlichen und deren Eltern war, die häufig mit dem Satz „So gehst du nicht vor die Tür“ beendet wurde, ist spätestens seit dem Jahr 2003 Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Damals erschien in Niedersachsen eine 13-jährige Schülerin nur mit einem Bustier bekleidet zum Unterricht. Der Direktorin der Schule war das zu gewagt. Seitdem wird regelmäßig in Schulen, an Elternabenden, aber auch in den Medien diskutiert, wie viel Haut auf dem Schulhof sichtbar sein darf.

"Aufreizende Kleidung" immer wieder ein Thema

„Körperinszenierung funktioniert bei Jugendlichen über Kleidung und wie viel Haut sie zeigen. Da gehört das peinliche Muscle-Shirt aus den Achtzigerjahren bei den Jungen genauso dazu wie das enge bauchfreie Top bei den Mädchen“, weiß Heinz Reinders, Professor am Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung an der Universität Würzburg. So lange es junge Menschen gibt, werden sich die älteren Semester also mit der Kleidungsfrage auseinandersetzen müssen.

In den USA wird die Diskussion ebenfalls rigide geführt. Regelmäßig schreiben erboste Eltern offene Briefe an Schulen und Zeitungen, weil ihre Kinder wegen unangemessener Kleidung vom Unterricht ausgeschlossen werden. Und auch in den sozialen Medien echauffieren sich Betroffene, wenn Zehnjährige wegen vermeintlich aufreizender Kleidung zum Umziehen nach Hause geschickt werden. Für das Urteil „zu aufreizend“ reicht amerikanischen Lehrern oftmals schon ein schulterfreies Kleid oder eine enge Hose.

Today, my sister was sent home from school for wearing the clothes in the picture below. And I'm sorry but I have to...

Posted by Erica Alyse Edgerly on Donnerstag, 2. April 2015

An der amerikanischen Haven Middle School in Evanston im US-Bundesstaat Illinois sind Leggins für Mädchen deshalb gleich ganz verboten – sie würden die Jungen vom Lernen ablenken. Außerdem müssen kurze Hosen, Röcke und Kleider eine im Schuldresscode vorgeschriebene Länge haben, Oberteile müssen die Gürtellinie überdecken.

Deutsche Schüler wünschen sich selbst Dresscodes

In Deutschland ist es noch nicht so weit, dass Lehrer wieder mit dem Lineal kontrollieren, ob der Rock auch lang genug ist und züchtig das Knie bedeckt. Dagegen stören sich mittlerweile immer öfter Schüler am Outfit ihrer Altersgenossen. Zuletzt führte ein Gymnasium in Würzburg eine Kleiderordnung ein, die von einer Arbeitsgruppe von etwa 70 Schülerinnen und Schülern erdacht worden ist.

Was der Dresscode am Würzburger Gymnasium vorschreibt

„Es ist von den Schulen sehr klug, die Schüler da miteinzubeziehen, so wird eher akzeptiert, was vorgegeben wird“, beurteilt Reinders das Vorgehen. Er weist aber auch darauf hin, dass es sich bei solchen Dresscodes nicht um ein Massenphänomen, sondern um singuläre Fälle handelt. Er sagt: „Schulen regeln Dresscodes oft eher unter der Hand, in dem Lehrer Schüler auf ihre Kleidung ansprechen oder die Kleiderordnung beim Elternabend thematisieren.“

Auf der Suche nach Regeln zum Festhalten

Bei den Schulen, an denen tatsächlich Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam Kleiderordnungen verabschieden, sei das entweder „eine Reaktion auf einen allgemeinen Bedarf oder der Versuch, ein Alleinstellungsmerkmal zu generieren.“

Also doch verkehrte Welt? In den USA starten junge Menschen Petitionen, damit sie sich kleiden dürfen, wie sie möchten und hierzulande schreiben sich Teenager gegenseitig vor, wie sie sich zu kleiden haben? Zugegeben, die Regeln, die die Schüler aufgestellt haben, sollte jeder berücksichtigen, ob in der Schule, im Büro oder beim Einkaufen.

