Kitastreik Wie viel ist uns frühkindliche Bildung wert?

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Was Erzieher Kindern beibringen müssen

So heißt es im "Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung" (Oktober 2003), dass Erzieherinnen folgende Aufgaben erfüllen müssen:

  • Förderung individuumsbezogener Kompetenzen und Ressourcen bei Kindern, also von personalen, motivationalen, kognitiven und physischen Fähigkeiten,
  • Förderung von Kompetenzen zum Handeln im sozialen Kontext, also von zwischenmenschlichen Fertigkeiten, von Werten und Orientierungskompetenz, von der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme und der Bereitschaft zur demokratischen Teilhabe,
  • Förderung der lernmethodischen Kompetenz, d.h. Kinder sollen lernen, wie man lernt,
  • Förderung von Resilienz (Widerstandsfähigkeit),
  • Begleitung des Übergangs von der Familie in die Kindertageseinrichtung und des Übergangs in die Schule,
  • interkulturelle Erziehung,
  • geschlechtsbewusste Erziehung,
  • Förderung von Kindern mit Entwicklungsrisiken und (drohender) Behinderung,
  • Förderung von Kindern mit Hochbegabung,
  • ethische und religiöse Bildung,
  • sprachliche Bildung,
  • mathematische Bildung,
  • naturwissenschaftliche und technische Bildung,
  • Umweltbildung und -erziehung,
  • Medienerziehung und elementare informationstechnische Bildung,
  • ästhetische, bildnerische und kulturelle Bildung,
  • musikalische Bildung,
  • Bewegungserziehung,
  • gesundheitliche Erziehung,
  • Beobachtung und Dokumentation der Lern- und Entwicklungsprozesse des Kindes,
  • Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern,
  • Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen, Gemeinwesenorientierung,
  • Abwendung von Gefährdungen des Kindeswohls


Und in Sachsen-Anhalt heißt es: "Durch die Beschäftigung mit den Inhalten aus den vorgegebenen Bereichen soll das Kind nicht nur bereichsspezifische, sondern vor allem übergreifende und grundlegende Kompetenzen und Persönlichkeitsressourcen erwerben." Aus den Kindergärtnerinnen von einst sind Lehrerinnen, Theologen, Ernährungsberater und Coaches geworden, die zusätzlich noch die Säuglingspflege und die Elternbetreuung übernehmen müssen. Und das alles, damit die Kinder schneller, besser und erfolgreicher lernen und ein perfekter Teil der Optimierungsgesellschaft zu werden.

Diese Sprachen werden am häufigsten in bilingualen Kitas angeboten

Die steigenden Anforderungen rächen sich oft auch bei der Gesundheit der Kindercoaches: Im DGB-Index Gute Arbeit bezeichnen nur acht Prozent der befragten pädagogischen Fachkräfte die Arbeits- und Einkommensbedingungen als gut, 63 Prozent als mittelmäßig, 29 Prozent bewerten sie als schlecht. Eine zu hohe Arbeitsintensität, Zeit- und Leistungsdruck prägen den Arbeitsalltag. Der DGB-Index weist vor allem bei Vollzeit-Beschäftigten aus, dass sie unter zu hoher Arbeitsintensität und Leistungsdruck leiden (62 Prozent versus 32 Prozent bei Teilzeit). Andere Studien wie die GEW-Studie (2007) mit 2.000 Befragten bestätigen diese Einschätzung zu psychischen Belastungen. Lärm und das Herumtragen von Kindern sorgen für körperliche Beschwerden. Entsprechend geben nur 13 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher an, während beziehungsweise unmittelbar nach der Arbeit keine gesundheitlichen Beschwerden zu empfinden. Nur 26 Prozent der Befragten glauben daran, gesund das Rentenalter zu erreichen.

Längst rufen Bildungswissenschaftler nach einer Akademisierung des Berufs - inhaltlich wäre das wahrscheinlich nicht unbedingt nötig, aber das Ansehen der Erzieher und deren Gehälter müssten dann wie von selbst steigen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat deutliche Verbesserungen für Erzieher und Kinderpfleger bei den laufenden Tarifverhandlungen mit den Kommunen angemahnt. „Wir müssen langfristig die Löhne der Erzieherinnen und Erzieher auf das Niveau von Grundschullehrern anheben“, sagte Schwesig dem Deutschlandfunk.

Man werde einen solchen Gehaltssprung nicht mit einem Mal machen können. Schwesig betonte aber, dass die Betreuung von Kleinkindern deutlich mehr Wertschätzung erfahren müsse. Sie fordert: „Wir brauchen eine Debatte in Deutschland, wie viel uns die Arbeit mit Menschen und die frühe Bildung unserer Kinder wert ist.“ Vielleicht sollte man zusätzlich darüber nachdenken, wie viel Mathe, Chinesisch und Tanzunterricht ein Dreijähriger braucht.

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