"Frau Müller muss weg!" Lass doch der Jugend ihren Lauf

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Besorgte Mamas beim Schulleiter

Auch wenn nicht jeder Elternabend derart explosiv aufgeladen ist, wie der bei Frau Müller: Der Film ist so nah an der Lebenswirklichkeit, wie ein Film nur sein kann. Und er ermöglicht unmittelbare Identifikation für Millionen von Müttern und Vätern. Da ist die Karrierefrau, die alles im Griff zu haben glaubt; die psychisch labile Mutter, die ihr einziges Kind überbehütet; ihr von der Ideologie des wirtschaftlichen Wettbewerbs durchdrungener Ehemann; der sorgenzerfressene, unglücklich verheiratete Arbeitslose, der sich an sein Kind klammert; die Alleinerziehende, deren Sohn in der Schule perfekt funktioniert, aber keine Nähe zu ihr zulässt.

Wer selbst Kinder hat, erkennt sich in diesen Eltern oder kennt zumindest andere Eltern die so sind, wie die, die Frau Müller weg haben wollen. Tausende Frau Müllers müssen sich alltäglich mit solchen Eltern herumschlagen. Der Leiter der Schiller-Grundschule in Stuttgart schrieb kürzlich einen Brandbrief, der bundesweit Aufsehen erregte: „So erleben wir täglich, wie viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, verkehrswidrig und häufig gefährlich an der Kreuzung vor dem Haupteingang der Schule parken, Kind und Schulranzen ausladen, den Ranzen teilweise bis ins Klassenzimmer tragen, dem Sohn oder der Tochter die Jacke abnehmen, helfen die Hausschuhe anzuziehen und dann noch die Gelegenheit nützen, die unterschiedlichsten Dinge mit der Klassenlehrerin zu besprechen. Und all dies nicht selten nach Beginn des Unterrichts um 7.45 Uhr.“ Als Anlass für den stark zugenommenen Gesprächsbedarf der Eltern reiche es schon, wenn das Kind eine "zwei" bis "drei" in der Mathematikarbeit nach Hause gebracht habe.

Das Gros der Eltern sei zwar immer noch vernünftig und kooperativ, sagt Josef Kraus, Präsident des Lehrerverbands und selbst Schulleiter. Aber es gebe tatsächlich immer mehr Eltern, die fordernd und offensiv gegenüber Lehrern auftreten. „Ich hatte auch schon mit Initiativen von Elterngruppen zu tun, die mich als Schulleiter bedrängten, eine bestimmte Lehrkraft nicht in eine Klasse zu tun, oder durch eine andere zu ersetzen.“

Auch wegen angeblich ungerechtfertigt schwacher Noten stünden schon mal unvermittelt „sechs Mamas und ein Papa auf der Matte“. Der betreffende Lehrer, wird dann geklagt, „könne nicht gut erklären, sei schlecht vorbereitet, habe keine Disziplin oder überfordere die Kinder“.

Kraus sieht das Phänomen dieser überbehütenden „Helikoptereltern“ als Folge einer seit Jahren von Bildungspolitikern und Organisationen wie OECD und Bertelsmann-Stiftung verbreiteten unterschwelligen Botschaft: Erst mit Abitur ist man ein akzeptabler Mensch und unterhalb eines Studienabschlusses hat man im globalen Haifischbecken überhaupt keine Chance. „Diese Propaganda, die mittlerweile von allen Parteien mitgetragen wird, hinterlässt natürlich Spuren bei den Eltern.“

Sie verkennen dadurch auch, dass die Zukunft eines Kindes keineswegs, wie Janines Papa zu wissen meint, „versaut“ ist, wenn es nicht aufs Gymnasium kommt, und dass gerade dank der nicht-universitären Ausbildungsgänge im Dualen System Deutschland eine besonders niedrige Arbeitslosenquote im Vergleich zu anderen Ländern hat.

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