So kleiden Sie sich richtig

Man müsse bei der Diskussion jedoch bedenken, dass die Schülerinnen nicht oben ohne zur Schule kommen, wie Ingo Barlovic, Jugendforscher und Geschäftsführender Gesellschafter des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth, sagt.
Trotzdem – an einigen deutschen Schulen muss offenbar ein Dresscode her. „Die Regelungen sollen die Schüler nicht in ihrer Persönlichkeitsentfaltung einschränken, sondern nur aufzeigen, was auch die Schülerinnen und Schüler selbst als unpassend empfinden“, heißt es von Seiten des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums.

Rein rechtlich wäre ein strikter Dresscode von Seiten der Schulleitung in Deutschland auch nicht ohne weiteres möglich. Schließlich könnten sich die Schüler auf ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit berufen, zu der die Kleidung gehört. Schlecht angezogen sein ist ein Grundrecht.

"Heute wird offen Druck ausgeübt"

Erst wenn die Kleidung den Schulfrieden stört, beispielsweise wegen rechter Symbole auf T-Shirts, können Lehrer und Schulleiter eingreifen. Woher kommt also der vorauseilende Gehorsam, den es nicht nur an besagtem Würzburger Gymnasium gibt? „Die Jugend ist sehr konservativ. In unserer Gesellschaft fehlen Werte, deshalb suchen sich die Jugendlichen etwas, woran sie sich festhalten können“, erklärt Barlovic.

Und Christian Schuldt vom Zukunftsinstitut in Frankfurt schreibt in seiner Studie „Youth Economy“: „Unsicherheit und Offenheit ist nach Ansicht des Jugendforschers Klaus Hurrelmanns prägend für die von 1985 bis 2000 geborenen jungen Leute.“ Die Folge sei eine „suchende, sondierende Haltung, aber auch eine gewisse Wurschtigkeit. Das Richtige gibt es nicht mehr.“

Hinzu komme die allgegenwärtige Mainstreamkultur, wie Barlovic sagt. „Ein Verhalten, das von dem abweicht, was ‚zum guten Ton gehört‘, wird immer weniger toleriert. Es muss alles korrekt sein, Anders ist nicht gewollt.“ Dabei sei es zunächst einmal egal, ob es um Hotpants, Fleischkonsum oder eine Sportallergie gehe. „Die jungen Menschen wollen nicht anecken und freuen sich über Regeln, die das verhindern“, sagt er. Schließlich drohe von allen Seiten der Shitstorm – sowohl in der Realität als auch im Netz. „Wo früher nur getuschelt wurde, wird heute offen Druck ausgeübt“, so Barlovic.

Reinders sieht bei den Jugendlichen dagegen eine gestiegene Kompromissbereitschaft. „Rebellion findet hauptsächlich zu Hause statt, die Jugendlichen sind aber deshalb nicht gleich von Sinnen“, sagt er. Insgesamt sei die Jugend sehr konservativ – jedenfalls im Vergleich zur Elterngeneration. „Ihnen sind Werte wie Pflichtgefühl oder Pünktlichkeit auch durchaus wichtig, auch wenn sie sie nicht immer leben“, so der Forscher.

Wer in Würzburg den Dresscode nicht lebt und in zu knapper oder transparenter Kleidung erscheint, muss sich übrigens umziehen. Wer kein Ersatz-T-Shirt dabei hat, wird ins Sekretariat geschickt. „Dort erhält er ein T-Shirt aus der alten Schulkleidungskollektion, das sie oder er nach einer Woche dort wieder gewaschen und gebügelt abgeben muss“, heißt es von Seiten der Schule. Widerstand der Schüler gab es bislang übrigens kaum. Dabei sei das Aufbegehren der Jugend gegen Regeln durchaus wünschenswert, wie Reinders sagt. „Das ist Demokratie.“

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